Allseitige Allianz fürs Umfrage-Unwesen

Medienwahlkämpfe orientieren sich immer noch stärker an den mehr oder weniger repräsentativen Antworten auf die Sonntagsfrage. Dass solche Momentaufnahmen keine Vorhersagen sind, kehren trotz Qualitätskritik alle Beteiligten unter den Tisch.

von Medien & Menschen - Allseitige Allianz fürs Umfrage-Unwesen © Bild: Gleissfoto

Seit Alexander Van der Bellen am 22. Mai seine Wiederkandidatur erklärt hat, wurden 14 Umfragen zur Bundespräsidentschaftskür am 9. Oktober veröffentlicht - anfangs mit fiktiven Gegenkandidaten. Während 2018 nur eine Meinungsforschung im näheren zeitlichen Umfeld der Tiroler Landtagswahl an die Öffentlichkeit gelangte, sind es vor der Neuauflage am 25. September bereits vier. Fortsetzung folgt. Ganz sicher. Den aktuellen Maßstab lieferte 2021 der Wettlauf um den deutschen Bundestag: Allein im letzten Monat vor der Entscheidung kamen 40 Umfragen in Zeitung, Radio und Fernsehen.

Die Ursache dafür hat schon die einstige Doyenne der Meinungsforschung Elisabeth Noelle-Neumann ( 2010) auf den Punkt gebracht: "Der Prozess des Ringens um die öffentliche Meinung hat nichts mit Wahrheit, sondern mit Herrschaft zu tun." Die immer häufiger präsentierten Marktforschungen mit Antworten auf die sogenannte Sonntagsfrage sind wie Kampfjets im Ringen um die Lufthoheit über den (digitalen) Stammtischen. Militärisches Wording ist unangemessen? Je mehr Medien zur Arena für den politischen Wettbewerb wurden, desto eher glich der Sprachschatz für Wahlkämpfe dem Vokabular der Kriegsberichterstattung. Denglisch wirkte das hierzulande bloß unverfänglicher.

Erst die Political Correctness hat den Horse Race Journalism etwas Abstand von War Room, Ground War und Air War nehmen lassen. Anders gesagt: Es gibt nun mehr Sensibilität in der Wortwahl für das Hauptquartier einer Partei, ihre persönlichen Bürgerkontakte und den Medieneinsatz. Doch dem Pferderennen-Journalismus hat das nicht den Garaus gemacht. Im Gegenteil: Wenn schon weniger das Schema des Schlachtberichts, so dominiert doch das Prinzip der Sportreportage.

Die Herausforderung dabei ist der Mangel an wirklichen Daten. Für die meisten Sportbewerbe gibt es faktische Zwischenergebnisse. Im Wahlkampf sind die Kontrahenten einer Ungewissheit ausgeliefert, die alle Kampfrichter übertrifft -den Stimmbürgern, die sich immer weniger gebunden und ständig knapper vor dem Finale entscheiden. Sie gieren wie die politischen Akteure nach Etappenresultaten. Das große gesellschaftliche Interesse wiederum ist Schmierstoff für Journalismus. Und Zahlen, Daten, Fakten sind das Metier der Wissenschaft (auch wenn der Innenminister anderes sagt). Deshalb haben Meinungsforscher vor Wahlen Hochsaison. Sie liefern Momentaufnahmen, nach denen alle lechzen.

Peter Filzmaier, der Großmeister populärer Politikerklärung, betont aber, dass sich eine Beeinflussung des Wahlverhaltens durch Umfragen nicht nachweisen lässt. Von den drei beforschten, sich zum Teil widersprechenden Auswirkungen sieht er am ehesten noch den Fallbeileffekt bestätigt: Er richtet sich gegen Listen an der Schwelle zum Einzug in ein Parlament. Jeder Bericht, sie würden es nicht schaffen, verstärke die Befürchtung einer verlorenen Stimme. Dem widerspräche aber die Solidaritätsthese -mit "Jetzt erst recht!" die Umfrageverlierer zu stärken. Sie jedoch steht im Gegensatz zur Bandwagon-Theorie: Menschen wollen auf der Seite der Sieger stehen. Ja, wir dürfen sie auch "Mitläufer" nennen.

Der TV- und zeitungstaugliche Wissenschaftler Filzmaier sträubt sich gegen immer mehr Umfragen, die den selbst verordneten Qualitätskriterien der Marktforscher nicht entsprechen. Doch weder die eigene Branche noch die Medienkonkurrenz thematisiert hinreichend diese schwarzen Schafe. Also vor der Wahl verbieten? Via Internet und Ausland lässt sich das umgehen. Wirkungsvoller wäre konsequente Thematisierung, um die Qualität zu verbessern. Besser darüber reden, als nur Gerüchte zu kennen. Am wichtigsten ist das Bewusstsein, dass die Sonntagsfrage eine Momentaufnahme und keine Vorhersage ist. Aber das Antwortstakkato darauf bietet eine Win-Win-Win-Situation. Institute erfüllen die Wünsche der Auftraggeber. Sind es Medien, geht es um den Wunsch des Publikums nach einfachen Antworten. Ihre Öffentlichkeit zur Selbstvermarktung drückt den Preis für Umfragen. Für Parteien kostet es mehr. Auch wenn sie die Daten zur Mobilisierung ihrer Anhänger nutzen. Bleiben die Ergebnisse unter Verschluss, wird es richtig teuer. Denn wer das so will, verlangt auch beste Qualität. Deshalb wissen wir nicht, ob es eine Umfrage über die Chancen von Peter Filzmaier als Präsidentschaftskandidat gibt. Zumindest er würde ihr ohnehin nicht trauen.