"Meine Tochter Amy"

Mitch Winehouse erklärt in seinem Buch, wie die verstorbene Sängerin wirklich war

Als Mitch Winehouse ankündigte, ein Buch über seine verstorbene Tochter Amy verfassen zu wollen, befürchtete der geneigte Leser bereits das Schlimmste. Würde hier etwa Schmutzwäsche gewaschen werden, um zu schnellem Geld zu gelangen? Nach dem Lesen von "Meine Tochter Amy" können wir Entwarnung geben: Dem Vater geht es tatsächlich bloß darum, zu zeigen, wie seine geliebte Amy wirklich war - ein ganz normales Mädchen, das leider viele falsche Entscheidungen traf. Amy konnte Mitch Winehouse trotz aller Anstrengungen nicht helfen - dafür will er nun in ihrem Namen anderen Jugendlichen helfen, dem Drogensumpf zu entfliehen. Der Erlös kommt der "Amy Winehouse Stiftung" zugute. Mit seinem Buch will er zudem dafür sorgen, dass die Menschen Amys "wahres Ich", das Ich, das mit der allseits bekannten Skandalsängerin nur wenig zu tun hat, kennenlernen.

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Amy Winehouse - "Meine Tochter Amy"

"Amys viel zu kurzes Leben war wie eine Achterbahnfahrt", schreibt Mitch Winehouse, der sich selbst als bester Freund seiner Tochter bezeichnet, bereits im Vorwort. Er wolle "Klartext reden", in der Hoffnung, man könne seine "geliebte Tochter Amy besser verstehen und in einem anderen Licht sehen".

"Ein normales Mädchen, das seine Familie liebt"
Wenige Tage vor Amy Winehouse' Tod am 23. Juli 2011 zitierte sie ihren Vater zu sich. "Papa, Papa, du musst vorbeikommen", flehte sie Mitch, der an sich keine Zeit hatte, an. Bei seinem Besuch zeigte sie ihm schließlich Fotos aus ihrer Kindheit, die sie nach einem Umzug für verloren gehalten hatte, die ihr nun aber wieder in die Hände gefallen waren. "Ich sah ihr zu, wie sie die Fotosammlung durchging. Eins nach dem anderen nahm sie heraus. Zu jedem Einzelnen hatte sie etwas zu sagen, und ich dachte mir: Dieses Mädchen da ist weltberühmt, hat Millionen Menschen Freude gebracht, und sie ist einfach ein normales Mädchen, das seine Familie liebt", schreibt Mitch Winehouse. Bei seinem Abschied umarmte er seine Tochter und spürte laut eigener Aussage, "dass sie dabei war, zu sich zu finden und wieder zu Kräften zu kommen." Es sollte das letzte Mal gewesen sein, dass Mitch seine geliebte Amy lebend sehend durfte.

Er sei "von Anfang an vernarrt" in seine Tochter gewesen, schreibt Mitch Winehouse. So süß das Mädchen auch gewesen sei, den Satz, den sie in ihren frühen Jahren am häufigsten zu hören bekam, war "Sei still, Amy!". "Sie wusste nie, wann es genug war. Wenn sie zu singen anfing, war sie nicht zu stoppen. Und wenn sie mal nicht im Mittelpunkt stand, ließ sie sich was einfallen", erinnert sich Mitch. Im Gegenzug sei sie aber bereits als Kind besorgt um das Wohlergehen anderer gewesen. Als er die Siebenjährige mit zu einem Fußballspiel nahm, schwieg sie, obwohl sie es furchtbar fand. Auf die Frage ihrer Mutter Janis, warum sie nichts gesagt habe, meinte Amy: "Daddy hat es gefallen, und ich wollte ihn nicht verärgern".

Schon seit frühester Kindheit war Amy, die in der Schule zwar gut, aber nicht sonderlich interessiert war, beinahe ausschließlich an Musik interessiert. "Sie liebte die Big-Band- und Jazzsongs, die ich auflegte, aber sie interessierte sich auch schon für R&B und Hip-Hop", erinnert sich Mitch Winehouse an seine Tochter, die immer und überall bei jedem Song mitsang.

"Du bist immer noch mein Papa"
Als Amy zehn Jahre alt war, trennte sich Mitch Winehouse, der schon seit längerer Zeit heimlich in seine damalige Arbeitskollegin und nunmehrige Ehefrau Jane verliebt war, von seiner Frau Janis. Amy war von der Scheidung ihrer Eltern nicht sonderlich betroffen, meinte bloß: "Du bist immer noch mein Papa, und Mama ist immer noch meine Mama."

Amy startete bereits früh ihre professionelle Musikkarriere. Da sie mit 17 Jahren aber noch zu jung war, um einen Vertrag zu unterschreiben, gründeten ihre Eltern Mitch und Janis eine Firma, die sie in rechtlichen Angelegenheiten vertreten sollte. 2004 - ihr Erstlingswerk "Frank" war bereits erschienen und schön langsam schien sich auch größerer Erfolg einzustellen - machte sich Mitch Winehouse erstmals Sorgen um Amys Trinkgewohnheiten. Allerdings keine allzu großen, denn damals war er noch der Meinung, dass sie "eben einmal zu viel erwischt" habe und man deshalb nicht gleich überreagieren sollte.

Dank ihres Freundes Blake Fielder-Civil kam die damals 21-Jährige schließlich auch erstmals mit harten Drogen in Berührung. Zuvor habe sie bloß gekifft, mit "chemischen" Drogen, wie sie es nannte, hatte Amy hingegen nichts am Hut, schwört ihr Vater noch heute Stein und Bein. Schon Mitchs erstes Zusammentreffen mit seinem künftigen Schwiegersohn verlief nicht gerade reibungslos. "Ich betrat die gut gefüllte Kneipe und sah sie bei so einem Kerl auf dem Schoß sitzen. Sie küssten sich leidenschaftlich. Die Kneipe war gerammelt voll, und ich dachte, so geht das nicht. Ich packte sie, brachte sie nach draußen und sagte ihr die Meinung - dass man so etwas in der Öffentlichkeit nicht tut. Wir stritten eine Weile, dann erklärte Amy mir, sie habe nur ihren Freund geküsst, Blake", erinnert sich Mitch Winehouse. Gleichzeitig sah er Amy an diesem Tag auch erstmals mit ihrem neuen Markenzeichen, den hochtoupierten Haaren und dem markanten Make-up. "Ich fand sie hübscher, als sie etwas adretter war", erinnert sich ihr Vater an seine damaligen Gedanken. Schon wenig später sollte sich herausstellen, dass Mitch Winehouse mit seinem ersten schlechten Eindruck, den er von Blake hatte, Recht behalten sollte.

Der Weg in die Dunkelheit
"Wenn ich heute auf die Zeit zwischen der Promotionarbeit für 'Frank' und dem Erscheinen von 'Back To Black' zurückblicke, wird mir klar, dass ich keine Ahnung hatte, was musikalisch und privat mit Amy passierte", erinnert sich ihr Vater. Und wieder war es Blake, der ihm ein Dorn im Auge war. "Die Songs waren fantastisch, aber sie musste erst durch die Hölle, um sie zu schreiben. Ich mochte 'Back To Black' von Anfang an nicht so gern wie 'Frank', aus dem einzigen Grund: Außer 'Rehab' geht es in allen Songs auf 'Back To Black' um Blake. Erst kürzlich wurde mir klar, dass das bislang am zweithäufigsten verkaufte Album des 21. Jahrhunderts in Großbritannien von dem zwielichtigsten Mistkerl handelt, den die Welt je zu Gesicht bekommen hatte. Welche Ironie!", schreibt Mitch Winehouse.

Als Amy und Blake am 18. Mai 2007 in Miami den Bund fürs Leben schlossen, waren ihre Eltern nicht anwesend. "Papa, wir haben gerade geheiratet", erfuhr Mitch Winehouse via Telefon über die Hochzeit. Kein Wunder, dass der Hass auf den Schwiegersohn, der das Leben der geliebten Tochter zu ruinieren drohte, immer größer wurde.

Ein öffentlicher Zusammenbruch
Im August 2007 hatte Amy ihren ersten Zusammenbruch. Ohnmächtig wurde sie ins Krankenhaus gebracht. Es sollte nicht der letzte bleiben. "In der Presse hieß es, sie habe eine Adrenalininjektion bekommen, aber das ist nicht wahr. Sie war sehr benebelt, und ich bekam nicht viel aus ihr raus. Vielleicht, dachte ich, war Alkohol die Ursache des Anfalls", schreibt Mitch Winehouse. Während Amys tragischem Absturz war ihr Vater ständig an ihrer Seite. Helfen konnte er der drogensüchtigen Tochter aber nicht, dafür hatte sie ihr Junkie-Ehemann Blake zu sehr in seinen Bann gezogen. Selbst während seiner Zeit im Gefängnis kam Amy nicht von ihm los.

Mehrmals machte Amy Entzüge, berichtet worden sei aber bloß über ihre Rückfälle, ärgert sich Mitch Winehouse. Auch ihre Beziehung zu Blake war ein gefundenes Fressen für die Presse. "Wie ihre Laune änderte sich auch die Beziehung zu Blake täglich, und ich konnte mit der Entwicklung nicht mithalten. Am einen Tag beschloss sie, alles sei vorbei, am nächsten telefonierte sie stundenlang mit ihm", erinnert sich Mitch mit Schrecken an die nicht enden wollende Affäre.

Mit ihrem neuen Freund, dem Filmregisseur Reg Traviss , war Amys Vater deutlich mehr einverstanden. "Reg war wohl nicht der einzige Grund, weshalb Amy sich von Blake lösen konnte, aber er hatte viel damit zu tun. Als ich ihn ein paar Wochen später kennenlernte, wurde mir klar, wieso sie ihn mochte. Er war alles, was Blake nicht war. Seine warme, ruhige und höfliche Art war sehr ansprechend", schreibt Mitch Winehouse.

"Knuddel mich, Papa"
Von den Drogen kam Amy los, ihre Alkoholsucht blieb jedoch weiterhin ein Problem. Ihr Vater schwört allerdings Stein und Bein, die Sängerin habe bis kurz vor ihrem Tod wochenlang keinen Tropfen angerührt. Am 22. Juni, Amy kam gerade von ihrem Belgrad-Auftritt nach Hause, traf Mitch Winehouse seine Tochter. "Knuddel mich einfach, Papa", soll Amy plötzlich gesagt haben. "Eine gute Stunde lang saßen wir zusammen, sie in meinen Armen. Es war ein schöner, ein wirklich besonderer Moment, obwohl ich ihm damals keinerlei Wichtigkeit beimaß. Man könnte denken, sie habe irgendeine Art von Vorahnung gehabt. Daran glaube ich aber nicht. Ich denke, es war einfach ein schöner Moment", erinnert sich Mitch Winehouse in seinem Buch.

Am 22. Juli brach Mitch Winehouse zu einer kleinen Konzerttour nach New York auf. Amy wiederum hatte einen Auftritt mit ihrem Patenkind Dionne Bromfield . 24 Stunden später war sie tot. Dass ihr Tod vorhersehbar war, wie stets berichtet wurde, will ihr Vater nicht so stehen lassen. "Viele Leute denken, Amys Leben sei in ihren letzten 18 Monaten das reinste Chaos gewesen. Nichts liegt der Wahrheit ferner. Ja, sie erlitt Rückfälle, aber diese Rückfälle kamen nun immer seltener vor. (...) Ich wusste, dass Amy nicht an einer Überdosis Drogen gestorben sein könnte, weil sie seit 2008 keine Drogen mehr nahm", schreibt Mitch Winehouse.

Abschied von der geliebten Tochter
Am Tag nach Amys Tod kam die engste Familie in der Aufbahrungshalle zusammen, um die Sängerin offiziell zu identifizieren. "Sie wirkte sehr, sehr friedlich, als wäre sie nur eingeschlafen, was es in gewisser Weise viel schwerer machte", erinnert sich Mitch Winehouse an seine Gedanken, als er Amys leblosen Körper sah. "Ich finde keine Worte, um es zu beschreiben. Es war das schrecklichste Gefühl der Welt", so Mitch.

Eines wird nach der Lektüre seines Buches "Meine Tochter Amy" klar: Mitch Winehouse hat seine Tochter über alles geliebt. Die Anschuldigungen, er hätte sie zu Auftritten gezwungen und gedrillt, erweisen sich im Nachhinein als völlig falsch. Was oftmals so aussah, als würde er sich in den Mittelpunkt drängen, war bloß väterlicher Stolz auf die talentierte, berühmte Tochter. Möglicherweise wirken Mitch Winehouse' Erinnerungen ein wenig verklärt, was beim Leser jedoch zurückbleibt, ist die bittere Erkenntnis, dass er Amy jahrelang retten wollte, aber nicht konnte. Und dies muss für einen Vater wohl das Schlimmste sein.

Mitch Winehouse
Meine Tochter Amy
285 Seiten, Hardcover mit Schutzumschlag
ca. 40 Abbildungen
€ 20,60
Edel-Verlag
ISBN 978-3-8419-0145-3