"Es war blankes Chaos"

Drei österreichische Augenzeugen schildern den Moment, als die Bomben hochgingen

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    Die Bomben von Boston: Laut Ermittlern wurden die Sprengkörper in Nylontaschen an den Tatort transportiert.

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    Die Ermittler sichern die Überreste der Bomben.

Doris Korcak, 45, aus Graz

"Ich habe auf meinen Mann bei der Ziellinie gewartet. Plötzlich ging die erste Bombe hoch. Die Detonation war gewaltig, ich schreckte zusammen, wusste zunächst gar nicht, was da eigentlich los war. Erst als ich die riesige Rauchwolke aufsteigen sah und Menschen rings um mich um ihr Leben rannten, erfasste mich die Panik. Ich bin einfach losgelaufen. Mein Mann war noch nicht im Ziel, ich hoffte, dass er nur langsam genug war. Die Leute haben wild durcheinander geschrien, suchten verzweifelt nach Angehörigen. Es war blankes Chaos.

Dann habe ich nach einem Stift gesucht und nach irgendetwas, auf das ich den Namen meines Mannes schreiben konnte. Ich wankte mit dem Plakat durch die Menge, hielt es in die Luft, in der Hoffnung, dass mein Mann es sieht. Es waren unerträgliche Minuten der Ungewissheit. Lebt er, ist er tot? Auch das Handy ging nicht. Ich weiß nicht mehr, wieviel Zeit vergangen ist, als es endlich piepste. Ein SMS vom Reiseveranstalter. Er schrieb, dass mein Mann noch am Leben ist, es ihm gut geht. Mir fiel ein Stein vom Herzen. Das waren sicherlich die schlimmsten Momente meines Lebens.“

Thomas Korcak, 48, aus Graz

"Ich war rund 600 Meter vom Ziel entfernt, als ich einen lauten Knall hörte. Dann kamen plötzlich Sicherheitskräfte auf uns zu und stoppten das Rennen. Ich erkannte an der Reaktion der anderen, dass etwas nicht stimmen konnte. Gesehen habe ich aufgrund der relativ scharfen Kurve vor dem Ziel nichts. Die Amerikaner rund um mich haben mit ihren Handys versucht, mehr zu erfahren. Das Netz war da aber schon abgeschalten - aus Sicherheitsgründen, wie wir später erfuhren. Ich hörte aber, wie einige von Bomben, von einem Anschlag sprachen. Was ich fühlte, kann ich nicht mehr sagen. Man muss bedenken, dass wir gerade 41 Kilometer gelaufen waren. Ich war geistig und körperlich am Ende. Da wir nicht weiter durften, haben uns Zuschauer mit Wasser und Müllsäcken versorgt. Müllsäcke deshalb, damit wir nicht auskühlen. Wir mussten sicher eine Stunde warten, langsam stieg die Unruhe. Doch niemand hatte genaue Informationen.


Mein Hotel war direkt neben dem Ziel, trotzdem war es unerreichbar für mich. Endlich wurden wir über eine Parallelstraße zu unseren Sachen geführt. Erst nach vier Stunden war ich wieder bei den anderen Österreichern. Dort traf ich auch auf meine Frau. Ich bin der Katastrophe nur um fünf Minuten entgangen. Dann wäre ich nämlich im Ziel gewesen. Ich hatte gewaltiges Glück - doch der Schock sitzt tief.“

Gertraud Haller-Peck, 56, aus Andau/Bgld.

"Der Montag war ein außergewöhnlich schöner Tag. Der erste Sonnenschein nach einer trüben Woche. Die Stimmung unter den Läufern war gut. Ich bin nach drei Stunden und 23 Minuten ins Ziel gekommen. 15 Minuten später war ich bereits im Hotel, als ich Sirenen hörte und aufgeregte Menschen auf der Straße sah. Ich schaltete den Fernseher ein, auf CNN liefen die ersten Live-Bilder. Ein Anschlag, hier in Boston, beim Marathon.

Meine Tochter Carmen war noch nicht zurück, ich wusste, sie war unter den Zuschauern. Panik ergriff mich. Minuten, die mir wie eine Ewigkeit vorkamen. Das Handy war tot. Ich versuchte es immer wieder, doch ich kam nicht zu ihr durch. Nach etwa 20 Minuten ging die Hoteltür auf, und Carmen stand aufgelöst vor mir. Aufgeregt erzählte sie mir, was vorgefallen war. Nach dem ersten Knall dachte sie noch an ein Feuerwerk. Dann ging die zweite Bombe hoch und Menschen rannten panisch durcheinander. Carmen lief los, wollte nur raus aus dem Gefahrenbereich. Polizisten schrien in die Menge, dass alle weiterlaufen sollten. Bloß nicht stehenbleiben. Durch den nahen Park sah sie das Hotel. Sie wusste, dass ich schon im Ziel war und vermutete mich im Zimmer. Meine Tochter hatte unglaubliches Glück. Sie wollte direkt zum Zieleinlauf, dort waren aber so viele Menschen, dass sie umdrehte und weit genug von den Explosionen entfernt war.

Am Tag nach dem Anschlag war es gespenstisch ruhig in der Stadt. Vereinzelt sah man Polizisten patroullieren. Im Hotel selbst merken wir noch immer nichts. Trotzdem wollen wir jetzt so schnell wie möglich zurück nach Österreich.“

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