Ein Weltmeister im stummen Hochbetrieb

Wie verbringt der Dirigent Christian Thielemann die Zeit der erzwungenen Stille? Ein Gespräch über Alarmmeldungen aus Bayreuth und die Zukunft in Salzburg und Wien.

von Heinz Sichrovsky © Bild: NEWS

Ursprünglich wollte ich Ihnen heute ja wieder von der Staatssekretärin Lunacek erzählen. Derzeit rühmt sie sich einer trinkgeldhaften Erhöhung der Hilfsmittel, während Kleinunternehmer wie Millionenbetriebe aus dem Kunstbereich demokratisch dem Bankrott entgegengehen. Auch nehme ich zur Kenntnis, dass zwar Jäger, nicht aber ausländische Künstler zu ihren dringend benötigten Vorproben einreisen dürfen: Chaos und Resignation, während Oberösterreich und Wien schon gescheite Wiederbelebungsmaßnahmen auf den Weg bringen.

Aber wissen Sie, was in der Musik ein Trugschluss ist? Man glaubt, ein Stück sei schon vorbei, da kommt noch eine überraschende Pointe, ein letzter Höhepunkt. So erging es mir, als meine Geschichte über die prekäre Situation der Orchester schon gedruckt war: Der angefragte Weltdirigent Christian Thielemann meldete sich telefonisch, und was er alles zu erzählen hatte!

Zum Beispiel Neues aus Bayreuth: Als sich Titanen-Urenkelin Katharina Wagner krankheitshalber für nicht absehbare Zeit von der Leitung der Festspiele beurlaubte, sah man schon die Geier kreisen, im Familienverband ebenso wie unter außenstehenden Interessenten. Thielemann, der Katharina Wagner als Musikdirektor zur Seite steht, muss einschlägige Hoffnungen zerstreuen: "Sie ist noch in Behandlung, aber auf dem Weg der Besserung. Sie hat keine schwere Krankheit, es war nur ein Ausrufezeichen. Sie hatte wohl Glück." Ganz sicher werde die Intendantin ihren bis 2025 laufenden Vertrag erfüllen. "Alle anderen Mutmaßungen sind Quatsch." Nach der Absage der Festspiele seien glücklicherweise keine künstlerischen Entscheidungen zu treffen. Eher gehe es darum, ob und zu welchem Anteil die Festspielkünstler für den Verdienstentgang zu entschädigen seien: die hochbezahlten in bescheidenerem Ausmaß als die in den kleinen Rollen, schlägt Thielemann vor.

Er selbst wird im stummen Bayreuth nicht nur Organisatorisches erledigen, sondern auch Urlaub machen. So wie die nicht wenigen Besucher, die ihr Quartier nicht storniert haben. Er wird im leeren Orchestergraben sitzen und über den Beruf nachdenken: die rasende Betriebsamkeit auf Tourneen und in Flugzeugen, die Unabkömmlichkeit, die plötzlich keine mehr ist. Im Berliner Domizil hat er dreieinhalb Wochen lang seine Bibliothek geordnet und als Chef der Staatskapelle Dresden telefonisch Verwaltungsarbeit erledigt. Seine finanziellen Ausfälle sind trotz der Führungspositionen enorm. Aber sich zu beklagen, das bleibe den schlecht bezahlten Freiberuflern vorbehalten, von denen manche nicht wissen, wie sie die Miete bezahlen sollen.

Ein beeindruckter Blick in die Kulturnation Deutschland: Die Dresdner Musiker beziehen ihr volles Gehalt, ZDF und Arte haben die Reihe "Musik an den schönsten Plätzen Sachsens" ersonnen. Zunächst Orchestersolisten, dann kleinere Ensembles werden da für Konzerte in die regionalen Kulturdenkmäler verpflichtet. Die Salzburger Osterfestspiele, von denen Thielemann und die Dresdner durch einen Mob aus Provinzpolitikern und Scharlatanen vertrieben wurden? Der Vertrag endet 2022, und ab 2023 wird es dafür in Dresden Richard-Strauss-Tage geben, die nicht unbedingt Osterfestspiele heißen müssen, aber das Bestverfügbare an Oper und Konzert bieten sollen. Man kann das verstehen: Wenn das, was Nachfolger Klaus Bachler in Salzburg mit Allerweltsorchestern veranstaltet, Festspiele sind, genügen dem Weltorchester und seinem Weltdirigenten Strauss-Tage.

Schluss des Gesprächs? Nein, Trugschluss, denn wenig später meldete sich Thielemanns Management mit der erbetenen, aber unfroh zur Kenntnis genommenen Auskunft: Nach vier "Ariadne"-Vorstellungen im November wird der Maestro erst wieder 2023 am Pult des Staatsopernorchesters erwartet. Um Nachverhandlung wird gebeten.

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