Alt und arm:
Prekärer Unruhestand

200.000 Pensionisten sind armutsgefährdet. Betroffen sind vor allem Frauen

Ein Pensionist steht dieser Tage vor Gericht. Er soll die Unternehmen Haribo und Lidl erpresst haben, indem er eine Million Euro von ihnen forderte. Er drohte Gummibärchen und Tiefkühlpizzen mit Zyankali zu vergiften. Am 24. Dezember letzten Jahres wurde er festgenommen. Bei seiner Vernehmung legte er ein Geständnis ab. Die Frage nach seinem Motiv beantwortete er mit einem Wort: Altersarmut.

von Altersarmut - Alt und arm:
Prekärer Unruhestand © Bild: shutterstock

Armut im Alter und der Verlust des derzeitigen Lebensstandards werden von den Menschen in Österreich als größte Risiken der heutigen Zeit eingestuft. In Tirol befürchtet fast die Hälfte der Befragten eine erhebliche und bedrohliche Pensionslücke. Gemeint ist damit die Differenz zwischen Aktiveinkommen und Pension.

»Die Gefahr der Pensionslücke ist in den Köpfen von Herrn und Frau Österreicher angekommen, das Bewusstsein für diese ernste Bedrohung ist da.«

„Die Gefahr der Pensionslücke ist in den Köpfen von Herrn und Frau Österreicher angekommen, das Bewusstsein für diese ernste Bedrohung ist da“, meint Andreas Csurda, Vorstandsmitglied der Allianz Pensionskasse und weist auf die demografische Entwicklung in Österreicher hin. Schon 2024 werde Österreich zu den „superalten“ Ländern der Welt gezählt werden. Die Zahl der über 65-Jährigen wird zumindest einen Bevölkerungsanteil von 21 Prozent ausmachen.

1,5 Mio. Menschen in Österreich armutsgefährdet

In der EU ist fast ein Viertel der Bevölkerung armutsgefährdet. Im Vergleich: Hierzulande sind es 18 Prozent. Ohne Sozialstaat wäre es 45 Prozent. 18 Prozent sind für ein reiches Land wie Österreich immer noch beachtlich viel. Als Schwelle zur Armutsgefährdung gelten 60 Prozent des durchschnittlichen mittleren Einkommens einer Gesellschaft. Jeder Siebte Österreicher muss mit einem monatlichen Gesamteinkommen von weniger als 1.185 Euro (12x im Jahr, netto) auskommen. Viele mit noch weniger. 200.000 Österreicher sind von Altersarmut betroffen. Das liegt zwar unter dem OECD-Durchschnitt, prekäre Lebensverhältnisse nehmen jedoch zu. Gründe und Mixturen, die zu Armut führen können sind neben dem Alter auch das Geschlecht und eine geringe Bildung. In reichen Ländern ist Armut oft erst auf den zweiten Blick sichtbar. Gegenüber Freunden, Nachbarn, ja selbst Familienmitgliedern wird diese oft verheimlicht. Auch Altersarmut ist eine versteckte Angelegenheit.

Frauen besonders betroffen

Ausschlaggebend für die Höhe der Alterspension sind Faktoren wie durchgehende Erwerbsarbeit und die Höhe des erzielten Einkommens. Im Umkehrschluss bedeutet das: Unterbrochene Erwerbsbiografien, ob durch Kinder oder Krankheit, und ein niedriges Einkommen führen zu einer niedrigen Pension. Mit der Ausgleichszulage reicht es dann oft gerade einmal für die Mindestpension. Immer mehr Menschen müssen nach einem prekären Arbeitsleben im „Ruhestand“ dazuverdienen. Dass die Furcht vor Altersarmut bei Frauen stärker ausgeprägt ist als bei Männern hat seine Berechtigung. Sie trifft das höchste Risiko im Alter auf eine Mindestpension angewiesen zu sein. Selbst, wenn sie eine längere Versicherungsdauer aufweisen.

Fast jede zweite erwerbstätige Frau in Österreich arbeitet mittlerweile Teilzeit. Und verdient im Schnitt 23 Prozent weniger als ein Mann. Dadurch kann folglich weniger in die Pensionsversicherung eingezahlt werden. Das zurückliegende Erwerbs- und Familienleben, beziehungsweise seine mangelnde Vereinbarkeit, spiegeln sich direkt in der Höhe der Pension wieder. Auch, wenn Kindererziehungszeiten berücksichtigt werden, orientiert sich das Modell an „männlichen Normalarbeitszeitverhältnissen“. Wegen Teilzeitanstellungen fallen Frauen bei Beförderungen immer wieder hinter ihre männlichen Kollegen. Verdienen weniger. Und bekommen folglich eine niedrigere Pension. Ein Kreislauf, der nur schwer zu durchbrechen ist.

Armut kann tödlich sein

Weitere Gründe dafür, dass Frauen im Alter eher armutsgefährdet sind, lassen sich durch ihre höhere Lebenserwartung erklären. Der Verlust des Partners betrifft primär weibliche Lebensläufe. Es leben bereits heute signifikant mehr ältere Frauen als ältere Männer in Single-Haushalten. Verwitwete Männer heiraten zudem sehr viel häufiger als verwitwete Frauen. Auch die Pflege spielt eine Rolle. Während pflegebedürftige Männer noch oft von ihren Frauen betreut werden, sind diese im Alter auf sich alleine gestellt. Da Armut bewiesenermaßen wortwörtlich „krank“ macht, werden Menschen schneller zum Pflegefall. Mit geringerem Einkommen steigt also nicht nur das Sterberisiko, sondern auch die Dauer der Pflegebedürftigkeit.

Vorbeugen gegen Altersarmut

Während die einen, wie Andreas Csurda, in einer privaten finanziellen Vorsorge das „Gebot der Stunde“ sehen, plädieren andere für den Abbau öffentlicher Förderungen für private Pensionsvorsorge und sehen in der Stärkung des Arbeitsmarktes und der Familienpolitik die Lösung. Die Pensionslücke auffüllen, lässt sich laut Sozialexperten Martin Schenk unter anderem durch eine Anhebung der Mindestlöhne. Um weibliche Altersarmut zu verringern, müssen Geschlechtsunterschiede im Einkommen und in den Pensionsbezügen aufgehoben werden. Laut Schenk braucht es außerdem eine bessere Anrechnung von Kinderbetreuungs- und Karenzzeiten.