"Man wird uns
von der Bühne tragen"

Die Amigos singen für alle, denen Helene Fischer zu poppig ist. Vor ihrem späten Durchbruch tingelten sie von Dorffest zu Dorffest. Ihre Story ist ein Schlagermärchen, das sich keine Plattenfirma hätte ausdenken können

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Musik - "Man wird uns
von der Bühne tragen"

Die Geschichte des deutschen Schlagers ist gespickt mit Tragödien. Während nach außen hin gute Laune und heile Welt vermittelt werden, ist die Branche im Inneren ein knallhartes Geschäft. Für Sensible ist darin kein Platz. Roy Black, der gern der deutsche Roy Orbison geworden wäre, litt darunter, immer wieder "Ganz in Weiß" singen zu müssen und trank sich systematisch zu Tode. Rex Gildo musste ewig "Hossa!" rufen, traute sich nicht, seine Homosexualität offen zu leben, und beging schließlich Selbstmord. Heute scheint der volkstümliche Schlager eine aussterbende Gattung zu sein. ORF, ARD und SRF setzten 2015 den "Musikantenstadl" ab, weil sie Andy Borg mit Mitte 50 für zu alt hielten. Im Windschatten von Helene Fischer wird in der Branche momentan alles auf jung und poppig getrimmt. Die etwas ältere Kernzielgruppe aber fühlt sich davon nur bedingt angesprochen. Sie macht sich nicht so viel aus modernen Sounds und Bühnenshows mit schweißtreibenden Choreografien. Sie will Melodien zum Träumen und Stars zum Anfassen.

Damit hat das Schlagerpublikum in den letzten zehn Jahren niemand so gut bedient wie das Brüderpaar Karl-Heinz und Bernd Ulrich aus dem mittelhessischen Dorf Villingen, besser bekannt als Die Amigos. Die beiden haben Millionen CDs verkauft und spielen als erfolgreichstes Schlagerduo Europas regelmäßig in vollen Hallen in Deutschland, Österreich und der Schweiz, aber auch in Frankreich, Italien, Belgien und Dänemark. Dabei hat sich lange niemand für ihre Musik begeistern können. Der Erfolg kam spät und überraschend - nicht zuletzt auch für sie selbst. Auch solche - schönen - Geschichten schreibt der deutsche Schlager.

"Wir sind jedes Wochenende über die Dörfer gefahren und auf Volksfesten aufgetreten", erzählt Bernd, wie alles begann. Mit 66 ist er der jüngere Bruder und Sänger des Duos. "Anfangs waren da auch Sachen von den Stones oder CCR dabei, wir haben halt immer die gerade aktuellen Hits gespielt." An eine große Karriere dachten sie lange nicht, beide hatten Familie und fixe Jobs. Bernd arbeitete als Braumeister, Karl-Heinz war als Lkw-Fahrer unterwegs.

Keiner wollte sie haben

Höchstens ein bisschen träumten sie davon, dass auch ihre eigenen Lieder gehört werden, die sie im Hobbykeller komponierten. In den 80er-Jahren durften sie ihre erste Single aufnehmen: ein Lied für ihre Eltern. "Gebracht hat es nicht viel", erinnert sich der 68-jährige Karl-Heinz, der Gitarrist und etwas ruhigere Bruder. "Einmal wurden wir von Radio Luxemburg gespielt, das war's. Es war einfach keiner da, der Interesse gezeigt hätte." Die Absagen von Plattenfirmen stapelten sich bald.

Dass ihre Musik keinen Anklang fand, entmutigte die Brüder jedoch nicht. "Wir waren ja nicht unzufrieden mit unseren Jobs und der Musik als Hobby", sagt Bernd. "Wir haben uns gesagt, wenn die uns nicht wollen, dann können sie uns mal." Sie machten weiter. In den 90ern richteten sie sich in der Garage ein kleines Studio ein. Nun konnten sie bereits fertig produzierte CDs an die Plattenfirmen verschicken. Diese reagierten allerdings unverändert mit Standard-Absageschreiben.

Dann kam 2006, nach 36 Jahren Amigos, ein Anruf vom Fernsehsender MDR, der alles ändern sollte. Sie wurden in die Sendung "Achims Hitparade" eingeladen. Endlich erreichten sie das Schlagervolk vor den TV-Geräten. Und siehe da, ihre Musik erwies sich als mehrheitsfähig. Mit dem Lied "Dann kam ein Engel" schafften sie prompt den späten Durchbruch.

Eine Schlagerfabrik

Mit Ende 50, wo andere die Altersarbeitslosigkeit fürchten müssen, kündigten sie nach reiflicher Überlegung ihre sicheren Arbeitsstellen und wurden doch noch Profimusiker. Seither surfen die Herren mit der stoischen Bühnenpräsenz auf einer Welle des Erfolgs. Ihr neues Studioalbum "Zauberland" ist das achte, das in Deutschland die Nummer eins der Charts erreichte, damit übertrumpfen die Amigos sogar Michael Jackson. In Österreich mussten sie sich dem Nockalm Quintett knapp geschlagen geben.

Die Amigos sind eine Schlagerfabrik, veröffentlichen verlässlich jedes Jahr ein neues Album. Die Studioarbeit haben sie inzwischen an den Produzenten Mick Dorth ausgelagert. Während sie auf Achse sind, bereitet er schon die Arrangements für das nächste Album vor. Nicht nur Konzerte führen sie laufend kreuz und quer durch den deutschsprachigen Raum. In Deutschland geben sie häufig Autogrammstunden vor zweitausend Menschen und mehr, dazu kommt unermüdliches Tingeln zu TV-, Radio- und Presseterminen. Klappern gehört zum Geschäft, verrät Bernd: "Wenn du nix machst und dich nicht sehen lässt, dann schläft's wieder ein."

Die grundsympathischen Herren haben einen straffen Zeitplan zu bewältigen. "Gestern waren wir in Wien", beginnt Bernd die Liste im Kopf durchzugehen. "Heute Linz." Karl-Heinz schaltet sich ein: "Von hier fahren wir nach Salzburg." Bernd: "Nein, morgen Schweiz." Karl-Heinz: "Nicht erst Innsbruck?" Bernd: "Nein, ein Tag Schweiz, dann abends zurück nach Bad Kleinkirchheim zu 'Wenn die Musi spielt'." Karl-Heinz: "Ah, die Musi." Bernd: "Danach von der Bühne runter und nachts noch 800 Kilometer nach Rust. Dort morgens um acht wieder auf die Bühne bei 'Immer wieder sonntags'." Ein Knochenjob. Als ehemaliger Berufskraftfahrer lässt es sich Karl-Heinz noch dazu nicht nehmen, alle Strecken selbst zu fahren, der Gitarrist fungiert gleichzeitig als Chauffeur. Immer mit dabei sind auch die Ehefrauen der beiden, die bei den Konzerten am Merchandise-Stand CDs und T-Shirts verkaufen. Ein echter Familienbetrieb. Auch Bernds Tochter Daniela ist Schlagersängerin und sprang zuletzt als Partnerin ein, als Karl-Heinz wegen einer Ohrspeicheldrüsenentzündung ein paar Konzerte aussetzen musste.

Anfassen ist okay

Die Amigos sind stolz darauf, in 47 Jahren noch keinen einzigen Auftritt ganz abgesagt zu haben. Karl-Heinz stand auch schon mit drei gebrochenen Rippen auf der Bühne ("ein Tierarzt hat mich hinter der Bühne fit gespritzt"). Sein kleiner Bruder fiel vor einem Jahr beim Glühbirnenwechseln vor seinem Haus unglücklich von einem Tisch und erlitt einen Oberschenkelhalsbruch. Aber auch das kann einen Amigo nicht stoppen: "Der Arzt war dagegen, aber ich bin im Rollstuhl auf die Bühne. Die Tournee war meine Reha. Daheim wäre ich nur durchgedreht. Ich denke da nicht ans Geld. Das ist mir scheißegal, das bräuchten wir ehrlich gesagt nicht mehr.

Aber der Veranstalter hätte sich den Strick genommen, den konnten wir nicht hängen lassen. Und vor allem geht es mir um die Leute, die in unsere Konzerte kommen. Obwohl wir ganz normale Menschen sind, sind wir für die Idole."

Ein Erfolgsgeheimnis der Amigos ist, dass sie auf Augenhöhe mit ihren Fans agieren, sie ernst nehmen und mitunter längere Gespräche mit ihnen führen. "Es gibt natürlich auch solche, die zu weit gehen und einem zu Hause auflauern, aber das ist ganz, ganz selten", plaudert der Sänger aus dem Nähkästchen. "Die meisten wollen nur ein Küsschen, einmal drücken oder einmal anfassen. Das ist okay."

Und die Musik? Auch wenn man nicht ganz zur Zielgruppe gehört, muss man zugeben, dass ihre CDs in sich völlig stimmig und gut gemacht sind. Sie pendeln zwischen flotten Discofox-Stücken, die das Leben feiern, und nachdenklichen Liedern, in denen sie übers Leben sinnieren. Sie singen nicht nur über Zusammenhalt und heile Welt, sondern auch über Probleme. Als Botschafter des Vereins zur Unterstützung von Kriminalitätsopfern, Weißer Ring, sogar Lieder über Kindesmissbrauch.

Kein singendes Reisebüro

"Viele sagen, solche Texte wie 'Sie kam nie mehr zurück' hätten im Schlager nichts zu suchen", echauffiert sich Bernd. "Aber sollen wir immer nur über Sommer, Sonne, Wind und Urlaub schreiben? Nichts leichter als das, wir könnten jeden Tag ein Urlaubslied machen. Aber das ist nicht der Sinn der Sache. Wir wollen Lieder, die das Leben betreffen. Immer wieder kommen Leute zu uns und sagen, sie haben das Gefühl, wir hätten bestimmte Lieder speziell für sie geschrieben. Das ist eine große Bestätigung für uns."

Ein Alleinstellungsmerkmal der Amigos ist ihre Bühnenkleidung. Sie tragen glitzernde Anzüge und bunte Hemden, die heute sonst niemand anziehen würde. Zuletzt wurde Ähnliches vor 30 Jahren bei den Flippers gesichtet. Die Outfits dürfen weder professionelle Stilberater noch die Gattinnen bestimmen. Sänger Bernd sucht sie während des jährlichen Teneriffa-Urlaubs in der Boutique seines Vertrauens aus: "Der Besitzer hat oft sehr ausgefallene Stoffe. Die Anzüge lassen wir nur aus japanischer Seide machen. Die knittert nicht, das ist auf Tour ganz wichtig."

Tabu ist auf Konzertreisen dagegen Alkohol: "Der ist in unserer Branche eine echte Gefahr. Du kriegst ja alles umsonst. Und wenn dich wer fragt, was du trinken willst, und du 'Whisky' sagst, kriegst du gleich eine ganze Flasche hingestellt." Rauchen ist das einzige Laster der Brüder. Dem frönen sie dafür mit voller Hingabe. Wenn es nicht gerade regnet, blitzt oder schneit, versuchen sie deshalb, möglichst alle Termine im Freien zu absolvieren. "Eine Woche habe ich es mal mit E-Zigaretten probiert", gesteht Karl-Heinz. Er schüttelt den Kopf: "Bringt nix."

Wie wollen Die Amigos einmal abgehen? "Man wird uns von der Bühne tragen. So wird's kommen."