Andrea Mayer: So will sie die Krise bewältigen

Vor eindreiviertel Jahren übernahm Andrea Mayer das abgewirtschaftete Kunst-Staatssekretariat. Jetzt laufen die Hilfsmaßnahmen aus, aber die alte Normalität naht nur zögernd. Und noch in diesem Jahr ist zu entscheiden, ob Burg und Staatsoper ihre amtierenden Direktoren behalten

von Andrea Mayer: So will sie die Krise bewältigen © Bild: (C)2022 Ricardo Herrgott/News

Die Kultur in Österreich politisch zu verwalten, war über die Jahrzehnte fast ein Selbstläufer: ein unerschöpfliches Biotop, blühend in allen Bereichen und in seinen prominentesten Ausprägungen von magnetischer, weltweiter Ausstrahlung. Die Klientel: nicht immer einfach, aber durch kluge Zuwendung zu überzeugen. Dann brach die Pandemie aus, und der kommod eingerichtete Altersruhesitz der kaum ernannten grünen Kunst-Staatssekretärin Ulrike Lunacek geriet in einen Orkan, der die hilflose Amtsinhaberin mit sich fortriss.

Endlose Sperren und Restriktionen

In dieser Situation übernahm im Mai 2020 die frühere Kunst-Sektionschefin Andrea Mayer, 59. Und jetzt? Nach zwei Jahren endloser Sperren und Restriktionen bahnen sich Vorformen einer labilen Normalität an. Aber das Publikum zögert, und am meisten litten unter den Sperren die Erfolgreichen, sonst immer Überlaufenen mit den hohen Einnahmen.

Und was, wenn die Leute gar nicht wiederkommen? Wenn sie sich ans Daheimbleiben gewöhnt haben? So las man zuletzt in Kommentaren. Müsste sich dann womöglich das ganze System ändern? Solche Überlegungen sind im spartanisch adaptierten Besprechungszimmer auf dem Concordiaplatz alles andere als wohlgelitten. "Natürlich", dringt es kämpferisch hinter der altrosa Maske hervor. "Aber ich beschäftige mich nicht mit Dystopien, und alle Anzeichen gehen in die andere Richtung: wie sehr uns Kulturbesuche fehlen, wenn wir sie nicht machen können. Das Publikum kommt auch in schwierigen Zeiten, es wird vermehrt kommen, wenn die Zeiten besser werden und spontane Besuche und Tourismus wieder möglich werden. Ich glaube, dass auch viele Häuser sehr kluge Überlegungen angestellt haben, das Publikum, das hier lebt, noch besser anzusprechen. Jetzt ist Zeit für Optimismus." Fast alles sei wieder in Betrieb, die Clubs und die Stehkonzerte leider noch nicht, aber auch da bestehe Hoffnung.

Die Hilfsmaßnahmen laufen aus

Nun laufen aber inmitten weiterhin belastender Umstände Ende März die schon einmal verlängerten Hilfsmaßnahmen aus. "So ist es derzeit vorgesehen, aber wenn Hilfe notwendig ist, hat die Bundesregierung noch nie gezögert." Im Notfall habe sich die Kunst auf die Regierung verlassen können und die Politik mit gezielten, präzisen Maßnahmen stets das Ihre getan. Alle Förderungen seien ausgeschüttet worden, auch wenn nicht gespielt werden konnte, das Kulturbudget sei zwei Mal signifikant erhöht und ein Neustartpaket von 20 Millionen Euro geschnürt worden. Dazu kämen 66,5 Millionen von der EU.

»Wir erleben ein sensationelles Liebesbekenntnis des heimischen Publikums für die Kunst«

Aber fraglos haben es die Unternehmen mit der höchsten Eigendeckung besonders schwer. Exemplarisch die Staatsoper, deren Direktor Bogdan Roscic im September 2020, mitten in der Pandemie, angetreten ist und sein zuvor von Touristen überranntes Haus mit Hilfe des Senders ORF III löwenmutig in permanentem Produktionsbetrieb gehalten hat. "Die Staatsoper hatte im Jänner eine Auslastung von ca. 60 Prozent, und da müssen wir die Verhältnisse umdrehen", mahnt die Staatssekretärin die andere Sicht an. "Obwohl fast keine Touristen im Land, die Infektionszahlen riesig und die Vorgaben, um überhaupt ins Haus zu kommen, erheblich sind, sind 60 Prozent der Maximalzahl besetzt. Das ist ein sensationelles Liebesbekenntnis des heimischen Publikums für die Kunst. Das ist großartig! Und auch die Theater und auch die kleinen Initiativen und Konzerthäuser halten sich. Natürlich gibt es Klagen, aber viele zeigen auch ermutigende Signale. Man macht zwei kürzere Konzerte statt eines langen oder man zieht die Tische auseinander. Aber man ist froh, dass man spielen kann. Es ist erstaunlich, wie resilient der Kunstbetrieb ist: ein Zusammenwirken von fantastischen Künstlern, professionellem Management und einer Kulturpolitik, die einfach ihr Geschäft macht."

Gleich nach Ende der härtesten Restriktionen habe sich die Situation zum Besseren gewandt, bestätigt man aus der Oper. Im Dezember bilanzierte man noch mit 85 Prozent Sitzplatzauslastung. Dann wurden für den Besuch drei Impfungen samt PCR-Test erforderlich, und da fiel man tatsächlich auf 62 Prozent, Karten im Wert von einer halben Million Euro mussten retourniert werden. Aber jetzt ziehe der Besuch rasant an, frohlockt man vom Ring. Können das Haus und seine Direktion also mit der Unterstützung des Eigentümers rechnen? "Ich stehe hinter allen Kulturbetrieben in Österreich, und die Verantwortung für die bundeseigenen ist noch einmal höher. Es gibt in der Staatsoper keine Liquiditätsengpässe, die Bundestheater haben 2020 und 2021 zusätzlich über 18 Millionen an Covid-Mitteln bekommen. Die Staatsoper sollte damit über die Runden kommen, zumal wir zusätzlich auch noch die Basisabgeltung erhöht haben. Sie wird von ihrer künstlerischen Strahlkraft nichts einbüßen müssen."

Verlängerung für Roscic und Kušej?

Und das nicht überrannte Burgtheater, das in der Pandemie keine Anwandlungen von Hyperaktivität erkennen ließ, sondern seine riesigen Personalkosten mit Hilfe der Kurzarbeit linderte und sich so dem Vernehmen nach sogar etwas ansparte? "Dieser Zuspitzung möchte ich mich ungern anschließen. Ich will auch die Strategien der einzelnen Häuser nicht gegeneinander aufrechnen es sind unterschiedliche Charaktere am Werk, jeder geht mit der Krise anders um, aber im Grunde bemühen sich alle um ihre Häuser. Der Herr Staatsoperndirektor hat sich besonders bemüht, im Lockdown den Betrieb durch Streaming aufrechtzuerhalten und die Staatsoper positiv in allen Sinnen der Öffentlichkeit zu halten. Aber auch das Burgtheater hatte in den letzten Monaten angesichts der Extremsituation eine Auslastung von rund 60 Prozent. Außerdem hat man die Zeit für eine seit Langem notwendige Erneuerung der Bestuhlung genutzt." Welche just eingebaut wurde, als das Haus im Frühsommer 2021 nach sieben Monaten Sperre wieder hätte spielen dürfen. "Man kann immer alles kritisieren, aber wichtig ist, dass es geschehen ist. So eine Maßnahme hat ja auch einen monatelangen Vorlauf, das wurde lang vor der Bekanntgabe der Öffnung entschieden. Die Situation ist jetzt besser, also ist es okay."

© Matthias Horn/Burgtheater LÄRM. BLINDES SEHEN. BLINDE SEHEN! Frank Castorfs furiose Jelinek-Inszenierung im Akademietheater ist ein selten gespieltes Atout der Direktion Martin Kušej

Für beide Häuser steht noch in diesem Kalenderjahr Entscheidendes an: Die Verträge der Direktoren Bogdan Roscic und Martin Kušej stehen nach je einer Amtszeit zur Verlängerung an. Wohin neigt sich denn da das Orakel? "Ich nehme keine Personalspekulationen vor", wehrt die Staatssekretärin da gleich ab. Man werde bewährterweise ausschreiben, ein Personalberatungsbüro und eine Auswahlkommission bemühen. Aber wozu, lautet da die Frage. Was versteht ein Personalberater von Kunst? Und wird ein Politiker nicht dafür bezahlt, selbst zu einem Ergebnis zu kommen und dafür gegebenenfalls geradestehen zu müssen? "Die Entscheidung liegt am Ende immer bei der Politik, das ist völlig klar. Und ich werde auch gerne für jede meiner Entscheidungen geradestehen. Eine externe Personalberatung beizuziehen hat sich aber trotzdem bewährt. Sie wickelt das Verfahren professionell ab und ist eine völlig objektive Stimme, die der jeweiligen Auswahlkommission zur Seite steht. Es geht ja bei diesen Entscheidungen nicht nur um das Kunstverständnis, sondern auch um Managementqualitäten, Führungs-und Teamfähigkeit, Kommunikation und vieles mehr."

»Die Staatsoper ist ein Haus von besonderer Strahlkraft, und es ist wichtig, dass sie international wirkt«

Ein freundliches Wort für den besessenen Einsatz des Operndirektors in der Pandemie? "Ihm ist tatsächlich sehr viel gelungen, und seine Leidenschaft für das Haus war immer erfahrbar und spürbar." Und die teils rasende Ablehnung seines szenischen Konzepts durch außer Kontrolle geratende Besucher? "Die Staatsoper ist ein Haus von besonderer Strahlkraft, und es ist wichtig, dass sie international wirkt. Das ist gerade sehr gut der Fall. Man schaut wieder nach Wien, was hier passiert, und das Orchester war während der gesamten Krise fantastisch geführt. Also ja: Es passt."

Da sich Viertiefendes zu den Verlängerungs-Causae nicht ankündigt: Wie geht es denn der "Josefstadt"? Verwöhnt durch ein scheinbar unbegrenzt leidensfähiges Abonnentenpublikum, konnte sie sich als aktivstes Uraufführungstheater der Stadt profilieren und trotzdem fabulöse Eigendeckungszahlen präsentieren. Dann kam die Pandemie, und jetzt ist es hart geworden. Nicht weil wie in der Oper die Touristen fehlen, was wollten die schon in einem Sprechtheater zu finden hoffen. Sondern weil das dem Teenageralter entreifte Publikum verzagt und müde geworden ist.

Wie geht es der "Josefstadt"?

Zudem hatte sich Direktor Herbert Föttinger in den ersten Monaten der Pandemie an die Spitze des Widerstands gegen die in Hilflosigkeit erstarrende Staatssekretärin Lunacek gesetzt. Dann hatte man unter Einsatz beträchtlicher Charakterstärke die Kurzarbeit lang nicht in Anspruch genommen. Weil sonst das technische Personal in prekäre Verhältnisse geraten wäre, stellte die auf Drängen der Politik bemühte Wirtschaftsprüfungskanzlei fest, als sich darob Schuldenlasten auftürmten.

»Das Haus hat in Wien und weit über die Stadt hinaus eine tolle Position. Ich schätze es sehr«

Die Stadt Wien zeigte sich demonstrativ solidarisch, wohingegen der Bund auffallend zögerte. Schon dachte man an ein Vergeltungskommando für die gemeuchelte Lunacek. Die "Josefstadt", sagt die Staatssekretärin, sei trotz hoher Abonnentenzahlen und bester Auslastung "immer wieder" in Schwierigkeiten gewesen, diesfalls nicht nur pandemiebedingt, sondern auch aus strukturellen Gründen. Aber die Wirtschaftsprüfung habe plausible Erkenntnisse erbracht, und so habe man gemeinsam mit der Stadt nicht nur die Subvention erhöht, sondern auch 5,5 Millionen zur Entschuldung überwiesen. All das, sagt die Staatssekretärin, sollte reichen (woran mancherorts gezweifelt wird). "Wir sind mit dem Theater und seinem Direktor, der für sein Haus brennt, in gutem Gesprächseinvernehmen. Das Haus hat in Wien und weit über die Stadt hinaus eine tolle Position. Ich schätze es sehr."

Volkstheater in schwieriger Situation

Und das noch weit weniger als spärlich besuchte Volkstheater unter dem neuen Intendanten Kay Voges? Im Dezember, als man noch hätte spielen dürfen, wurde freiwillig zugesperrt, weil ohnehin niemand kam. Und das nach endloser Renovierung. Das Volkstheater sei in einer schwierigen Situation, die Intendanz ganz neu in Österreich, und das mitten in der Krise, räumt die Staatssekretärin ein. "Aber ich denke, dass jetzt die Zeichen verstanden wurden: Es geht darum, sich um das Publikum zu bemühen, und von einigen Produktionen kann damit gerechnet werden, dass sie beim Publikum ankommen. Ich bemerke auch eine Offensive in der Öffentlichkeitsarbeit. Man bemüht sich, und das Haus ist mit 28 Millionen toll renoviert worden, überwiegend getragen von der öffentlichen Hand. Jetzt muss es inhaltlich-künstlerisch zum Strahlen gebracht werden." Die eben bekannt gewordene doppelte Einladung zum Berliner Theatertreffen lasse schon etwas erhoffen. Und der freiwillige Lockdown, über den sie sich nur begrenzt amüsiert gezeigt hatte? "Ich bin prinzipiell eher über geöffnete Häuser mit hohen Besucherströmen glücklich."

Theaterschließung kein Problem?

Nun ließ die grüne Kultursprecherin Eva Blimlinger, die das Amt selbst gern bekleidet hätte, kürzlich wissen, sie hätte mit Theatersperren kein Problem. Ob die Staatssekretärin der Parteifreundin da folgen möchte? Unter und über der Maske zeigt sich sachte Ungeduld. "Ich bin in der Realität verhaftet und habe alle Hände voll damit zu tun, dass die bestehenden Institutionen gut durch die Krise kommen. Dafür setze ich mich rund um die Uhr ein. Eva Blimlinger wurde verkürzt interpretiert. Sie wollte nicht aktuell eine Institution zusperren, etwa um sich Hilfsleistungen zu ersparen. Sondern sie sagte perspektivisch, wenn ein Haus auf Dauer nicht mehr funktioniert, kann man darüber nachdenken, es anders für die Kultur zu verwenden." Und? "Mein Ziel ist es, die Häuser angesichts dieser Jahrhundertkrise zu erhalten." Auch auf längere Sicht? "Ich will nicht spekulieren. Schauen wir uns einmal die Situation in ein, zwei Jahren an, ob die Pandemie vorbei ist und wie die Betriebe dann dastehen."

»Mein Ziel ist es, die Häuser angesichts dieser Jahrhundertkrise zu erhalten«

Kein Billa im Volkstheater

Der Billa am Volkstheater-Standort Arthur-Schnitzler-Platz ist also keine Perspektive? "Nein, für mich nicht." Hält die Staatssekretärin eine Bühne für mittelfristig gefährdet? "Da hätte ich keine auf dem Radar." Hat man die Kulturinstitute etwa übereilt und übertrieben lang geschlossen? "Es wird in so einer Krise immer Entscheidungen geben, die nicht konsistent aussehen. Mir war immer wichtig, dass die Kultur bei den Öffnungsschritten, die möglich sind, dabei war. Und ich glaube, dass das grosso modo gut gelungen ist."

Die erste markante Entscheidung, die Andrea Mayer im Amt getroffen hat, galt der Volksoper. Der populäre Direktor Robert Meyer demissioniert im Juli, ihm folgt die szenisch ehrgeizig ansetzende niederländische Regisseurin Lotte de Beer, 40. Pocht da ob des Risikos nicht leise das Politikerinnenherz? "Nicht leise, sondern laut, weil ich mich so auf Lotte de Beer freue. Sie ist eine strahlende, leidenschaftliche Künstlerin und hat so viel vor, spricht mit so einer Zuneigung über das Haus und liebt die Operette."

Das Gespräch neigt sich schon, dabei wäre noch so Schönes zu erörtern: der Österreich-Schwerpunkt der Leipziger Buchmesse zum Beispiel, die allerdings soeben auf das Jahr 2023 verschoben wurde. Überhaupt die Freude an der Aufgabe in einem Land fantastischer Kunst-Obwaltung mit derzeit fünf Filmen bei der Biennale!

Wiederbelebung des Kunst-Biotops

Und die Wiederbelebung des magischen Kunst-Biotops bei den Staatsateliers im Prater! Im schönsten steht übrigens noch die wuchtige Hinterlassenschaft des Bildhauers Alfred Hrdlicka, und die Witwe will nicht weichen. Die Verlagerung solcher Volumina sei eine komplizierte Aufgabe, sagt die Staatssekretärin. Aber nach Jahren des Verhandelns müsse sich eine Lösung abzeichnen. Auch unter zartem Druck? "Ja." Sehr zart oder in Lobau-Intensität? Die sei für das Kulturleben nicht der Maßstab, wehrt die Politikerin ab. Zwischen reinen Interessen an einer Immobilie und deren sinnvoller Nutzung und dem Respekt vor einem großen Werk sei abzuwägen. Aber das Ziel sei, sich in die Gegenwart zu wenden und die Lebenden zu unterstützen. Auch nach der Pandemie bleibt das Amt herausfordernd.

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 7/2022 erschienen.