Lesetipps für unsere Politiker

Bücher spenden Trost und Rat. Sie helfen durch so manche (Regierungs-)Krise. Hier finden Sie hintergründige Lesetipps für Politiker, aber nicht nur für diese.

von Lesetipps für unsere Politiker © Bild: Sebastian Reich News

Lesen hilft. Bücher erweitern den Horizont, stellen festgefahrene Überzeugungen infrage, halten einem den Spiegel vor, helfen, das eigene Verhalten zu reflektieren. Von manchen Politikerinnen und Politikern weiß man, dass sie Bücher zur Hand nehmen, auch wenn der Terminkalender dicht gedrängt und der Tag lang war. Ob sie eine andere - vielleicht auch bessere - Politik machen als Nichtleser? Man könnte es höchstens vermuten. In jedem Fall kann man allerdings zu Lektüre raten. Denn Lesen macht nämlich auch eines: Freude.

»Denken kann die Welt zum Besseren, auch zu mehr Gerechtigkeit verändern«

Für News stellt bereits zum vierten Mal die Bücherexpertin und Gründerin der Leporello-Buchhandlungen, Rotraut Schöberl, eine Bücherliste für die Spitzen der Politik zusammen. Sie kennt die Neuerscheinungen der letzten Monate und weiß, zu welchem Politiker diese derzeit am besten passen. Die Auswahl ist liebevoll, bisweilen mit einem Augenzwinkern, aber jedenfalls auch für alle anderen Leserinnen und Leser interessant. Wir baten um ihre Tipps für Bundespräsident Alexander Van der Bellen (tatsächlich ein langjähriger Kunde Schöberls), Ex-Kanzler Sebastian Kurz und seinen Nachfolger Alexander Schallenberg, Vizekanzler Werner Kogler und für die Opposition: Pamela Rendi-Wagner, Herbert Kickl und Beate Meinl-Reisinger.

© Sebastian Reich Trend

Die Kunst des Aufhörens

Vor allem Sachbücher empfiehlt Schöberl. Oft geht es um Krisenbewältigung, Resilienz und die eigenen Grenzen im Denken. Der Buchtipp für den nun schon zum zweiten Mal gescheiterten Bundeskanzler Sebastian Kurz sei allerdings allen Menschen in der Politik und in anderen tragenden Rollen nahegelegt: In Harald Welzers "Nachruf auf mich selbst" geht es nicht nur darum, den richtigen Augenblick für den eigenen Abschied zu erkennen und vielleicht einmal zu Papier zu bringen, was dann eigentlich in Erinnerung bleiben soll. Es geht auch darum, dass wir alle an gewohnten Dingen und Strukturen festhalten, obwohl sie uns und allen anderen gar nicht mehr guttun. Was fehlt? Eine Kultur des Aufhörens. Nur nicht beim Lesen.

ALEXANDER VAN DER BELLEN

© Ricardo Herrgott News

Von der ersten - aufgehobenen - Stichwahl im Jahr 2016 bis zur jüngsten - und vielleicht nicht letzten - Regierungskrise: Die Amtszeit von Bundespräsident Alexander Van der Bellen ist reich an Gratwanderungen und zunächst scheinbar unbezwingbaren Hürden. Zuletzt hatte er alle Hände voll zu tun, ÖVP und Grüne am Regierungstisch zu halten und als Alternative an einer Expertenregierung mit Vier-Parteien-Unterstützung zu basteln. Passend dazu, aber als seine langjährige Buchhändlerin auch um die Vorlieben Van der Bellens wissend, empfiehlt Rotraut Schöberl dem im Tiroler Kaunertal Aufgewachsenen ein Buch über die Berge. Robert Macfarlane beschreibt in seinem Buch "Berge im Kopf", wie sich die Berge vor rund 300 Jahren von einer bedrohlichen Naturkulisse, der vermeintlichen Heimat der Drachen, zum Sehnsuchtsziel vieler gewandelt haben. Er beschreibt eigene Klettererfahrungen und die Wege alpiner Pioniere.

Empfohlen, weil ...
"UHBP liest zwar viel, aber er wandert auch gerne, und nach diesen doch herausfordernden Wochen ist es vielleicht wie ein Kurzurlaub für ihn, in dem neuen Buch von Robert Macfarlane zu schmökern: Diese faszinierte Natur- und Kulturgeschichte der Bergbegeisterung kann er sicherlich auch noch um ein weiteres Kapitel ergänzen. ;-)"

Robert Macfarlane, "Berge im Kopf"*. Matthes & Seitz, € 35,-

ALEXANDER SCHALLENBERG

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Er war sichtlich gerne Außenminister und ist - in den ersten Tagen - spürbar ungern Bundeskanzler. Alexander Schallenberg steht vor der schwierigen Aufgabe, zwischen vielen Lagern zu vermitteln. Innerhalb der Regierung gilt es, den Vertrauensschwund zwischen ÖVP und Grünen wettzumachen und doch noch ein paar konstruktive Koalitionsmonate dranzuhängen. Innerhalb der ÖVP gilt es, zwischen Kurz-Getreuen und Enttäuschten zu vermitteln und ein Zerreißen der Partei zu verhindern. Gegenseitiges Unverständnis stand auch am Anfang der Bekanntschaft zwischen "Falter"-Chefredakteur Florian Klenk und dem Bauern Christian Bachler. Klenk hatte ein Schadenersatzurteil gegen den Landwirten gutgeheißen, dessen Kühe eine Urlauberin getötet hatten. Bachler hatte den Journalisten wutentbrannt, einen unwissenden Bobo geheißen. Ein Praktikum am Hof und eine Hilfsaktion gegen eine drohende Zwangsversteigerung später wissen beide: Reden hilft.

Empfohlen, weil ...
"Auch das ist Österreich oder: wie wunderbar, wenn Beschimpfung und Unverständnis durch Zuhören (und auch Anpacken) in Verstehen und Realitätsehen verändert werden! Gerne zitiere ich Robert Menasse: "Wahrheit aufdecken und damit die Realität verbessern: bei großen Staatsaffären und auch bei den Nöten eines kleinen Bauern."

Florian Klenk, "Bauer und Bobo"*. Zsolnay, € 20,60

SEBASTIAN KURZ

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Als Bundeskanzler hatte Sebastian Kurz einen dicht gefüllten Terminkalender und lange Arbeitstage. Seit er "zur Seite getreten" und nur noch ÖVP-Chef ist, tritt er nur selten in der Öffentlichkeit auf. Ob er nun Zeit zum Lesen findet? Bücherexpertin Rotraut Schöberl rät dem nunmehr zweimaligen Ex-Kanzler zur Lektüre über die Kunst des Aufhörens - in vielen Bereichen: Autor Harald Welzer fordert seine Leserinnen und Leser auf, rechtzeitig einen Nachruf auf sich selbst schreiben, damit man weiß, wie man gelebt haben will. Ein Rat, der nicht nur in der Spitzenpolitik zu beherzigen wäre. In seinem Buch geht es aber auch darum, dass unsere Gesellschaft in vielen Bereichen nicht mehr erkennt, wann ein Ende geboten wäre. Etwa beim Bau von Autobahnen und Flughäfen, wenn es diese Fortbewegungsmittel in Zukunft gar nicht mehr in dieser Menge brauchen wird.

Empfohlen, weil ...
"Mit Witz, Selbstironie, Weitsicht und Kraft, ohne dabei ideologisch zu sein. Sein Credo: Optimiertes Falsches ist immer noch falsch. Denken kann die Welt zum Besseren, auch zu mehr Gerechtigkeit, verändern - das kann nämlich Festklammern an bestehenden Strukturen nie. Und seine geniale Aufforderung zum eigenen Nachruf unter dem Motto 'Wer will ich gewesen sein?' Ist ein großartiger Denkanstoß!"

Harald Welzer, "Nachruf auf mich selbst. Die Kultur des Aufhörens"*. S. Fischer, € 22,70

WERNER KOGLER

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Für den grünen Vizekanzler gehört der Kampf gegen die Klimakrise zu seiner politischen DNA. Das Management von Dauerregierungskrisen ist erst seit Jänner 2020 auf seiner Agenda. Finanzökonom Markus Brunnermeier erklärt in seinem Buch, wie sich Gesellschaften nach (Corona-)Krisen erholen können.

Empfohlen, weil ...
"Diese Idee eines 'resilienten Gesellschaftsvertrags' hilft bei der Bewältigung und auch beim Erholen von Krisen. Genau das richtige visionäre Buch für Debatten über den richtigen Kurs der Politik in seltsamen Zeiten."

Markus K. Brunnermeier, "Die resiliente Gesellschaft. Wie wir künftige Krisen besser meistern können"*. Aufbau, € 24,70

PAMELA RENDI-WAGNER

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Die SPÖ-Chefin kann es in ihrer Partei und deren Anhängerschaft kaum jemandem recht machen. Neben ihrer Rolle als Medizinerin und Corona-Expertin fehlt es an politischen Initiativen. Meldet sie sich zu Wort, spürt man ihr Bemühen, den unterschiedlichen Befindlichkeiten ihrer Parteifreunde gerecht zu werden. Ob ihr mehr Fantasie in der Politik weiterhelfen würde? Walter Otto Ötsch und Nina Horaczek konstatieren eine Krise der politischen Utopie und Vorstellungskraft und zeigen Auswege aus dieser auf. Wozu wir diese Fantasie brauchen? Für den Kampf gegen die Klimakrise zum Beispiel.

Empfohlen, weil ...
"Streitschrift für mehr Phantasie in der Politik" ist eine Aufforderung zum Handeln und Über-die-Grenzen-hinaus-Denken. Es gibt längst viele Initiativen, die sich mit den Voraussetzungen für eine bessere Zukunft beschäftigt haben: Lernen wir von ihnen!"

Walter Otto Ötsch, Nina Horaczek, "Wir wollen unsere Zukunft zurück!"*. Westend, € 18,50

HERBERT KICKL

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Der FPÖ-Chef gehört zu jenen Politikern, die wissen, mit welchen Ansagen sie ihre Zielgruppe erreichen können. Derzeit setzt Kickl auf, unter Umständen sogar gefährliche, Geschichten rund um die Coronapandemie und die Impfung gegen dieses Virus. Samira El Ouassil und Friedemann Karig zeigen in diesem eben erschienenen Buch, welche Wirkung Narrative in Politik und Geschichte über die Jahrhunderte hatten - vom Sieg bis zum Untergang.

Empfohlen, weil ...
"Eine starke Geschichte kann die Welt retten oder sie zerstören. Sie kann Wahlen entscheiden, Menschenleben retten, aber auch Kriege auslösen und Ungerechtigkeit zementieren. Sie durchdringt Politik, Medien und Kultur, lehrt, unterhält, verführt uns, beeinflusst unsere Wirklichkeitswahrnehmung - vom griechischen Drama bis zur Netflix-Serie ..."

Samira El Ouassil, Friedemann Karig, "Erzählende Affen. Mythen, Lügen, Utopien - wie Geschichten unser Leben bestimmen"*. Ullstein, € 25,70

BEATE MEINL-REISINGER

© imago images/SEPA.Media

Die Neos-Chefin war zwar während der turbulenten Tage der Regierungskrise bei der Suche nach einer Vier-Parteien-Alternative aktiv, blieb aber bei der folgenden Aufregung darüber, ob man mit der FPÖ regieren könne, geschickt unter dem Radar. Rund um den nächsten U-Ausschuss wird man stärker um Aufmerksamkeit ringen. Ob bis dahin auch Zeit zum Lesen bleibt?

Empfohlen, weil ...
"Für die als Vielleserin bekannte BMR mein momentanes Lieblingsbuch aus Kanada: Anhand des Schicksals dieser starken, freiheitsliebenden Frau beschreibt Michel Jean das Ende der traditionellen Lebensweise der Nomadenvölker im Nordosten Amerikas, deren Umwelt zerstört wurde und die zur Sesshaftigkeit gezwungen und in Reservate gesperrt wurden, ohne Zukunftsperspektive. Oder kurz gesagt: 'Djamila' liest die 'Rede des Häuptlings Seattle'."

Michel Jean, "Kukum"*. Wieser, € 21,-

EINES FÜR ALLE

Klein, dünn - aber oho: Die Quintessenz seiner Dokumentationen "Österreich I und II": eine kompakte, spannende Erinnerungsauffrischung in Sachen österreichische Zeitgeschichte mit einigen interessanten Verknüpfungen! Eine Erinnerung an einen Großen.

Hugo Portisch, "So sah ich. Mein Österreich"*. story. one, € 14,-

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Dieser Beitrag erschien ursprünglich im News 44/2021.