Das Ende der Menschenrechte?

Fremdenrechtsexperte Wilfried Embacher erklärt, warum niemand in ein Kriegsgebiet wie Afghanistan abgeschoben werden darf und warum die Menschenrechte zurzeit vor der Politik geschützt werden müssen.

von Gastkommentar - Das Ende der Menschenrechte? © Bild: Getty Images
Wilfried Embacher ist Anwalt für Fremdenrecht
© Heribert Corn

Die Idee der Menschenrechte ist alt. Seit der Antike wird darüber nachgedacht, wie jedem Menschen ein würdevolles Leben ermöglicht werden kann und welcher Schutz vor autoritären Eingriffen in einzelnen zugestandenen Rechten gewährt werden soll. Auch Österreich hat eine lange Tradition der Weiterentwicklung und Geltung dieser Rechte. Und es hat schmerzvolle Erfahrungen mit ihrer Missachtung.

Grundrechtliche Ansätze waren bereits 1811 im Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch vorgesehen, danach auch in den Verfassungen der Monarchie. Der erste Grundrechtskatalog der österreichischen Geschichte war das Staatsgrundgesetz 1867. Damit war Österreich unter den europäischen Vorreitern in Sachen Menschenrechte. In der Zweiten Republik gab es menschenrechtliche Rückschritte bis zum autoritären Ständestaat. Im nationalsozialistischen Faschismus galten Menschenrechte wie andere Rechte nichts, Menschenverachtung war zur Staatsideologie geworden. Als Reaktion auf die begangenen Menschenrechtsverbrechen begann die internationale Staatengemeinschaft, über verbindliche Menschenrechtskataloge zu verhandeln, an die sich Staaten durch Beitritt halten müssen. Die internationale Vereinbarung sollte den einzelnen Rechten zusätzliches Gewicht verleihen.

Die Europäische Menschenrechtskonvention vom 4. November 1950 (EMRK) ist das Ergebnis dieser Entwicklung und steht in Österreich seit 1964 im Verfassungsrang.

Ergänzt wird dieser international wichtigste Grundrechtskatalog durch 14 Zusatzprotokolle. Die besondere Bedeutung der EMRK besteht darin, dass sie ein persönliches Beschwerderecht einräumt und somit die einzelnen Rechte individuell durchsetzbar macht. Ein verfassungsgesetzlich gewährleistetes Recht auf Asyl ist weder in der EMRK noch an anderer Stelle eingeräumt. Warum ist die EMRK dennoch in das Zentrum der aktuellen Diskussion um Abschiebungen gerückt?

Art. 3 EMRK verbietet es, jemanden der Folter oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung auszusetzen. Diese Verpflichtung besteht auch, wenn der Grundrechtseingriff nach einer Abschiebung im Zielland droht. Und sie gilt absolut, also ohne Unterschied, ob die betroffene Person unbescholten oder strafrechtlich verurteilt ist. Niemand darf in ein Kriegsgebiet, in dem ein reales Risiko der Gefährdung von Leib und Leben besteht, abgeschoben werden.

Die letzten Tage haben gezeigt, dass die absolute Geltung der EMRK von Regierungsmitgliedern, die als oberste Vollzugsorgane einen Eid auf die Beachtung der Verfassung und somit auch der EMRK geleistet haben, in Frage gestellt wird. Nicht anders kann das beharrliche Ankündigen von weiteren Abschiebungen nach Afghanistan nach der Machtübernahme durch die Taliban und die begonnenen Überlegungen zu "Alternativen zur EMRK" verstanden werden.

Erstmals seit längerer Zeit geraten somit Menschenrechte, deren Geltung in den Schönwetterreden so gerne betont wird, unter Druck. Möglich ist das nach einem länger andauernden Prozess, in dem wiederholt die Menschenwürde in kleinen Einzelschritten in Frage gestellt wurde. Dazu gehörten einseitige mediale Darstellungen ebenso wie respektloser Umgang durch Behörden und die wiederholte Verschärfung rechtlicher Grundlagen. Diese Entwicklung war und ist politisch mehrheitlich erwünscht, das Eintreten für Menschenrechte wird sogar als unzeitgemäß verunglimpft. Von der Politik ist daher bis auf Weiteres keine Verbesserung zu erwarten. Die Idee der Menschenrechte wird aber auch diese Phase überstehen. Um den Schaden möglichst gering zu halten, müssen Zivilgesellschaft und Medien jetzt ein wirksames Gegengewicht bilden. Und auch die Rechtsprechung ist besonders gefordert. Die Höchstgerichte müssen zeigen, wie sie ihre Rolle als Hüterinnen der Grundrechte verstehen. Deren Ende ist von jenen, die sie als lästige Machtbeschränkung empfinden, vielleicht erwünscht, aber glücklicherweise noch weit entfernt.

Dieser Beitrag erschien ursprünglich im News 34/2021.