Gernot Blümel scheint zu wissen, was er will

Die ÖVP startet mit ihrem Spitzenkandidaten, den amtierenden Finanzminister Gernot Blümel von Platz 4 in die Wiener Gemeinderatswahlen 2020. Wird sich Blümel durchsetzen können? Wie ist seine Rhetorik? Können wir bei Blümel‘s Auftritten Ähnlichkeiten zu Sebastian Kurz‘ Reden feststellen? Ein Gastbeitrag von Thomas W. Albrecht.

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Analyse - Gernot Blümel scheint zu wissen, was er will
Thomas Wilhelm Albrecht ist international renommierter Redner und Life-Coach für Rhetorik & Kommunikation. Er entwickelte einen speziellen Blick auf die Kunst der Rede als Ausdruck von Kultur und Wertehaltungen. In seinem Buch "Die Rhetorik des Sebastian Kurz | Was steckt dahinter?" beschreibt er die Wirkkraft von Sprache, Körperbewegung und Emotion. Er wird gerne gebucht, Menschen und Organisationen bei der Lösung kommunikativer Herausforderungen in Veränderungsprozessen zu begleiten. Mehr Infos unter twa.life/hello

Die Rhetorik einer Person zeigt auf, wie diese Person denkt. Sie fragen sich vielleicht, sind es nicht eher die Inhalte, die eine Partei oder eine Person ausmachen? Ja, es sind auch die Inhalte. Was jedoch - in Hinblick auf die Wirkung auf das Publikum – wirklich zählt, ist, wie diese Inhalte verpackt sind, in welcher Form und mit welchen Worten sie transportiert werden. Frei nach Vera F. Birkenbihl: „Mit den richtigen Worten kann man fast alles sagen.“

Körperhaltung à la Kurz

Blümel zeigt eine ruhige, aufrechte und tendenziell symmetrische Körperhaltung. Wir wissen aus der Psychologie, dass Körperhaltung und innerer emotionaler Zustand zu jeder Zeit korrelieren. Seine Körperhaltung folgt, wie jene von Sebastian Kurz, weitgehend dem Satir-Typ des sog. Levelers. Der Leveler in Reinform steht für Offenheit und Wahrheit.

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Seine Stimme klingt entspannt, seine Aussprache ist klar, die Intonation wahrnehmbar. Das macht es leicht, Satzanfang und Satzende zu erkennen und akustisch zu verstehen, was er sagt. Auffällig und etwas störend sind immer wieder auftretende Schmatzgeräusche, vor allem dann, wenn Blümel zu sprechen beginnt. Diese entstehen, wenn die Zunge am Gaumen „klebt“ und sich davon löst. Es ist eine Art von unbewusster Selbstberührung, von Anhalten, vergleichbar mit dem Festhalten am Rednerpult. Ließe man diese Selbstberührungen und das Festhalten gehen, so stiege die vom Publikum wahrgenommene Glaubwürdigkeit stark an.

Blümels Präsentation zur Vorstellung seines Teams für die Wien Wahl 2020 erinnert an Kurz‘ Regierungserklärung vom 20. Dezember 2017 im österreichischen Parlament. Er nennt uns den Grund seiner Rede, und somit das »Warum« wir ihm zuhören sollten. Zumindest am Beginn seiner Rede folgt er dem 4MAT-System, das aus vier Teilen besteht: dem WARUM-, dem WAS-, dem WIE und dem WOZU-Teil. Reden, die nach diesem Schema aufgebaut sind, sind für das Publikum leicht verständlich. Im WAS-Teil gibt uns Blümel ausreichend Zahlen, Daten und Fakten. Im darauffolgenden WIE-Teil stellt Blümel die Mitglieder seiner Landesliste vor. Er nennt uns die Namen der einzelnen Personen und teilweise auch den Grund für seine Auswahl.

Blümel verwendet weder Story-Telling noch Metaphern

Die Vorstellung der Mitglieder der Landesliste ließe sich für die Zuhörerinnen und Zuhörer in Form des »Krönungskommentars« deutlich spannender gestalten. Diese Form führt von einer allgemein gehaltenen Aussage hin zur Person, und stellt diese Person ins Rampenlicht, nicht die Sache. Die Form ist wie folgt: Zuerst nennt man das allgemeine Gebiet bzw. den Aufgabenbereich. Anschließend die besondere Bedeutung dieses Aufgabenbereichs. Dann das Spezifika der Person, die für den Listenplatz ausgewählt wurde. Erst am Schluss sagt man den Namen der Person. Der eigene Name hat für jeden Menschen einen besonders wertvollen Klang. Durch die Anwendung dieser Form der Vorstellung wird auf diesen besonderen Klang hingeführt. Die Person wird „gekrönt“. Deshalb die Bezeichnung »Krönungskommentar“.

Als Beispiel: „Für die Führung von Gruppen braucht es Elan, Motivation, Enthusiasmus und Erfahrung. Diese Eigenschaften sind entscheidend, wenn wir andere Menschen begeistern wollen. Ich darf Ihnen, und darüber freue ich mich sehr, unsere Kandidatin für den 2. Listenplatz vorstellen: Bernadette Arnoldner.“


Am Ende dieser Rede vermissen wir sowohl den WOZU-Teil als auch einen klaren Call-to-Action. Es wird nicht gesagt, wie das Leben der Wienerinnen und Wiener bei Wahl der ÖVP aussehen wird, und welche positiven Veränderungen die Wienerinnen und Wiener erwarten dürfen. Es wird auch nicht gesagt, was die Bürger:innen nun tun sollten. Dadurch geht eine Menge an Potenzial verloren, und das Publikum wird im Unklaren gelassen.

Das türkise Wertesystem

Gernot Blümel folgt ganz klar dem Wertesystem der Neuen ÖVP. Er wirkt, wie Sebastian Kurz, befreit von Ängsten, mit starkem Bewusstsein. Wissen ist die Basis, wenn es um Struktur und Prozesse geht. Er macht den Eindruck, genau zu wissen, was er will, und er sagt es auch. Seine Aussagen sind so formuliert, dass alle davon profitieren und niemand ins Abseits gestellt wird. Funktionalität und Konsequenzen haben einen hohen Wert. Der Fokus wird auf das Gute in allen Ebenen gelegt, auf ein harmonisches Kollektiv im globalen Flow. Gleichzeitig sollen jede:r für sich selbst, sowie für die Folgen des eigenen Handelns, verantwortlich sein.

Blümel verwendet weder Story-Telling noch Metaphern. Durch das Erzählen von Geschichten und wahren Begebenheiten würden Emotionen bei der Zuhörerschaft ausgelöst werden. Mit Metaphern, wie zum Beispiel „Beflügeln wir unsere Stadt.“ würden Bilder in die Köpfe des Publikums gezaubert werden, die in Erinnerung blieben.

So könnte Blümel noch punkten

Zusammenfassend ist zu sagen, dass Gernot Blümel eindeutig und bei weitem der verständlichste Redner unter den Spitzenkandidat:innen der wahlwerbenden Parteien ist. Blümel zeigt stets Höflichkeit, Offenheit und Wertschätzung. Seine Reden folgen ansatzweise der Struktur des 4MAT-Systems, das er gegen Ende seiner Auftritte jedoch vernachlässigt. Das schwächt seine Aussagen. Mit Story-Telling und Metaphern würde es ihm leicht gelingen, bei seiner Zuhörerschaft positive Emotionen auszulösen. Wir dürfen immer daran denken, dass wir jener Partei unsere Stimme geben, zu dessen Spitzenkandidaten wir am Wahltag, in der Wahlzelle stehend, das meiste Zutrauen haben. Zutrauen ist pure Emotion, die mit politischen Inhalten nichts zu tun hat, sondern vielmehr damit, wie wir die wahlwerbende Person als Mensch wahrnehmen und empfinden.

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. News.at macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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Braucht man auch Erinnerungsvermögen, wenn man in Wien antritt?

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