Gesundheitsminister Rudolf Anschober tritt zurück

Wegen körperlicher Überlastung. Arzt Wolfgang Mückstein folgt ihm nach.

Rudolf Anschober tritt als Sozial- und Gesundheitsminister zurück. Er sei überarbeitet und ausgepowert und berichtete von zwei Kreislaufzusammenbrüchen, verneinte aber ein weiteres Burnout. Bei der Krisenbekämpfung fühlte er sich zuletzt "oft sehr alleine". Nun ziehe er die Notbremse. Nachfolgen wird im der Arzt Wolfgang Mückstein.

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"In der schwersten Gesundheitskrise seit Jahrzehnten braucht die Republik einen Gesundheitsminister, der zu 100 Prozent fit ist", begründete Anschober seinen Abgang. Und: "Ich will mich auch nicht kaputt machen." Bis Montag soll Vizekanzler Werner Kogler die Geschäfte führen, dann soll sein Nachfolger, Wolfgang Mückstein, angelobt werden.

"Ganz offensichtlich überarbeitet"

Er habe seit 14 Monaten praktisch durchgearbeitet, und "ich hab mich dabei ganz offensichtlich überarbeitet", erklärte Anschober mit brüchiger Stimme in einer rund halbstündigen Pressekonferenz Dienstagvormittag im Ministerium. Zunehmend sei ihm die Kraft ausgegangen, als Folgen seiner Überlastung habe er mit Kreislaufproblemen, steigendem Blutdruck, Probleme mit dem Blutzuckerspiegel und einem beginnenden Tinnitus zu kämpfen gehabt. Vor einem Monat hatte Anschober den ersten Kreislaufkollaps, über den er auch offen gesprochen habe, denn "für Erkrankungen braucht sich niemand schämen".

Notbremse gezogen

Nachdem er keine organischen Schäden davongetragen hatte, wollte er es noch einmal versuchen, schilderte Anschober. Der zweite Kollaps folgte jedoch vergangenen Dienstagmorgen. "Ich hab gemerkt, da muss ich jetzt für mich eine Notbremse ziehen." Ein Burnout wie vor mehreren Jahren habe er diesmal nicht, betonte Anschober. "Ich bin überarbeitet und ausgepowert – das ist es."

Pause nicht möglich

Die Ärzte hätten ihm zur Schonung und einer Auszeit geraten, und er sei auch der Meinung, dass dies grundsätzlich in jedem Beruf möglich sein müsste - aber in der Corona-Pandemie sei man eben nicht in einer normalen Situation. Die Pandemie mache keine Pause, deshalb könne auch der Minister keine Pause machen. Da er sich selbst kenne, wisse er auch, dass er stets 100 Prozent Leistung bringen wolle, auch wenn er nur zur Hälfte fit sei.

»Ich habe mich da sehr oft sehr alleine gefühlt«

Zunahme der Aggressivität als besondere Belastung

Als besonders belastend wertete Anschober, der seit November unter Polizeischutz steht, die "Zunahme der Aggressivität" eines kleinen Teils der Bevölkerung ab der zweiten Infektionswelle im vorigen Herbst. Damals habe man "gerade noch rechtzeitig die Notbremse gezogen". In der dritten Welle hätten die Interessenskonflikte dann immer stärker zugenommen, beklagte Anschober und zeigte sich froh, dass ihm noch gelungen sei, die Öffnung der Gastgärten "mit aller Kraft" zu verhindern. "Ich habe mich da sehr oft sehr alleine gefühlt", so der Minister, der an dieser Stelle explizit dem Wiener Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) dankte, die ÖVP aber mit keinem Wort erwähnte.

Montag kommt NachfolgerIn

Er habe sich deshalb entschlossen, seine Funktion als Minister niederzulegen und Bundespräsident Alexander Van der Bellen gebeten, ihn mit kommendem Montag zu entbinden und einen Nachfolger anzugeloben. Bis dahin werde er von Kogler vertreten. Er wolle nun eine gute Übergabe sicherstellen, betonte Anschober.

Keine Pläne - aber politischer Roman als Traum

Für die Zeit nach seiner Erholung habe er "noch keine konkreten Pläne". Er werde sein Wissen und seine Kompetenz aus jahrelanger Regierungstätigkeit - Anschober war früher Landesrat in Oberösterreich - weitergeben. Auch wolle er "irgendwann" seinen Traum erfüllen und einen politischen Roman schreiben. Dafür habe er in seiner Zeit als Minister wohl "die eine oder andere Inspirationsquelle" gefunden.

Danksagungen mit Tränen

Am Ende seines emotionalen Statements bedankte sich Anschober mit den Tränen kämpfend bei seiner Partnerin, seinen Mitarbeitern, dem grünen Regierungsteam und dem grünen Klub sowie Werner Kogler, "meinem Freund". Dank sprach Anschober auch all jenen Menschen aus, die ihm Mails, Briefe, Blumen und Mehlspeisen geschickt haben. "Und Ihnen sag' ich Auf Wiedersehen", verabschiedete sich Anschober bei den Journalisten und verließ unter Applaus seiner Mitarbeiter den Saal. Fragen waren nicht zugelassen.

Die komplette Rücktrittsrede von Anschober zum Nachsehen:

Bilanz gezogen

In seiner Rücktrittsrede zog er Bilanz und lobte stets die gute Teamarbeit im Gesundheitsministerium. Man habe das Ministerium zu einem Steuerungszentrum gemacht.
Auch auf die Weisungen und Verordnungen ging er ein. Einvernehmlich hätte er es stets gestalten wollen zwischen Bund und Ländern. Das sei in diesen Zeiten, seiner Meinung nach, sehr wichtig.

Um diesen Konsens zu schaffen, seien aber natürlich auch erhebliche Mühen entstanden. Auch Parteitaktik und Populismus haben eine Rolle gespielt. Trotz Fehler glaube Anschober aber, dass auch vieles in Österreich in Sachen Pandemiebekämpfung richtig gemacht wurde, wobei er vor allem das Testen, aber auch das Impfen hervorhob.

Anschober sieht vier Problemfelder für die Zukunft

Er appelliert an alle, die in Zukunft Verantwortung tragen werden, die Pandemie nicht zu unterschätzen. Als Problemfelder nannte er die Mutationen, Menschen, die nach wie vor nicht testen gehen würden, die nicht impfen wollen und das Phänomen von Long-Covid, das seiner Meinung nach in Österreich noch viel zu wenig beleuchtet würde.

Dritter Rücktritt unter Türkis-Grün

Mit dem Rücktritt von Anschober verliert die im Jänner des Vorjahres angelobte Regierung bereits ihr drittes Mitglied. Davor waren bereit Kultur-Staatssekretärin Ulrike Lunacek (Grüne) sowie Arbeitsministerin Christine Aschbacher (ÖVP) abgetreten. Allein schon aufgrund seiner Funktion als Gesundheitsminister in einer Pandemie ist der Rückzug Anschobers das bisher bedeutendste Ausscheiden.

Kogler: "Danke, lieber Rudi."

Viezekanzler und Freund Werner Kogler dankte Anschober dafür, dass dieser ohne Pause für den Gesundheitsschutz in Österreich gearbeitet habe. "Es ist eine Herkulesaufgabe." Außerdem habe Anschober auch Fehler eingestehen können. "Wenn so viel gehobelt wird, dann fallen auch Späne", betonte Kogler, der auch Anschobers Beitrag zum Neustart der Grünen nach 2017 würdigte: "Danke, lieber Rudi."

Van der Bellen dankt für "unermüdliche Arbeit"

Die "unermüdliche Arbeit" des scheidenden Gesundheitsministers "in dieser so unendlich schwierigen und belastenden Zeit der Pandemie" würdigte Bundespräsident Alexander Van der Bellen. Van der Bellen dankte Anschober via Twitter "im Namen der Republik und auch ganz persönlich" für seinen Einsatz. Er wünschte dem Minister rasche Erholung und alles Gute für die Zukunft.

»Er hat sich in den vergangenen 16 Monaten für unser Land aufgeopfert «

Kurz wünscht schnelle Erholung

"Er hat sich in den vergangenen 16 Monaten für unser Land aufgeopfert sowie als Gesundheitsminister seine gesamte Energie in die Bekämpfung der Corona-Pandemie gesteckt", anerkannte Kanzler Sebastian Kurz - unter Hinweis auf nächtelange Sitzungen und "teils auch schwierige Verhandlungen" mit Anschober, "mit wie viel Engagement er seine Aufgabe" wahrgenommen habe. Von Beginn an habe er seine zentrale Funktion im Corona-Management "mit sehr großer Verantwortung ausgeübt". Anschobers Rücktritt zeige, "dass die Pandemie nicht nur für jeden Einzelnen in der Bevölkerung eine Belastung ist, sondern auch für einen politisch Verantwortlichen, der Tag und Nacht im Einsatz ist und Entscheidungen treffen muss", dankte Kurz dem scheidenden Minister "im Namen der Bundesregierung, aber auch ganz persönlich" - und wünschte schnelle gesundheitliche Erholung.

Rendi-Wagner: Respekt für "schwierige Entscheidung"

Dies tat auch SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner. Sie zollte Anschober "großen Respekt" für seine "schwierige Entscheidung" - und dankte ihm für seinen Einsatz in den "sehr herausfordernden 14 Monaten". Außerdem wünschte sie ihm - per Twitter - "von Herzen gute Besserung und persönlich alles Gute für Deine Zukunft".

SPÖ: "Menschlich letztklassig" von Kurz

Andere SPÖ-Politiker äußerten die Vermutung, dass - wie Vizeklubchef Jörg Leichtfried in einer Aussendung meinte - eine Ursache für Anschobers Entscheidung "sicher auch die fehlende Unterstützung des türkisen Koalitionspartners" sei. Ein Problem sei wohl gewesen, dass er bessere Umfragewerte als der Kanzler gehabt habe. Kurz habe Anschober "nicht nur völlig allein gelassen, ihn auch noch während seines Krankenstands attackiert. Das ist menschlich letztklassig", ergänzte SPÖ-Gesundheitssprecher Philip Kucher.

Anschobers Parteikollegen gingen darauf in ihren Reaktionen nicht ein. "Rudi, du hast die Gesundheit der Menschen in Österreich immer an die erste Stelle gestellt, jetzt muss deine eigene Gesundheit im Zentrum stehen", wünschte Klubobfrau Sigi Maurer namens des Grünen Parlamentsklubs rasche Erholung.

Hofer nutzt Gelegenheit für Kritik

FPÖ-Parteichef Norbert Hofer wünschte Anschober zwar "für seine Zukunft privat und gesundheitlich alles Gute" - nützte die Gelegenheit aber, um noch einmal scharfe Kritik anzubringen. Anschober sei "nicht die richtige Besetzung" für das Gesundheitsministerium gewesen und sein Rücktritt "die logische Konsequenz" aus "erheblichen Fehlentscheidungen", "vielen Pannen" (z.B. vom VfGH aufgehobene Corona-Verordnungen) und Überforderung bei der Impfstoffbeschaffung. Und Hofer hielte, wie er in einer Aussendung anmerkte, den Rücktritt der gesamten Regierung für angebracht.

Entscheidung für Meinl-Reisinger "Mahnung für Achtsamkeit gegenüber einem selbst"

"Großen Respekt vor der Entscheidung von Rudolf Anschober", bekundete NEOS-Chefin Beate Meinl-Reisinger und wünschte "ihm persönlich alles Gute". Seine Entscheidung sei "eine Mahnung für Achtsamkeit gegenüber einem selbst aber auch einander gegenüber" - und auch eine "gute Entscheidung für Österreich". Denn es brauche "Handlungsfähigkeit und Entscheidungsstärke und einen dringenden Neustart im Pandemie-Management". Als "große Leserin" freute sich Meinl-Reisinger, wie sie in einer Pressekonferenz sagte, auch auf den angekündigten Roman.

Vertrauen in die Krisenminister zuletzt gesunken

Mit Anschober verlässt ein zentrales Mitglied des "virologischen Quartetts" der Corona-Krise die politische Bühne. Gemeinsam mit Kanzler, Vizekanzler und Innenminister stand der Gesundheitsminister für die Krisenbekämpfung der Regierung. In den vom APA/OGM-Vertrauensindex erhobenen Persönlichkeitswerten hatten alle vier zuletzt stark abgebaut. OGM-Chef Wolfgang Bachmayer sieht den Wechsel daher auch als Versuch eines Befreiungsschlages.

Anschober hatte noch im März des Vorjahres einen Spitzenwert von 49 Prozent erreicht. Damals gaben zwei Drittel der Bevölkerung an, dem Gesundheitsminister zu vertrauen, nur 17 Prozent taten das nicht (der Rest machte keine Angaben). Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) kam sogar auf 51 Prozent. Auch der Grüne Vizekanzler Werner Kogler (36) und ÖVP-Innenminister Karl Nehammer (29) erreichten außerordentlich gute Werte.

Mit andauernder Krise nahm das Vertrauen in das "virologische Quartett" allerdings kontinuierlich ab - auf zuletzt nur noch neun Prozent für Kurz und zwei Prozent für Anschober und Kogler. Nehammer landete mit einem Vertrauens-Saldo von -1 sogar im negativen Bereich.

Befreiungsschlag?

Bachmayer ortet im nun vollzogenen Wechsel im Gesundheitsministerium daher auch den Versuch eines Befreiungsschlages. Der Arzt Mückstein könne zudem als Wettbewerber für SP-Chefin Pamela Rendi-Wagner positioniert werden. Er rechnet damit, dass sich die Werte der Regierung mit fortschreitender Impfung wieder "seicht aber nachhaltig" nach oben entwickeln könnten, aber: "So ein Hoch wie zu Beginn der Krise ist undenkbar."

Kurz bezieht Abschieds-Kritik nicht auf sich

Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) will die vom zurückgetretenen Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) beim Abschied geäußerte Kritik nicht auf sich bezogen wissen. Anschober hatte beklagt, in der dritten Infektionswelle allein gelassen worden zu sein. Kurz meinte dazu, er habe so viel Zeit mit Anschober verbracht wie mit kaum einem anderen Regierungsmitglied. Zwar sei man manchmal unterschiedlicher Meinung gewesen, aber: "nicht einmal die Experten sind sich immer einig."

Auf die Zusammenarbeit mit Anschobers designiertem Nachfolger Wolfgang Mückstein freut sich Kurz nach eigenem Bekunden. Dass dieser als Arzt zwar ein Experte ist, aber über kaum politische Erfahrung verfügt, hält Kurz nicht für ein Problem. "Wir haben immer wieder Experten in die Regierungen geholt", verwies der VP-Chef auch seine Minister Heinz Faßmann und Martin Kocher. Das habe sich als sehr positiv erwiesen.

Dass das Gesundheitsministerium, das ja auch die Bereiche Soziales und Konsumentenschutz umfasst, zu groß sein könnte, wies Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) zurück. Die Ressorteinteilung sei "machbar". Außerdem habe Mückstein diese Themen schon bei den Koalitionsverhandlungen mitverhandelt: "Er hat ja in vielen dieser Bereiche Erfahrungen gemacht."

Anschobers zum Abschied - ohne Namen zu nennen - geäußerte Kritik, wollte Kurz nicht auf sich bezogen wissen. Wer Verantwortung trage, habe natürlich damit zu kämpfen, als Letztverantwortlicher oft alleine zu sein, sagte Kurz zu Anschobers Kritik, in der dritten Infektionswelle alleine gelassen worden zu sein. Und Anschobers Populismusvorwurf wollte Kurz ebenfalls nicht auf sich gemünzt sehen. Lieber verwies er auf "eine Ärztin" (gemeint wohl SP-Chefin Pamela Rendi-Wagner), die sich im Herbst noch gegen Schulschließungen ausgesprochen habe. Dass man "Kinder als Opfer unserer Politik" bezeichnet habe, "das ist mir damals menschlich sehr nahe gegangen", so Kurz, der appellierte, Politiker nicht nur beim Rücktritt als Menschen zu sehen.