Hat die Vernunft
ein Recht auf Urlaub?

Abwarten, aussitzen, aufschieben: Geht es um Ferienreisen in Covid-Zeiten, so hat Österreichs Nationalphlegma Pause – eine politische Fehlleistung.

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ein Recht auf Urlaub? © Bild: News

Die sogenannte neue Normalität ist längst schon wieder die alte – während des Shutdown im März von der Politik noch mit prophetischem Pathos beschworen, zerrinnt sie nun in der Julisonne.

Wer dieser Tage etwa den verwegenen Versuch unternimmt, am Wiener Donaukanal zu flanieren oder die Becken der städtischen Bäder durchpflügt, sieht: Menschenmassen so weit das Auge reicht, Bussi-Bussi da, neckische Wasserschlachten dort. Tja, und die Masken, genau jene Masken, über die Kanzler Kurz nebulös orakelte, dass man sie irgendwann wohl noch wirklich brauchen werde – die werden nun auch in den Öffis am liebsten leger getragen.

Es ist Sommer, und Nasenfrei ist das neue Nabelfrei; und da der Mensch im Urlaub bekanntlich noch menschlicher ist als zu Hause und die Frequenz auf den touristischen Flüchtlingsrouten wieder rasant zunimmt, droht uns spätestens für den Herbst ein neuer Coronaralschaden.
Die Forscher mahnen, dass es hoch an der Zeit wäre, präventiv tätig zu werden. Oder besser gesagt: präventiv untätig zu bleiben und also von größeren Reisen samt geographischer und gefühlsmäßiger Grenzüberschreitungen abzusehen.

»Die Botschaft des Kanzlers dient der Tourismuslobby, nicht der Gesundheit«

Das ist eine klare Botschaft. Doch die Botschaften der Politik sind, höflich formuliert, dispers: Während zwar der Gesundheitsminister „in Sorge“ ist, bekennt der Kanzler, selbstverständlich auf Urlaub zu fahren – natürlich in Österreich. Doch das ist eine patriotisch-populistische Parallelaktion mit Blick auf die mächtige Tourismuslobby, keinesfalls ein gesundheitspolitisches Manifest.

Ja muss denn, so fragt man sich, in den Ferien auch zwangsläufig die politische Vernunft, auch zwangsläufig die politische Verantwortung Urlaub machen? Trefft euch, habt eine gute Zeit, verkehrt in emotionaler Nähe, aber kommt euch bitte nicht zu zahlreich zu nahe – das müsste im Grunde die Botschaft sein. Und nicht: Urlaub im Inland ist supergut, Urlaub im Ausland ist zwar ein bisserl weniger gut, aber auch nicht ganz schlecht.

Mit den Urlaubsempfehlungen der Regierung verhält es sich wie mit dem Wetter: Wer nur lange genug googelt, findet für jeden Ort zwischen Wörthersee und Mittelmeer die erwünschte Prognose. Und ebenso hört, wer weg will, ganz einfach auf den Kanzler und wer da bleibt, auf den Gesundheitsminister. Was aber bei den meisten Bürgerinnen und Bürgern hängenbleibt: Was gesetzlich erlaubt ist, kann doch nicht moralisch verboten sein, also auf und davon.

Abwarten, aussitzen, aufschieben, kurzum: schauma amal – wo ist Österreichs zur Lebensart verklärtes Nationalphlegma, wenn man es wirklich mal braucht? Wenn es zur Abwechslung mal nicht dazu dienen würde, Polit- skandale zu übertünchen? Und warum kann man damit nicht ausnahmsweise mal Gesellschaftspolitik machen?
Die politischen Masken sind gefallen, die Normalität ist längst wieder die alte. Und die Schulen, die man im Herbst, wenn all die tiefgebräunten Covid-Abenteurer wieder in die Klassen einsickern, womöglich erneut auf Schichtbetrieb umrüsten muss? Die sind dann plötzlich wieder ein Fall für die neue Normalität.

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