Formal entscheidet der EU-Gipfel Freitag dieser Woche über die Einleitung der zweiten Phase der Brexit-Verhandlungen. Großbritannien will im März 2019 aus der EU austreten. Vergangenen Freitag hatten die EU und Großbritannien nach fünfmonatigen Verhandlungen eine erste Grundsatzeinigung über die Austrittsmodalitäten erzielt. In der zweiten Phase soll es um einen Freihandelsvertrag gehen. Das Europaparlament muss am Ende der Verhandlungen dem Austrittsabkommen und damit auch der Übergangsfrist zustimmen. Diese soll für einen möglichst reibungslosen Brexit sorgen.
Der EU-Chefverhandler für den Brexit, Michel Barnier, hatte den Europaabgeordneten von "außerordentlich schwierigen und komplexen" Verhandlungen berichtet, doch habe es ausreichende Fortschritte gegeben, um die zweite Phase einzuleiten. Dabei hofft Barnier auf "ruhigeres Fahrwasser". Jedenfalls müsse die britische Premierministerin Theresa May klarstellen, dass es sich nicht um eine Absichtserklärung Londons handle, sondern der Bericht von Großbritannien anerkannt und nicht infrage gestellt werde.
GegenseitigenZugeständnisse
Barnier unterstrich auch in Richtung London, dass "wir nie von gegenseitigen Zugeständnissen gesprochen haben". Also bei den Bürgerrechten könne von Zugeständnissen nicht die Rede sein, auch nicht beim Frieden und der Stabilität für Irland. "Und auch gibt es keine Zugeständnisse, was Projektträger betrifft, die aus dem europäischen Haushalt finanziert werden." Darüber hinaus werde es ein "spezielles Verfahren für Irland" geben.
Kern und Kurz über Fortschritte bei Brexit-Verhandlungen erfreut
Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) und Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) haben sich am Mittwoch in Wien im EU-Hauptausschuss des Nationalrats über den Abschluss der ersten Brexit-Verhandlungsrunde erfreut gezeigt. Kern betonte vor dem Gipfel der EU-Staats- und Regierungschefs am Donnerstag und Freitag in Brüssel jedoch, "die schwierigen Verhandlungen werden erst beginnen".
In der Nordirlandfrage könne man vorsichtig von "einer salomonischen Lösung" sprechen, auch wenn diese noch keine finale sei, sagte Kern. Es solle jedenfalls keine harte Grenze zwischen Irland und Nordirland geben und keine Lösung, die hinter das Karfreitagsabkommen zurückfalle. In der Finanzfrage sei "zumindest die Methodologie der Berechnung" festgelegt worden. Zwar gebe es noch keine konkreten Beträge, aber Großbritannien dürfte zwischen 45 und 55 Milliarden Euro an die EU überweisen müssen. Zudem solle London das EU-Budget bis 2020, also bis zu zwei Jahre nach dem geplanten Austritt, weiter mitfinanzieren.
Kurz gegen Erhöhung der Nettozahlungen
Nach 2020 würden dem EU-Budget durch den Wegfall der Beiträge aus Großbritannien bis zu zehn Milliarden Euro fehlen, meinte Kern. Da die gesamten Verwaltungskosten der EU aber nur sieben Milliarden Euro ausmachen würden, sei es unrealistisch, nur auf Einsparungen in der Verwaltung setzen zu wollen, sagte er in Anspielung auf Aussagen seines Außenministers und wahrscheinlichen Nachfolgers Kurz. Er sei "gegen eine Erhöhung der Nettozahlungen", betonte Kern, und daher müsse Österreich entscheiden, worauf es bereit sei zu verzichten, auf Gelder aus den EU-Strukturfonds oder im Bereich der Agrarhilfen.
Kurz zeigte sich froh über den Beschluss der "Permanenten Strukturierten Zusammenarbeit" (PESCO) der EU in Verteidigungsfragen. "Eine stärkere Kooperation bringt mehr Sicherheit für alle", denn es müssten Aufgaben bewältigt werden, die kein Land alleine stemmen könne. Es sei positiv, dass EU-Ratspräsident Donald Tusk und andere ebenso den Schutz der Außengrenzen wollen, denn "ohne funktionierenden Außengrenzenschutz werden wir das Problem der Migration nicht in den Griff bekommen", betonte Kurz.
Gemeinsame Verteidigungspolitik
Reinhard-Eugen Bösch (FPÖ) betonte, dass eine gemeinsame Verteidigungspolitik schon Inhalt der EU-Verträge sei. Auf jeden Fall müssten die Mitgliedsstaaten ihre Verteidigungsbudgets erhöhen und das "Bundesheer muss natürlich gestärkt werden". Claudia Gamon (NEOS) äußerte die Hoffnung, dass PESCO in "einer gemeinsamen europäischen Armee endet". Wolfgang Zinggl von der Liste Pilz kritisierte, dass beim EU-Sozialgipfel in Göteborg Kultur nur als Überschrift behandelt worden sei, Erasmus-Stipendien zu fördern sei zu wenig.
Der SPÖ-Abgeordnete Andreas Schieder bemängelte, dass in der EU die "soziale Dimension in den vergangenen Jahren nicht ausreichend berücksichtigt" worden sei. "Wenn die EU etwas scheitern lassen kann, dann ist es die soziale Ungleichheit", betonte sein Parteikollege Jörg Leichtfried. Dagmar Belakowitsch-Jenewein (FPÖ) warnte indes "vor den Grenzen der Finanzierbarkeit bei einer Sozialunion".
"Schwierige" Idee einer Sozialunion
Die Idee einer Sozialunion sei aber "schwierig auf den Boden zu bringen", meinte auch Kurz, da die Unterschiede in der EU hierfür zu groß seien. So würde der Durchschnittslohn in Rumänien unter der Höhe der Mindestsicherung in Österreich liegen. Daher müsse die soziale Frage national geregelt werden. Kern sprach sich indes für soziale Mindeststandards in der EU aus, denn durch unterschiedliche Sozialversicherungsbeiträge in der EU seien auch Arbeitsplätze in Österreich bedroht. Wichtig sei es außerdem, so Kern, globale Konzerne zu regulieren und durch den Brexit keine "neuen Steuerparadiese in Europa" entstehen zu lassen.