Mit Puppenmacht gegen die Krise

Puppenmagier Nikolaus Habjan soll den Publikumsschwund stoppen

Mit den weltskeptischen Liedern des genialen Kabarettisten Georg Kreisler könnte der Regisseur Nikolaus Habjan dem Volkstheater über ernste Auslastungsprobleme helfen. In dieser Saison entscheidet sich der Weiterverbleib von Direktorin Badora

von KULTUR - Mit Puppenmacht gegen die Krise
© Bild: News Matt Observe

Betörend ist das: dieser seelenwunde, melodiensatte Kärntner Wehlaut für vierstimmigen Chor. Dann wenden sich die harmonischen Ereignisse sachte ins Irritierende, bis am Schluss eine grelle Dissonanz die jüngere Kärntner Realität aufzurufen scheint. Dazu formt sich für das "Schaurig-traurig Lied vom einäugigen Elschen" die "Schauspielerwolke": So nennt der Regisseur und Puppenmeister Nikolaus Habjan sein Ensemble, das sich aus den besten Kräften des Volkstheaters zusammensetzt. Sie changieren ständig in ihren Rollen, spielen, singen und animieren die von Habjan gefertigten Ganzkörperpuppen mit den alles durchdringenden Augen. Der Abend bezieht seinen Titel von einer Vision des österreichischen Kabarettisten Georg Kreisler: "Wien ohne Wiener" ist ein "szenischer Liederabend", Habjans Verehrungsbekundung für den 2011 in Salzburg verstorbenen Großsatiriker. "Wie schön wäre Wien ohne Wiener", schwärmte Kreisler in der ihm eigenen messerscharf-nasalen Rhetorik.

»Georg Kriesler war in Österreich nie akzeptiert. Er ist ein Vergessener.«

Er wusste, wovon er sang. Kreisler, 1922 in Wien geboren, musste emigrieren und nahm die amerikanische Staatsbürgerschaft an, die er auch nach seiner Rückkehr in die un-heimliche Heimat nicht wieder ablegte. Mit gutem Grund: Mehr noch als die Vertreibung habe ihm die Abweisung nach der Rückkehr zu schaffen gemacht, sagt Habjan, der Kreisler flüchtig kennenlernte und heute zu dessen Witwe Barbara Peters in engem Kontakt steht. "Er hat unter dem Trauma des Heimkehrenwollens, aber nicht -dürfens bis an sein Lebensende gelitten. Er war in Österreich nie wirklich akzeptiert und erfolgreich, und er hat auch die Staatsbürgerschaft nicht mehr angenommen. Es gibt von ihm den Text ,Brief an Wien', in dem er den Bundespräsidenten und den Magistrat bittet, von Geburtstagswünschen abzusehen. Er fände das falsch und verlogen."

"Tauben vergiften"

Das Ehepaar absolvierte seinen letzten gemeinsamen Gesangsauftritt vor zwei Jahrzehnten im Simpl. Da das Etablissement den Abend mit keinem Wort bewarb, kamen am Ende 20 Zuschauer. "Kreisler ist ein Vergessener." Aber ist das Lied "Tauben vergiften im Park" nicht ein Stück Wiener Folklore? "Eben", sagt Habjan. "Das Lied hat sich vom Urheber gelöst und zur Institution verselbstständigt wie der ,Herr Karl': ummantelt und harmlos gemacht, denn Österreich ist eine Auster. Das unbequeme Sandkorn kommt hinein, und dann wird es eine hübsche Perle, und niemand weiß mehr, dass es einmal ein Sandkorn war."

"Tauben vergiften" ist für Habjan ein Stück persönlicher Traumageschichte: Die Eltern aus dem Grazer Bürgertum liebten Kreisler, seine Tonträger rotierten beständig auf dem Plattenteller. Also sang der Sohn "Tauben vergiften" vor, als die Lehrerin in der zweiten Volksschulklasse sein Lieblingslied kennenlernen wollte. Worauf die Eltern vorgeladen wurden: Das Kind habe die Tierquälerei propagiert. Dabei, ereifert sich Habjan, gehe es in dem Lied metaphorisch um die Vernichtung unliebsamer Menschen durch freundliche Mitbürger. Also wird am Volkstheater die Schauspielerin Claudia Sabitzer in Vogeladjustierung von einem albtraumhaft verpuppten Pensionistenpaar liquidiert.

Zürich, München, "Burg"

Habjan feierte eben erst den 30. Geburtstag, aber mit seiner Karriere wären auch Ältere vorzüglich bedient. Soeben hat er Webers "Oberon" mit Fortüne auf die Bühne der Bayerischen Staatsoper München gehoben. Zwei namhafte deutsche Opernhäuser ziehen nach -eines bietet ab 2020 einen über vier Jahre laufenden Vertrag für vier bis fünf Inszenierungen, unter ihnen "Tosca" und "Carmen". Am renommierten Zürcher Schauspielhaus kommt bald eine subversive "Fledermaus" in Franui-Begleitung, und im November beginnen am Münchner Residenztheater die Proben für Marivaux' klassische Groteske "Der Streit".

Aus dem Theaterkeller in die große Bühnenwelt.

Abgesehen vom Rang des Hauses ist das auch insofern interessant, als der Münchner Intendant Martin Kušej 2019 das Burgtheater übernimmt. Habjan hat sich dort schon bisher Heimatrecht erworben: Der unfriedlich abhandengekommene Alt-Direktor Hartmann holte das junge Mehrfachtalent aus dem Theaterkeller in die große Bühnenwelt. Und im Herbst 2018 inszeniert Habjan an der "Burg" zum 60. Geburtstag des jung verstorbenen Dramatikers Werner Schwab eines von dessen anarchischen Geniewerken.

Das sind erfreuliche Nachrichten, wenn auch nicht für das Volkstheater: Der Kreisler-Abend ist zwar ein sicherer Bringer; aber Habjan stellt damit seine Aktivitäten an dem Haus, dem er in den beiden ersten Saisonen der Direktorin Anna Badora Ruhm und Zuschauer brachte, bis auf Weiteres ein. Schon mit Ende der vergangenen Saison verabschiedete sich zudem die Schauspielerin Stefanie Reinsperger ans Berliner Ensemble, wo sie mit Brechts Parabelstück "Der kaukasische Kreidekreis" triumphalen Einstand feierte. Damit sind die beiden Publikumsmagneten abhandengekommen, und der Zulauf nahm sich schon vorher alles andere als glückhaft aus. Mit offiziell etwas unter 70 Prozent Auslastung in der vergangenen Saison kann man nicht zufrieden sein. Und die kürzliche Saisoneröffnung, ein Euripides-Abend mit zeitgenössischem Anhang in der Inszenierung der Direktorin, lässt sich verkaufstechnisch qualvoll an: Zur zweiten Vorstellung fanden weniger als 200 Zuschauer den Weg ins 832 Plätze fassende Haus. Und noch in dieser, spätestens zu Beginn der übernächsten Saison wird über die Verlängerung von Badoras 2020 auslaufendem Vertrag entschieden.

Hartes Jahr am Volkstheater

Als die Direktorin im September 2015 vom florierenden Grazer Schauspielhaus nach Wien wechselte, gab sie sich selbst zwei Saisonen, um das schwierige Wiener Haus in den Griff zu bekommen. Sie kündigte das fast komplette Ensemble und begann mit einem ambitionierten Spielplan, der vom Publikum maximal punktuell angenommen wurde. Man erfing sich halbwegs mit Nestroy, Molière und, in Habjans Regie, Lessings "Nathan". Aber international akklamierte Regisseure wie der Ungar Viktor Bodó und die Israelin Yael Ronen kamen nicht an. "Die Neugier, sich auf etwas Neues einzulassen, ist in Wien nicht flächendeckend vorhanden", sagt die 1951 in Polen geborene Direktorin. "Man strengt sich nicht gern an."

»Die meisten Theater gehen daher immer mehr in Richtung Gefälligkeit. Das Publikum will aber herausgefordert werden.«

Zudem sei die Theaterkonkurrenz in Wien hart, und Streamingdienste zögen das Publikum ab. "Die meisten Theater gehen daher immer mehr in Richtung Gefälligkeit. Ich habe die Wünsche des Publikums zwar immer geachtet, aber meine Erfahrung lehrt mich, dass das Publikum auch herausgefordert werden will." Als Beispiel nennt sie den umgekehrt überrannten Euripides: Die wenigen Besucher reagierten begeistert. Man müsse die Leute also erst einmal ins Theater bringen, um die Mundpropaganda zu aktivieren.

Entscheidende Saison

Aber, ja: Die eben begonnene Saison sei eine entscheidende, sagt sie, während Kulturstadtrat Mailath-Pokorny kalmierend auf die nächsten Monate verweist. Die beiden Jahre, die sie sich selbst als Frist setzte, sind um. "Das dritte muss und wird sitzen. Es wird ein Jahr des Kämpfens, wir geben wie immer unser Bestes. Wir haben vieles angelegt, geändert, besser verstanden, sodass wir in dieser dritten Saison ernten wollen." Zusatz: "Und müssen." Alle Beteiligten seien sich der Situation bewusst. "Der Zusammenhalt ist stark und das Programm überzeugend. Aber um das zu sehen, müssen wir die Wiener erst einmal ins Haus bringen."

Und wenn das misslingt? Strebt sie dann die Verlängerung an? "Ich habe noch diese Spielzeit, um mir darüber klar zu werden. Mir macht es noch immer Spaß, und wenn diese Saison beim Publikum aufgeht, bin ich motiviert." An Bemühungen fehlt es nicht: Wer jetzt 90 Euro auf den Tisch legt, kann bis Ende November eine beliebige Zahl an Vorstellungen besuchen. Mit arabischen Übertiteln für den pazifistischen "Nathan" fand man überraschend ein neues Publikumssegment -Badora und Habjan schwärmen einmütig von glücklichen halbwüchsigen "Kopftuchmädchen", denen man über die Sprachbarriere geholfen habe. Zwischen Mai und Oktober wird das Haus renoviert, und an Ausweichspielstätten wird auch die Auslastung relativ.

Das Geld geht aus

Andererseits ist das Einsparungspotenzial am unterdotierten Haus erschöpft, man hat die Werkstätten aufgelöst und das Personal reduziert. Geldmangel? "Das ist untertrieben. Als ich erstmalig den vollen Durchblick bekam, konnte ich es nicht fassen. Ich habe nie vorher ein Haus erlebt, in dem es keine Valorisierung gibt." Da der Vorgänger auch keinerlei Reserven hinterlassen habe, lebe man von der Hand in den Mund. Nach der Wahl seien Gespräche mit Bund und Stadt jedenfalls unerlässlich: "Mittelfristig können wir so nicht weitermachen." Weshalb sie dann das paradiesische Graz aufgegeben hat? Aus Sentimentalität, weil sie das Volkstheater seit den Studientagen am Reinhardt-Seminar liebt. "Und weil Theaterleute immer bekloppt sind, was die Sucht nach Herausforderungen betrifft."

Am Volkstheater ist harter Entzug garantiert.