Ein Jahr Kurz: Erwartungen erfüllt, aber wahre Herausforderung wartet

Auch nach einem Jahr ist die ÖVP "noch immer die Partei, die sie war"

Vor einem Jahr hat er die ÖVP im großen Stil übernommen - und zumindest Logo-technisch umgefärbt: Sebastian Kurz sitzt seit einem Jahr im Sessel des ÖVP-Obmanns und hat die Erwartungen erfüllt, wie Experten urteilen. Die wahre Herausforderung wartet aber erst.

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Türkis statt Schwarz? - Ein Jahr Kurz: Erwartungen erfüllt, aber wahre Herausforderung wartet

"Es ist völlig unbestritten, natürlich hat er die Erwartungen erfüllt", stellt Politikberater Thomas Hofer fest. Mit Reinhold Mitterlehner oder anderen Vorgängern sei die ÖVP hinter FPÖ und SPÖ als Dritte eingereiht gewesen, das habe sich mit Spitzenkandidat Kurz schlagartig geändert: "Aus Sicht der ÖVP ein Jackpot." Kurz habe den Landesparteichefs und Bünden bei der Listenerstellung und der Ministerliste eine Unterwerfungsgeste abverlangt - zumindest symbolisch.

Aber "immer noch die Partei, die sie war"

Dennoch sei die Partei - und das sei für Kurz nicht ganz erfreulich - "in weiten Teilen noch immer die Partei, die sie war, als er sie übernommen hat". Dies habe sich nicht zuletzt erst bei den jüngsten Landtagswahlen oder bei Reformankündigungen gezeigt. Die Landeshauptleute etwa sagten mit dem Brustton der Überzeugung, man sei schwarz und nicht türkis. Die Ummodellierung war symbolisch und teilweise blieb sie in der Symbolik auch stecken, so Hofer: "Die Landeshauptleute sind gestärkt und machen nicht alles mit. Sie lassen sich nicht so leicht entmachten."

Landeschefs haben eigenen Kopf

"Natürlich ist Kurz weiterhin sehr stark. So lange er Erfolg hat, gibt es auch die Unterstützung. Aber es deutet sich in einigen Debatten an, dass man nicht gewillt ist, die alten Einflusssphären so leicht abzutreten." Auf Landesebene habe sich etwa bei der Koalitionsbildung in Tirol (Schwarz-Grün) gezeigt, dass die Landeschefs ihren eigenen Kopf haben. Vor allem die Westachse sehe aktuell die Chance, sich für die Zukunft als echter Faktor in der ÖVP zu etablieren.

"Weder Bünde- noch Ländereinfluss wurden begrenzt"

In der "Wahlkampferzählung" vor der Nationalratswahl 2017 sei der "Durchgriff und das Diktat" symbolisch wichtig gewesen. Durch die Verjüngung der Partei wollte Kurz unter Beweis stellen, dass er auch im Land einiges weiterbringen würde. "Faktisch ist es aber so, weder der Bünde- noch der Ländereinfluss wurden in irgendeiner Art begrenzt oder gar abgeschafft", meint Hofer.

Was die anstehenden Konfliktthemen wie beispielsweise die Mindestsicherung oder die Krankenkassen betrifft, werde es klug sein, hinter den Kulissen einen Kompromiss auszuhandeln. "Kurz muss sagen können: Ich habe zusammengelegt - und die Länder werden sagen müssen: Es fließt kein Geld ab." Es kann laut Hofer nicht im Interesse der Landesparteichefs sein, dass man den Reformeifer des Parteiobmanns bremst und den Kanzler damit imagemäßig beschädigt.

» Kurz weiß, dass er die Versprechen, die er vor der Wahl gemacht hat, umsetzen muss. «

Auch Meinungsforscher Peter Hajek erklärt: "Die Umfragen sagen, dass Kurz die Erwartungen erfüllt", er halte in der Kanzlerfrage SPÖ-Chef Christian Kern klar auf Distanz und bei der Partei gebe es nach wie vor keinen Einbruch: "Das ist ein gutes Zeichen für die Regierung und ein schlechtes Zeichen für die Opposition." Ob er die angekündigte Modernisierung in der Partei etwa bei der Listenerstellung so durchhält, sei offen. Aber beim Thema Mindestsicherung habe der Kanzler gezeigt, dass es ihm ernst ist. "Kurz weiß, dass er die Versprechen, die er vor der Wahl gemacht hat, umsetzen muss. Aus heutiger Sicht wird er es zumindest versuchen."

Landesparteien ist Land näher als Bund

Die Stärkung der Landeshauptleute bei den jüngsten Wahlen habe die Sachlage für Kurz nicht vereinfacht. Wenn es um die Finanzen geht, vertreten die Landesparteien die Interessen der Länder. "Ob das der Bundesregierung zupasskommt oder nicht, war den Bundesländern seit jeher egal - unabhängig welcher Farbkonstellation", stellt Hajek fest. Strittige Themen würden zwar im Vorfeld akkordiert: "Aber am Ende des Tages ist den Landesparteien das Land näher als der Bund."

"Derzeit herrscht gute Stimmung, weil es der Bundespartei, dem Kanzler und den Ländern gut geht. So lange das der Fall ist, wird man eine große Freude aneinander haben. Die große Herausforderung ist: Kann er den Anfangshype und die Hoffnung, die in ihn hineinprojiziert wurde, auf längere Sicht erfüllen." Hajek meint, die Nationalratswahl 2017 war lediglich das Gesellenstück: "Diesen Wahlerfolg zu wiederholen wird sein Meisterstück."

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