Alter Stil in der ÖVP

Die ÖVP schafft es nicht, sich zu erneuern. Sie schwächt sich damit selbst -und mit ihr tun das auch die Grünen. Der Umgang mit dem "Sideletter" ist nur ein Beispiel dafür.

von Karl Nehammer © Bild: imago images/SEPA.Media

Ich verspreche Ihnen, dass wir es uns nicht leicht machen werden, die notwendigen Entscheidungen für unser Land zu treffen. Ich verspreche Ihnen auch, dass wir stets das Wohl unseres Landes in den Mittelpunkt stellen werden." Es war der 20. Dezember 2017, als der damalige Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) in seiner ersten Regierungserklärung einen "neuen Stil" ankündigte und außerdem erklärte, dass "Respekt, Anstand und auch Hausverstand" prägend werden sollen.

Der heute 35-Jährige wusste, dass er damit einer Sehnsucht vieler Menschen entsprach. Wenige Wochen zuvor war dies bereits Teil seines Erfolgs bei Nationalratswahlen gewesen. Die schwarze ÖVP hatte er türkis angestrichen, sie als Bewegung inszeniert und sich selbst als entscheidungsfreudigen Leader präsentiert. Da und dort weckte das Hoffnung auf frischen Wind und mehr noch darauf, dass endlich etwas aufbricht; dass nicht mehr die Interessen einer Partei bestimmend sind, sondern die einer größeren Masse, dass Politik nicht mehr in einem geheimnisumwobenen Hinterzimmer, sondern in einem offenen Prozess gemacht wird und nicht Gesinnung oder Zugehörigkeit relevant sind bei Postenbesetzungen, sondern Kompetenz und Leistung.

Hemmungslose Machtpolitik

Schön wäre es gewesen. Österreich, letzten Endes aber auch die Volkspartei, hätten davon profitiert. Sie wäre auf der Höhe der Zeit angekommen und hätte eher Aussicht auf eine größere Zukunft gewonnen. Allein: Geheime Nebenabsprachen zu Regierungsprogrammen und diverse Chats zeichnen ein ganz anderes Bild. In Wirklichkeit wurde hemmungslos Machtpolitik betrieben, gab es "Vollgas" für kritische Geister, gingen Posten nach Möglichkeit an die eigenen Leute. Kurz ermächtigte sich und seine Partei sogar, nicht nur Aufsichtsräte bei Gesellschaften zu nominieren, die dem Staat gehören oder an denen er beteiligt ist, sondern auch einen Vorstand. Das wäre ein lupenreiner Aufsichtsratsjob. Zum Zug kam in diesem Fall bei der ÖBAG Thomas Schmid, ein Mitglied der türkisen "Familie" - und eine zentrale Figur in ÖVP-Korruptionsaffären, die Sebastian Kurz im vergangenen Dezember zwangen, sich aus der Politik zu verabschieden.

Karl Nehammer hat übernommen. Was er nicht nur als Kanzler, sondern mehr noch als ÖVP-Chef angetroffen hat, ist ein echter Sanierungsfall. In Umfragen liegt die ÖVP kaum besser als Mitte der 2010er- Jahre, als dies als Ausdruck einer Krise betrachtet wurde. Heute ist es das ebenfalls, nur dass die Krise viel größer ist: Mit Sebastian Kurz hat die Partei beträchtliche Erwartungen geweckt, aber enttäuscht. Wählervertrauen zurückzugewinnen, gehört zum Schwierigsten überhaupt.

Bedingungslose Unterwerfung

Das ist die Ausgangslage für Nehammer. Seine Möglichkeiten, etwas daraus zu machen, sind begrenzt, seine Ambitionen sind es ebenfalls. Man darf nicht übersehen, wie sehr die gesamte Bundespartei auf Kurz ausgerichtet war. Er hatte sich ausbedungen, Personalentscheidungen allein treffen zu können, und das auch weitestgehend vollzogen. In der Parteizentrale sitzen ebenso viele Leute von ihm wie im Parlamentsklub. Die türkise Regierungsriege fühlte sich -Nehammer inklusive -Kurz so sehr verpflichtet, dass sie im Oktober in einem Akt bedingungsloser Verbundenheit erklärte, nur unter seiner Führung im Amt zu bleiben.

Daher ist es nachvollziehbar, dass es Karl Nehammer nicht zusammenbringt, mit der Vergangenheit zu brechen. Bemerkenswert ist eher, wie sehr er diese Vergangenheit weiter wirken lässt: Seinem Finanzminister Magnus Brunner (ÖVP) erlaubt er zwar, zur Inseratenaffäre allerhand offenzulegen, was Türkise belastet, den parlamentarischen Untersuchungsausschuss tut er aber als "Tribunal" herab. Außerdem hat er nichts dagegen einzuwenden, dass Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) den Ausschuss leiten möchte und ebendort der Abgeordnete Andreas Hanger Fraktionsführer sein wird. Beide stehen für Kurz-Verteidigung mit allen Mitteln, Hanger auch für Angriffe auf die Wirtschafts-und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA), in deren Reihen er schon einmal "linke Zellen" sieht.

Fürsten der Finsternis

Die deutsche Wochenzeitung "Die Zeit" stellte in einem Leitartikel Ende Jänner fest, der Kanzler und designierte ÖVP- Obmann habe seinen Vertrauensvorschuss schon verspielt. Dabei steht er sich als Türkiser selbst im Weg, aber auch die größten Schwarzen tun das: die ÖVP-Landeshauptleute. Wie ihre sozialdemokratischen Kollegen wurden sie von Neos-Gründer Matthias Strolz dereinst treffend als "Fürsten der Finsternis" bezeichnet.

Worum geht es? Nehammer könnte einen neuen Stil ja auch so praktizieren, dass er Dinge zulässt, die ursprünglichen Versprechen von Sebastian Kurz gerecht werden. Beispiel: Informationsfreiheit statt Amtsgeheimnis, transparente statt geheimnisvolle Parteienfinanzierung und vieles andere mehr, was Licht ins Dunkel bringt. Das wäre allemal überzeugender als seine Aussage, die ÖVP habe kein Korruptionsproblem. Es wäre ein selbstbewusster Hinweis darauf, dass es nichts zu verbergen gibt. Dazu muss er liefern.

Über die Vermögenverhältnisse der Parteien etwa kann man derzeit nur spekulieren: Rechenschaftsberichten, die mit großer Verzögerung offengelegt werden, sind ausschließlich Einnahmen und Ausgaben zu entnehmen. Die Bundes-ÖVP hat demnach 2013 bis 2018 Kredite in Höhe von 31,26 Millionen Euro aufgenommen. Knapp die Hälfte davon allein im Jahr 2017, als sie weit mehr in den Nationalratswahlkampf steckte als erlaubt. Eine Art Booster, der Kurz nützte. Zurückbezahlt hat sie in der ganzen Zeit lediglich 10,21 Millionen Euro. Welche Geldgeber ließen sich darauf ein? Gibt es mögliche Abhängigkeitsverhältnisse? Alles unbekannt. Schlimmer: Für 2019, ein weiteres Wahljahr, liegt noch nicht einmal ein Rechenschaftsbericht vor. ÖVP-Generalsekretär damals: Karl Nehammer.

Stolze Parteiwirtschaft

In den Ländern fühlt man sich in der Dunkelheit wohl. In Vorarlberg verzeichnet die Volkspartei stolze "Erträge aus parteieigener wirtschaftlicher Tätigkeit". In einzelnen Jahren können sie ein Drittel der Gesamteinnahmen betragen. Details? Darauf angesprochen erklärte Landeshautmann und Parteichef Markus Wallner, man sei nicht verpflichtet, darüber zu reden. Also tut er es auch nicht.

In Niederösterreich ist im Herbst eine Aktion namens "Nah, sicher!" gestartet worden. Es geht darum, die kleinen Geschäfte vor Ort zu fördern. Die Aktion ist als "Initiative von Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner" ausgewiesen, wird aber von ihrer Volkspartei sowie der unabhängigen NÖN und etwa dem Landesenergieversorger EVN getragen. Alles greift ineinander über, Querverbindungen zugunsten der Partei und ihrer Chefin sind ein Jahr vor der Landtagswahl keine Grenzen gesetzt. Complianceregeln sind ebenso fremd wie politische Unvereinbarkeiten.

Völlig normale Intransparenz

All das ist alter Stil, der auf Bundesebene in geheimen Nebenabsprachen zu Regierungsprogrammen zum Ausdruck kommt. Darin sind nicht nur Spielregeln für die Zusammenarbeit von Koalitionsparteien enthalten oder vernünftige Modalitäten, nach denen Personalentscheidungen getroffen werden. Es geht schlicht um die Frage, wer welchen Posten besetzen darf, und um Inhalte von allgemeinem Interesse wie die Abschaffung der ORF-Gebühren und die Einführung eines Kopftuchverbots für Lehrerinnen. Das ist Politik von gestern. Für die Grünen, die sich 2020 auf einen solchen "Sideletter" eingelassen haben, ist das ein doppelter Bruch: Ausgerechnet sie haben eine prinzipielle Einwilligung zum Kopftuchverbot geleistet, und sie, die so gerne von Transparenz reden, haben das, wissend, dass es heikel für sie ist, vor der Öffentlichkeit verbergen vollen. Für ÖVP-Mann Nehammer ist derlei "völlig normal", für die Grünen von Werner Kogler und Sigrid Maurer jetzt offenbar auch.

© Privat

Johannes Huber, Journalist und Blogger zur österreichischen Politik www.diesubstanz.at