Das Spannendste, das ist zumindest die Vermutung im Vorfeld, wird die Anreise sein. In älteren Zeitungsartiken ist die Rede von Ballbesucherinnen, die mit Steinen und Bierdosen beworfen wurden, von eingekesselten Taxis. Aber es ist überraschend einfach, in die Hofburg zu kommen. Aussteigen bei der U3-Station Herrengasse, zur nächsten Polizeisperre gehen, den Beamten das Ticket zeigen und fertig. Keinen einzigen Demonstranten gesehen. Ein älterer Herr aus Deutschland erzählt später am Ball begeistert: „Wir sind wunderbar reingekommen, kein schwarzer Block, nichts. Das hat die Polizei fantastisch gemacht.“
Der kurze Fußweg durch die Herrengasse und über den Michaelerplatz ist gespenstisch. Kein Mensch zu sehen. Vor der Hofburg fahren die Taxis vor. Es ist erst acht Uhr, der Andrang noch nicht riesig. Hinein ins Foyer. An der Sicherheitsschleuse wird genau kontrolliert, inklusive Blick ins Handtäschchen. Von Gesichtserkennungssoftware ist nichts zu bemerken. Jacke an der Garderobe abgeben, Ballkarte herzeigen: Drinnen! War jetzt nicht so spektakulär. Ist es drinnen übrigens auch nicht. Die Stimmung ist ruhig, vielleicht gedämpft. Entlang der Feststiege sind Burschenschafter in voller Verkleidung postiert. Oben an der Bar Ball-Business as usual. Man stößt mit einem Gläschen Sekt an, die Damen zupfen an ihren bodenlangen Roben herum und ihre Männer haben lustige Hüte auf.
Aber Achtung, nicht täuschen lassen, wir befinden uns mitten in einem großen Gesellschaftsspiel. "Cluedo" in echt, falls das wer kennt, und ohne Mörder. Das wird spätestens klar, als Ballorganisator Udo Guggenbichler bei der Eröffnung auch „alle Journalisten begrüßt, die den Abend privat hier verbringen“. Die Veranstaltung steht unter Beobachtung. „Die Anderen“ frieren sich nicht nur am Ring die Füße ab, ein paar von ihnen sind auch hier. Um „Pissoirgespräche“ zu belauschen, wie es Guggenbichler jüngst in einem Interview abfällig ausdrückte. Ist es die da mit dem schwarzen Kleid an? Zumindest wird einem nicht fad, während man auf die Rede von Vizekanzler Strache wartet.
Das ausgesprochen beherrschte und sich wohl- und rücksichtsvoll verhaltende Publikum hat sich mittlerweile im Festsaal versammelt und genießt die Eröffnung. Zufall, dass zu „Die Gedanken sind frei“ getanzt wird? Christian Neschwara, Professor an der Uni Wien und Mitglied der Burschenschaft Gothia, erklärt in einem kurzen historischen Vortrag, wie das genau zu verstehen ist: „Diese Einbindung in das Deutsche Reich führt zu einem zweiten Weltkrieg und zu einer Katastrophe mit apokalyptischen Ausmaßen. Es sind zahllose Einzelheiten diese Katastrophe dokumentiert, es besteht auch kein Zweifel, dass sich die dabei erhobenen Tatsachen über die Verstrickung des österreichischen Reiches der Wirklichkeit entziehen. Es sollten daher diese Tatsachen weder mit Ironie, noch Satire, Sarkasmus oder in welcher Form auch immer ins Lächerliche gezogen werden oder zum Gegenstand von Hohn gemacht werden. Gedanken sind frei, aber sie zu äußern ist eine andere Sache.“
Anschließend Auftritt Strache. „Ich sage bewusst, wir bin stolz auf diesen wundervollen Ball, der in Wahrheit mit seiner Vorgeschichte ja eine jahrzehntelange Tradition hat.“ Den ersten Teil seiner Rede widmet er denen da draußen, den Demonstranten. Da heuer offenbar noch nichts Gröberes passiert ist, spricht er von Vorkommnissen in früheren Jahren. Es entsteht so etwas wie Stimmung im Saal. Jubel, Pfiffe. Strache weiter: „Es ist unserer Pflicht klar Stellung zu beziehen gegen Antisemitimus, Rassismus und totalitäres Denken.“ Jeder anständige Couleur- und Waffenstudent müsse antisemitischen Tendenzen in unserer heurigen Zeit entschieden entgegentreten. „Das ist unser Verständnis, und wer dieses Verständnis nicht teilt, er ist bei uns nicht willkommen.“ Und später: „Wir sind nicht so.“ Eher pflichtschuldiger Applaus, zumindest kein Jubel. Wie viele Menschen an dieser Stelle den Ball verlassen haben, ist nicht dokumentiert.
Strache schließt seine Rede traditionsgemäß mit „Alles Walzer“ und die Tanzfläche füllt sich langsam. Im Zeremoniensaal geht Ex-Minister Herbert Haupt zur Musik der John-Otti-Band ab, FPÖ-Generalsekretärin Marlene Svazek wird in der Damenkloschlange gesichtet; worüber sie mit den anderen Damen spricht, ist nicht überliefert. Das Gesellschaftsspiel geht weiter. Die da, die da oder die da? Autorin Stefanie Sargnagels Pläne, den Ball mit einer selbst gestalteten Mitternachtseinlage aufzuwerten, scheitern offenbar. Alles ist friedlich. Als Damenspende gibt es beim Ausgang ein Fläschchen Sekt, ein Fläschchen Bier, ein Sektglas und ein kleines Buch über „Das Wartburgfest 1817“. Herausgeberin ist die Österreichische Landsmannschaft, laut „Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstands“ „eine rechtsextreme Organisation mit vordergründig humanitärer Ausrichtung.“ Aber, hey, wir sind nicht so. Echt. Es ist nur ein Ball.