Rudolf Anschober: "Die nächste Pandemie kommt bestimmt"

Er war Gesundheitsminister und zuvor oö. Energielandesrat. Jetzt fordert Rudolf Anschober einen U-Ausschuss wegen der Abhängigkeit Österreichs von russischem Gas. Und er warnt vor einem Corona-Lockdown im Sommer.

von Politik - Rudolf Anschober: "Die nächste Pandemie kommt bestimmt" © Bild: Ricardo Herrgott

Zur Coronapandemie und zur Klimakrise kommen jetzt auch der Ukraine-Krieg und die Gaskrise. Was macht Ihnen die größten Sorgen?
Wenn man sich die Bilder der auf verbrecherische Art und Weise gequälten Zivilbevölkerung in der Ukraine ansieht, dann ist das schon eine ganz andere Dimension. Die Klimakrise ist etwas Langfristiges, wo das Sterben schon da ist, aber es passiert still. Bei der Pandemie könnten wir eigentlich selbst steuern und tun es zu wenig. Und zur Gaskrise muss man sagen: Da haben wir uns über Jahrzehnte abhängig gemacht. Vor allem in den letzten Jahren, als man eigentlich schon wusste, wie Putin tickt.

Die Technologien, um vom Gas wegzukommen, gibt es bei der Raumwärme schon lang. Den Ex-Energielandesrat gefragt: Warum sind wir nicht schon viel weiter?
Als ich Landesrat war, haben wir die "Energiezukunft 2030" fixiert. Wir wollten bis dahin unabhängig von fossilen Energieträgern werden -und das in einem Industrieland wie Oberösterreich. Wir haben auch die entsprechenden Maßnahmen beschlossen: Solarpflicht im öffentlichen Wohnbau, Windkraftausbau oder die Abwärmenutzung im Bereich der Industrie, wo wir, statt Fließgewässer aufzuheizen, die Fernwärme forciert haben. Wir waren europaweit eine Modellregion. Aber mit dem Wechsel zu Schwarz-Blau sind viele dieser Maßnahmen gecancelt worden. Dabei ging es bei diesen neben dem Klimaschutz auch um die soziale Sicherheit stabiler Energiepreise. Wir sehen ja jetzt, was es bedeutet, wenn es der, von dem du abhängig bist, nicht gut mit dir meint. Die Preise explodieren.

Sie waren ja unter Schwarz-Blau durch den Proporz immer noch Landesrat, wenn auch nicht mehr für Energie. Warum haben Sie nicht dagegengehalten?
Ich habe natürlich protestiert und argumentiert, aber Schwarz-Blau hat die Mehrheit in der Landesregierung und ist drübergefahren. Jetzt wäre der allerletzte Zeitpunkt, ganz fundamental die Energiewende umzusetzen. Wenn ich mich hier umschaue, auf keinem einzigen Dach gibt es eine Solaranlage. Das können wir uns nicht mehr leisten. Auf jedem Dach müssen Strom und Wärme erzeugt werden. Wir müssen damit aufhören, dass wir erneuerbare Energieträger, wie etwa auch die Windenergie, selbst verhindern, es braucht eine neue Politik des Ermöglichens, des Zulassens und des Umsetzens. Ein Ende von Blabla. Es ist sehr spät, aber noch nicht zu spät für Klimaschutz.

»Es braucht eine Politik des Ermöglichens, des Zulassens, des Umsetzens. Ein Ende von Blabla«

War vielleicht aus heutiger Sicht das Ziel 2030 schon zu wenig ambitioniert? Gas war billig, kam aus dem Rohr und Gasthermen waren weiterhin billiger als andere Optionen.
In Oberösterreich sicher nicht. Aber um das Ziel bis 2030 zu erreichen, hätten alle geplanten Maßnahmen umgesetzt werden müssen. Das ist bis 2015 passiert. Dann nicht mehr.

In einem "Profil"-Interview schildert der frühere OMV-Chef Gerhard Roiss, wie ab 2015 die Abhängigkeit Österreichs von russischem Gas noch ausgebaut wurde.
Es war ja über Jahrzehnte absolut verständlich, dass man froh darüber war, dass man Erdgas aus Russland bekommt. Das Problem ist, dass Diversifizierungen auf verschiedene Lieferländer unterblieben sind und die Umstellung auf erneuerbare Energieträger aus der Region vielfach blockiert wurde. Ich denke, wir müssen die Ursachen dafür, dass wir uns immer stärker abhängig gemacht haben, finden. Ich bin sehr für einen Untersuchungsausschuss, der aufklärt, wie es dazu kam, dass wir jetzt, ohne es zu wollen, Putins Krieg mitfinanzieren. Seine Kriegskasse wird durch Gasexporte nach Europa gefüllt. Seit Kriegsbeginn hat er damit zehn Milliarden Euro eingenommen. Nun gibt es auf europäischer Ebene das Ziel, die Gasimporte innerhalb eines Jahres auf ein Drittel zu reduzieren. Das ist ambitioniert, aber unausweichlich.

Wann soll der U-Ausschuss im Parlament starten?
Nach dem Korruptions-U-Ausschuss, aber man kann ihn schon jetzt beschließen und dann mit Ruhe, Zeit und Professionalität untersuchen, was da wirklich passiert ist. Warum ist es so, dass manche Rechte und rechtsextreme Gruppen sich sowohl als Coronaleugner als auch als Putin-Versteher positionieren? Warum hat es einen Freundschaftsvertrag der FPÖ mit der Putin-Partei gegeben, den sie inzwischen beendet hat? Warum hat sich Russland gezielt Altpolitiker in Österreich gesucht, die mit gut dotierten Verträgen ausgestattet wurden? Bei den Geheimdiensten spricht man von "elite capture", vom Versuch, negative Meinungen und Stimmungen in einem Land dadurch zu beenden, dass man Meinungsträger unter Vertrag nimmt.

© Ricardo Herrgott

Es geht also nicht nur um die Abhängigkeit von Gas, sondern generell um fragwürdige Vernetzungen zwischen Österreich und Putins Russland?
Ich unterstelle niemandem, dass er korrupt war oder dass es zu unmoralischen Geldflüssen gekommen ist. Aber ich glaube, dass das geklärt gehört. Darauf hat die Bevölkerung ein Anrecht. Bei einem U-Ausschuss geht es ja auch darum, dass Dinge nicht noch einmal passieren.

Grünen-Chef Werner Kogler sprach von einem "roten Teppich mit Schleimspur", der für Putin ausgerollt wurde. Kammer-Chef Mahrer fordert eine Entschuldigung. Zu Recht?
Werner Kogler kann sehr pointiert formulieren. Die Reaktion des Herrn Mahrer war sichtlich betroffen. Die Wahrheit ist meiner Erfahrung nach die: Teile der Wirtschaftskammer und der Industriellenvereinigung haben die Energiewende blockiert. Die haben lobbyiert, damit die Dinge so bleiben, wie sie sind, sprich: damit das Geschäft mit fossilen Energieträgern so weiterläuft. Wir wissen doch seit den 1990er-Jahren, dass wir uns das schon aus Klimagründen nicht leisten können. Umso erstaunlicher war, dass Österreich kaum Fortschritte gemacht hat, obwohl wir in den 80er-und 90er-Jahren Vorreiter waren. Wo sind denn die Programme für einen drastischen Ausbau der Windkraft, der Sonnenenergie, der Geothermie, der Biomasse? Jetzt scheint da draußen die Sonne. Die schickt uns keine Rechnung. Da braucht man nur einen Kollektor, der in Österreich jetzt sogar großartig gefördert wird. Man hätte damit auch noch Jobs geschaffen. Stattdessen hat man auf die bequemere etablierte Methode gesetzt und 2018 den Gastvertrag auch noch verlängert.

Den Ex-Politiker gefragt: Warum tun sich ehemalige Politiker, wie Christoph Leitl oder Heinz Fischer, so schwer damit, zu sagen: "Wir haben uns in Putin geirrt"? Wieso kann man Fehler nicht zugeben?
Das betrifft nicht nur Altpolitiker. Aber sie hätten es leichter als im Amt befindliche. Wir tun uns doch insgesamt schwer in unserer Gesellschaft, zu sagen: "Ich habe einen Fehler gemacht." Fehlerkultur ist etwas, das wir lernen müssen. Ich habe meine Fehler als Gesundheitsminister gemacht und das öffentlich zugegeben, versprochen, dass ich versuche, daraus zu lernen. Ich habe darauf immer extrem positive Reaktionen bekommen. Es glaubt ja sowieso kein Mensch, dass Politikerinnen und Politiker allwissend, allmächtig und fehlerlos sind. Es wünscht sich jeder, dass das Menschen wie du und ich sind. Wir alle machen Fehler, und das Wichtigste ist, dass man daraus lernt. Ich kritisiere nicht, dass man Putin empfangen hat. Aber wenn man ihn trifft, hätte man Klartext reden müssen in Sachen Menschenrechte und friedlicher Umgang mit den Nachbarn. Unsere größten Verbündeten in Russland -es geht ja nicht um "die Russen", das sind wunderbare Menschen, es geht um Putin - sind die mutigen Menschen aus der Zivilgesellschaft. Ehrlich: Was haben wir getan, damit wir jene Menschen stützen, die in Russland versucht haben, die Demokratie voranzutreiben, und es auch heute auf unglaublich mutige Weise tun?

»Ich unterstelle niemandem, dass er korrupt war. Aber ich glaube, dass das geklärt gehört«

Hunderttausende Menschen müssen aus der Ukraine fliehen. Wie gut ist Österreich darauf vorbereitet, ihnen zu helfen?
In den unmittelbaren Nachbarländern der Ukraine wird Sensationelles geleistet. Da wurden bereits mehr als eine Million Menschen aufgenommen. Auch bei uns ist die Stimmung so, dass man sagen kann, dass Österreich ein Land der großen Herzen ist. Darauf sollten wir stolz sein und weitertun. Ich finde es großartig, dass die EU erstmals eine gemeinsame Regelung schafft, die unbürokratisch den Aufenthalt für zunächst ein Jahr und den Zugang zum Arbeitsmarkt ermöglicht. Darum habe ich als Integrationslandesrat gekämpft. Das ist absolut notwendig, denn die Integration erfolgt über die Möglichkeit, zu arbeiten. Für hoch gefährlich halte ich aber, was von einzelnen Staaten oder Parteien angedacht wird: dass man differenziert zwischen ukrainischen Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern und Menschen aus anderen Ländern, die in der Ukraine studieren und nun auch flüchten müssen. Sie mussten alle vor einem verbrecherischen Krieg flüchten und müssen gleich behandelt werden.

Migrationsforscher Gerald Knaus hat in einem Interview sinngemäß gemeint, wenn wir zulassen, dass wir auf dem Rücken dieser Flüchtlinge unsere Gesellschaft spalten, hat Putin gewonnen.
Es war ganz offensichtlich über Jahre eine Strategie von Putin, im Westen Spaltungsversuche durchzuführen. Damit hört er nicht auf und darum ist es so wichtig, dass seine verbrecherische Vorgangsweise eine entschlossene Antwort erhält. Die kann nur die Botschaft der Solidarität, der Menschlichkeit, des Miteinanders und des Zusammenhalts sein. Putin hat sich verspekuliert. Er hat wesentlich zum Zusammenhalt, den es jetzt gibt, beigetragen.

Wie schnell können Schutzsuchende aus der Ukraine hier in Österreich integriert und am Arbeitsmarkt untergebracht werden?
Sie sind vielfach sehr gut ausgebildet. Zusätzlich ist es aber wichtig, diesen Menschen rasch Zugang zu Ausbildungsmaßnahmen oder z. B. zu einer Lehre zu geben. Flucht ist generell ja keine Krise, sondern eine Chance für beide Seiten, da wir ja in vielen Bereichen auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter suchen. Meine Einschätzung ist allerdings, dass die allermeisten, die jetzt kommen, das Ziel haben, rasch wieder in ihre Heimat zurückgehen zu können. Da sind ja Familien getrennt. Die Ehemänner und Väter kämpfen in der Ukraine und die Mütter und Kinder sind hier.

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Zu Corona: Sind die nächsten 14 Tage entscheidend?
Es ist in ganz Europa offensichtlich der Geduldsfaden gerissen. In fast allen Staaten hat man, als die Corona-Zahlen hoch waren, Öffnungen durchgeführt. Das ist, vorsichtig formuliert, nicht sehr klug. Ich glaube, es wird wieder ein Mindestmaß an Maßnahmen brauchen, etwa die FFP2-Maske in Innenräumen, sonst fahren wir mit Vollgas auf den nächsten Lockdown zu. Der kommt dann in zwei, drei Monaten, je nachdem, welche Varianten des Virus die nächsten sind. Deswegen sollte man jetzt vorsichtig sein, schauen, dass wir die Zahlen wieder runterkriegen, und die Strategie für den Herbst rasch vorbereiten.

Zwei, drei Monate: Das wäre ein Lockdown im Sommer, wo wir bisher immer Corona ein bisschen vergessen konnten und wollten.
Der Sommer ist normalerweise die Phase, die es am besten mit uns meint, was das Risiko der Pandemie betrifft. Aber wenn man zuschaut, wie sich die Zahlen weiter aufschaukeln, und diese völlige Öffnung weiter praktiziert wird, dann werden wir spätestens im September in eine schwierige Situation hineintrudeln. Sie ist ja jetzt schon, und das ärgert mich wirklich, in vielen Spitälern schwierig. Es sind nur nicht die Intensivstationen betroffen, sondern die Normalstationen. Was offensichtlich nicht bedacht wurde, ist, dass es sehr viele Erkrankte beim Pflegepersonal gibt und sich daher die Kapazitäten in den Spitälern drastisch reduziert haben. Wir sind heute bei fast 2.800 Coronapatienten in den Normalstationen. Das ist dramatisch hoch.

Sie sind vor einem Jahr als Gesundheitsminister zurückgetreten. Wie schwierig ist es für Sie, sich vom Thema Corona zu lösen - nicht nur, weil Journalistinnen und Journalisten Sie fragen: Schauen Sie noch immer auf die Zahlen und grübeln?
Ich schaue natürlich auf die Zahlen. Nachdem ich beschlossen habe, ein Buch über die Pandemie zu schreiben, konnte ich mich noch einmal intensiv damit auseinandersetzen. Das ist ein Glück, weil ich noch einmal einen ganz anderen Blick auf die Dinge werfen konnte, eine Aufarbeitung durchführen kann, für die während meiner Amtszeit die Zeit gefehlt hat. Ich habe mit vielen Betroffenen geredet, das war ein ziemlicher Lerneffekt. Den möchte ich in dem Buch weitergeben. Wir wurden als Gesellschaft von dieser Pandemie verändert, wir sollten lernen, damit sich gewisse Fehler nicht wiederholen und wir uns für das nächste Mal besser aufstellen. Denn eines ist sicher: Die nächste Pandemie kommt bestimmt. Die Frage ist nur, wann.

Das Interview erschien ursprünglich im News 11/2022.