Scharfes Abbild
von uns allen

Ewald Palmetshofer schrieb Hauptmanns „Vor Sonnenaufgang“ als Kommentar zur Gegenwart um.

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Akademietheater - Scharfes Abbild
von uns allen © Bild: Reinhard Maximilian Werner

In seinem Drama „Vor Sonnenaufgang“ hat der deutsche Dramatiker ein Abbild seiner Gesellschaft geschaffen. Die Bauernfamilie Krause ist sich durch Kohlefunde wohlhabend geworden, doch sie kommt damit nicht zurecht. Die erste Frau Krause starb am Kindbettfieber, Vater und Tochter Martha verfallen dem Alkohol. Alfred Loth, ein Studienfreund von Marthas Ehemann, der unerwartet zu Besuch kommt, will eine Studie über die sozialen Missstände in Krauses Welt recherchieren.

Der österreichische Dramatiker Ewald Palmetshofer holt die Geschichte der Krauses in die Gegenwart. An der Story verändert er nichts. Doch sein Text ist eine scharfe Analyse unserer Zeit, unserer Gesellschaft, von uns allen. Thomas Hoffmann (Markus Meyer), einst ein linker, kritischer Student, ist zum aufstrebenden Unternehmer und zum Populisten mutiert. In der Lokalpolitik will er Karriere machen. Sein ehemaliger Kollege Alfred Loth (Michael Maertens), Journalist bei einem linken Magazin, konfrontiert ihn mit seinem Wandel, verliebt sich in dessen Schwägerin, die junge Helene, flieht aber diese Familie aus Angst mit ihr in den Abgrund gezogen zu werden.

© Reinhard Maximilian Werner

Dusan David Parisek tut Palmetshofers Text das Beste an, was man ihm antun kann: Er vertraut ihn. Palmetshofers Dialoge, vor allem zwischen Hoffmann und Loth sind ein Spiegel unserer Welt. Da sitzt der ehemals Linke dem scheinbaren, kritischen „Gutmenschen“ gegenüber, der aber seinen Ansprüchen nicht gerecht wird. In Hoffmann sieht Loth eine „Metapher“, er selbst sieht sich als „Provisorium“. Atemberaubend bringen Meyer und Maertens ihre Geschichten, plötzlich glaubt man zu verstehen, warum die letzte Nationalratswahl so ausgegangen ist.
Auf seiner kargen Bühne, ein Stahlgerüst und wenige Sessel stehen für das verkommene der Krauses. Die Personen sind präzise geführt. Man folgt der Partitur des Autors und das ist wirklioch großes Theater.

Im Zentrum des hervorragenden Ensembles steht Michael Maertens als linkischer, linker, der mehr sein will als er kann. In feinen Nuancen mit Gestik, Mimik und Stimme macht er diese Figur spürbar. Markus Meyer spielt die Facetten des unsympathischen, völlig empathiebefreiten Ehemanns, Kleinunternehmers und politischen Strebers. Und wenn Fabian Krüger als Arzt auftaucht, der über den Tod, auch eines Brathendls, reflektiert, weht ein Hauch von Tschechow über die Bühne. Grandios! Stefanie Dvorak zeigt die hochschwangere Martha exzellent als Frau, die am Leben gescheitert ist. Marie-Luise Stockinger gibt als Helene eine psychologische Studie einer Frau, die mit Existenzangst, Hoffnung und Hoffnungslosigkeit ringt. Dörte Lyssewski (Annemarie) spielt sich fulminant durch die Facetten einer herrischen, fürsorglichen Hausfrau, die nach Lust strebt. Michael Abendroth vervollständigt als gescheiterter Familienvater mit wohldosiertem Understatement.

Grandioses Schauspiel und ein Text mit Gültigkeit, mehr kann man vom Theater nicht verlangen.

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