Ein Sturm im Weinglas

Was droht dem Gastronomen, wenn der Bundespräsident zur Unzeit vor dem gesperrten Lokal sitzt? Aki Nuredini hat dieses und dringendere Probleme: Sein "Sole", der Zweitwohnsitz der Künstler, fährt erst langsam hoch

von Aki Nuredini - Ein Sturm im Weinglas © Bild: News/Herrgott

Der jetzt noch berühmtere Gastgarten ist Montagmittag gut belegt. Die weiter auseinander stehenden Tische sind alle besetzt oder reserviert, die Gäste kennen einander zumindest vom Sehen. Aki Nuredini, der Chef, umarmt die Welt auf Distanz, und die Kellner sind auch noch alle da. Am Nebentisch feiert Hubert Patterer, Chefredakteur der "Kleinen Zeitung", mit Wolfgang Schüssel dessen nahenden Fünfundsiebziger, aber keine Sorge: Bis zur Sperrstunde ist noch geräumig Luft, neuneinhalb Stunden, wie der Blick auf die Uhr belegt. Deshalb patrouilliert das maskierte Polizistenpaar wortkarg vorüber, statt den Altkanzler zu perlustrieren und die Welt mit der nächsten heiteren Erregung in ernster Zeit notzuversorgen.

Man könnte sagen, die nur leicht erneuerte Realität sei ins Sole zurückgekehrt. Der scheidende Operndirektor Dominique Meyer, sein verbleibendes Ensemblemitglied Clemens Unterreiner und viele Stammgäste aus der guten Gesellschaft waren schon da. Die neue Kulturstaatssekretärin Andrea Mayer hat hier Musikvereinschef Thomas Angyan zu den dann erfolgreich kommunizierten Wiederbelebungsmaßnahmen für Kulturinstitutionen konsultiert.

Auch dass der Bundespräsident, so wie viele andere Namhafte aus Politik, Kultur und Wirtschaft, hier gern und oft einkehrt, ist keine Neuigkeit und wäre keiner Meldung wert. Wäre nicht Karl Nehammers schnelle Eingreiftruppe mit der Flex eingeschritten, als das Staatsoberhaupt in der Nacht zum Sonntag mit Gattin im leeren Schanigarten vor dem seit einer Stunde 18 geschlossenen Lokal saß. Seither erörtert die Elite der Straf-und Verfassungsgerichtsbarkeit, ob zumindest Gattin VdB zu belangen sei. Die bis zu 30.000 Euro, die Gastronom Nuredini, 63, womöglich aufgebrummt bekommt, will das reuige Staatsoberhaupt aus eigener Tasche übernehmen.

"Nichts falsch gemacht"

Er habe, seines Erachtens, nichts falsch gemacht, sagt Nuredini. Das Präsidentenpaar und zwei Freunde hätten zu Abend gegessen -Fisch, um der historischen Wahrheit Genüge zu tun -, der Laden sei vorschriftsmäßig um 23 Uhr geschlossen worden. Die VdBs und Entourage seien zunächst noch mit dem Chef und dann allein vor dem geschlossenen Lokal gesessen. Alles andere, sagt Nuredini, habe jetzt sein Anwalt zu klären.

Was er sich daher trotz News-Aufforderung nicht fragt, ist: ob ab sofort jeder Gastronom mit dem Gewehr hinter den Scheiben seines finsteren Lokals Wache halten muss, damit keiner im Garten Platz nimmt. Oder ob der Gesamtbestand an straßenseitigem Mobiliar jetzt täglich um 23 Uhr ins Depot verbracht und am nächsten Tag wieder angeliefert werden muss?

Aber das fragt er sich nicht, denn Aki Nuredini hat andere Sorgen. Gottlob ist die Firma stabil, "ein paar Monate" halte der Betrieb ohne Opernpublikum und Touristen schon noch durch. Dank der Kurzarbeit habe er niemanden kündigen müssen. Aber auf staatliche Hilfe kann er vorläufig nur hoffen, und die neun Wochen ohne Betrieb haben ihn auch seelisch mitgenommen. Neun Wochen ohne die Kinder und Enkel! Und neun Wochen ohne die Oper! Nur wenige Namhafte diesseits und jenseits der Rampe haben darauf verzichtet, nach der Vorstellung hier einzukehren. Von Anna Netrebko, die hier eine Art Zweitwohnsitz pflegt, von Placido Domingo, Ferruccio Furlanetto, Renée Fleming, Franz Welser-Möst, Jonas Kaufmann, Rudolf Buchbinder, zuletzt Bogdan Roščić rasten Instagram-Fotos ohne Zahl durch die Server. Als Neubürgerin Netrebko erstmals gesellschaftspublizistisch im Stammlokal ertappt wurde, begann für das "Sole" eine riskante Zeit. Aber Nuredini verstand es, sich Möchtegerns diskret vom Hals zu halten. Das "Sole" blieb eine gute Adresse mit ebensolchem Publikum.

Der Gastronom der Künstler

37 Jahre schon hält Aki Nuredini, ein Mazedonier albanischer Herkunft, den Status eines parvenufreien Wiener Spitzenrestaurants der Weltprominenz. Nach dem Tod des jugoslawischen Staatspräsidenten Tito veräußerte er weitblickend, aber unter Preis das gastronomische Familienimperium in Belgrad und wanderte nach Wien aus. Die Missoni-Boutique des Urzeit-Models Helma Pach in der Annagasse schien das geeignete Objekt des Neubeginns. Als er der arg wertkonservativen alten Dame seine Kaufabsichten unterbreitete, reagierte sie mit einem vernichtenden "Jetzt aber raus!" Das ansprechend ausgestattete Sparbuch des dreisten Migranten entspannte die Situation freilich rasch. Der Dirigent Zubin Mehta war der erste Namhafte, der einkehrte und blieb. Ihm folgte die künstlerische Elite der Achtzigerjahre: das Sängerehepaar Mirella Freni und Nicolai Ghiaurov, Daniel Barenboim, José Carreras und Placido Domingo, der ein enger Freund und nicht tot, sondern von der Corona-Infektion genesen ist. In zwei Monaten will er wieder im "Sole" sein.

Dass die Abstands-und Ausgangsregeln dann schon gelockert sind, kann bei den bekannt unkonventionellen Gepflogenheiten des Altmeisters nur bang gehofft werden.

Dieser Artikel erschien ursprünglich in der News Ausgabe Nr. 22/20

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