"Juden-Hass ist tödliche Gefahr"

Autor Gottschlich warnt: Antisemitischer Virus kann in Österreich jederzeit ausbrechen

von Antisemitismus - "Juden-Hass ist tödliche Gefahr" © Bild: NEWS/Herrgott

NEWS: Der Anschlag auf eine jüdische Schule in Toulouse erschüttert. Ist der Antisemitismus auf dem Vormarsch?
Gottschlich: Er hat in ganz Europa ein Höchstmaß erreicht. Er brodelt nicht mehr unter der Oberfläche, das Gewaltpotenzial wird größer. Das Verbrechen in Toulouse zeigt, wie schnell der irrationale Hass gegen Juden zur tödlichen Gefahr für die Juden auch in Europa werden kann.

NEWS: Wie antisemitisch ist Österreich?
Gottschlich: In den vergangenen Jahren hat der Antisemitismus in ganz Europa zugenommen. Gemessen daran ist Österreich wahrscheinlich nicht antisemitischer als andere Länder. Aber das ist kein Grund zur Beruhigung. Im Gegenteil: Mehr als anderswo gibt es in der österreichischen Gesellschaft eine antisemitische Immunschwäche, eine verminderte Widerstandskraft gegen den antisemitischen Virus. Das emotionale Klima hierzulande macht es dem Antisemitismus leicht. 12 Prozent der Österreicher sind heute der Meinung, es wäre besser, keine Juden im Land zu haben. 22 Prozent sagen, wir brauchen Politiker, die etwas gegen den jüdischen Einfluss tun. 44 Prozent glauben, dass die Juden zuviel Einfluss in der Geschäftswelt haben. Das ist alarmierend genug.

NEWS: Woher kommt diese Immunschwäche?
Gottschlich: Sie hat historische und psychologische Gründe. 40 Jahre lang lebte Österreich in der kollektiven Lebenslüge, bloß Opfer der Aggression Hitlers gewesen zu sein. Eine einseitige Auslegung der Moskauer Deklaration von 1943 (Österreich als erstes Opfer Hitlers, Anm.) verschaffte Österreich ein bequemes Alibi: Man musste sich nicht mit quälenden Fragen nach Schuld und Mitschuld, Verantwortung und Mitverantwortung für die Verbrechen des Nationalsozialismus auseinandersetzen.

Und vor allem eines: Wer sich selbst als Opfer sieht, kann das Leid der wirklichen Opfer ignorieren und verdrängen. Die Opferlüge war der Gründungsmythos der Zweiten Republik. Die Österreicher haben sich darin bequem eingerichtet. Daher unterblieb – im Unterschied etwa zur BRD - durch Jahre und Jahrzehnte hindurch die notwendige selbstkritische Aufarbeitung der Geschichte. Der Holocaust wurde als bedauerliche Begleiterscheinung des Krieges heruntergespielt und der aus der Nazizeit nachwirkende Antisemitismus geleugnet oder kleingeredet. Erst mit der Affäre Waldheim 1986 wurden breite Teile der österreichischen Bevölkerung aus ihren kollektiven Unschuldsträumen aufgeweckt. Dass das solange dauerte, ist auch Schuld von Politik und Medien, weil keine kritische Öffentlichkeit hergestellt wurde. Diese Versäumnisse wirken heute noch nach.

NEWS: Sie schreiben: „Die bloße Existenz der Juden bedeutete eine stille Mahnung und weckte diffuse Schuldgefühle.“ Die Österreicher wussten also, dass sie nicht nur Opfer, sondern auch Täter sind, und wurden durch die Anwesenheit der Juden daran erinnert?
Gottschlich: Man wollte nach dem Krieg die überlebenden Juden nicht, denn sie waren das schlechte Gewissen für die Österreicher. Daher haben Politik und Nachkriegsmedien alles dazu getan, die zurückgekehrten Juden möglichst auszugrenzen und aus der öffentlichen Wahrnehmung auszublenden. Die pragmatische, aber unmoralische Formel lautete damals: keine Juden – kein Antisemitismus – keine Schuld. Der Mechanismus der Schuldabwehr funktioniert auch heute noch. Nur ist an die Stelle der Juden der Staat Israel getreten. 42 Prozent der Österreicher stimmen der Meinung zu, dass sich die Israelis den Palästinensern gegenüber verhalten wie die Nazis gegenüber den Juden. Wenn es gelingt dem jüdischen Staat Schuld nachzuweisen, also die Opfer zu Tätern zu machen, dann – so die absurde Logik der Antisemiten – trägt das zur Rehabilitierung der Täter von damals bei. So als ließe sich die israelische Siedlungspolitik in den Westbanks gegen Auschwitz aufrechnen. Das ist die moderne Form der Schuldabwehr.
Kreisky hätte es besser wissen müssen
NEWS: Die Täter-Opfer-Umkehr stellen Sie auch im Konflikt zwischen Simon Wiesenthal und Bruno Kreisky fest.
Gottschlich: Simon Wiesenthal hat gegen eine Reihe von Ministern mit Nazi-Vergangenheit im Kabinett Kreisky I – das war I970 – Stellung bezogen. Und er hat fünf Jahre später die Affäre Friedrich Peter an die Öffentlichkeit gebracht. Statt dass man Wiesenthal dankbar war für seine Tätigkeit, den Nazis auf der Spur zu bleiben, hat man ihm die Schuld dafür gegeben, dass der Antisemitismus wieder aufkeimt. Nicht nur der jüdische Bundeskanzler Bruno Kreisky, sondern auch die Medien, insbesondere die Kronen Zeitung haben diese Täter-Opfer-Umkehr betrieben.

NEWS: Was hätte Kreisky tun sollen?
Gottschlich: Jedenfalls nicht Wiesenthal bekämpfen. Das Bemühen Kreiskys um Versöhnung mit den „Ehemaligen“ konnte nicht um den Preis des weiteren Verschleierns und Verdrängens gelingen. Das hätte ein Politiker wie er wissen müssen. Was in seiner Regierungszeit verabsäumt wurde, nämlich ein neues Verhältnis zur Geschichte zu finden, das besorgte dann die Affäre Waldheim. Da brach dann der ganze Antisemitismus auf, der Jahrzehnte lang unter der Oberfläche brodelte.

NEWS: Hat die damalige Kampagne der ÖVP den Antisemitismus salonfähig gemacht?
Gottschlich: Das Erschütternde ist, dass man in Österreich mit Antisemitismus Stimmen gewinnen kann. Es war der Sündenfall der ÖVP, dass sie damals dieser Versuchung nicht widerstanden hat. Viele Vorwürfe des World Jewish Congress (WCJ) gegen Waldheim (der Jüdische Weltkongress kritisierte ÖVP-Präsidentschaftskandidat Kurt Waldheim scharf für das Vertuschen seiner Kriegsvergangenheit, Anm.) waren überzogen, aber das gab keine Berechtigung dafür, eine antisemitische Kampagne zu fahren, deren negative Nachwirkungen noch 20 Jahre später in den Umfragedaten messbar waren. Auch damals hieß es, der WJC und seine Kritik an Österreichs Umgang mit seiner Vergangenheit bediene den Antisemitismus in Österreich. Wenn es so ist, dann ist das zugleich eine indirekte Bestätigung dafür, dass es ein hohes antisemitisches Potenzial in diesem Land gibt. Das verschwindet nicht schon deswegen, weil man nicht darüber spricht.

NEWS: Sie schreiben, der Antisemitismus in Österreich unterscheide seit jeher zwischen „guten“ und „bösen“ Juden. Was ist ein „guter“ Jude?
Gottschlich: Es ist eine bekannte antisemitische Strategie zwischen „guten“ und „bösen“ Juden zu unterscheiden. Die „guten“ Juden sind die, die sich anpassen und dafür ihr Judentum aufgeben. Aber die Geschichte zeigt, dass es den Juden nichts nützt, sich bis zur Selbstaufgabe anzupassen.

Sie bleiben für viele das, was sie immer waren: ein Objekt des Hasses, der irrational ist. Für alles Übel in der Welt wurden und werden die Juden verantwortlich gemacht. Heute dient dafür Israel als Projektionsfläche. Für 59 Prozent der Europäer gelten der jüdische Staat und seine Politik als größte Bedrohung des Weltfriedens. In Österreich sind sogar 69 Prozent dieser Meinung.
Zweiter Holocaust droht
NEWS: Sie unterscheiden zwischen dem Antisemitismus nach Auschwitz, der sich in der Schuldumkehr äußert, und dem alten Antisemitismus aus rassistischen und ökonomischen Gründen. Besteht aufgrund der Wirtschaftskrise die Gefahr der Rückkehr zum alten Antisemitismus?
Gottschlich: Der Antisemitismus der Nazis hat u. a. auch mit der Verschwörung des Weltjudentums operiert. Die Weltwirtschaftskrise der 1930er Jahre und das Bedürfnis nach einem Sündenbock, dem man die Schuld für die Krise aufladen kann, haben dafür den Boden bereitet. Heute verwendet die antikapitalistische Occupy-Wallstreet-Bewegung antisemitische Parolen. Das sollte bedenklich stimmen.

NEWS: Heute gibt es einen neuen Antisemitismus, der als Grundlage den Anti-Israelismus hat. Darf man Israel für seine Politik kritisieren?
Gottschlich: Ja, nur muss man wissen, dass diese Kritik antisemitisch missbraucht werden kann. Kritik soll ja dazu beitragen, zwischen richtig und falsch zu unterscheiden. Aber wenn unter dem Deckmantel der Kritik eigentlich die Dämonisierung des jüdischen Staates betrieben wird, wenn man dem Staates Israel das Existenzrecht abspricht oder die Politik Israels mit den Verbrechen der Nazis vergleicht, dann wird die Grenze zwischen zulässiger Kritik und Antisemitismus überschritten.

NEWS: Glauben Sie, dass es der Politik gelingen kann, die Versäumnisse aufzuholen?
Gottschlich: Versäumnisse kann man nie aufholen. Man kann nur verhindern, dass sie sich wiederholen. Und das heißt heute ganz klar, die drohende Gefahr eines zweiten Holocaust im Nahen Osten zu sehen, wenn der Iran nicht an der Produktion der Atombombe, die gegen Israel gerichtet ist, gehindert wird. Wozu sonst sollte das Holocaust-Gedenken dienen, wenn nicht dazu zu verhindern, dass sich die Geschichte unter anderen Vorzeichen wiederholt?

Maximilian Gottschlich, geboren 1948 in Wien, ist seit 1983 Professor am Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft der Universität Wien. Dieser Tage ist sein neues Buch "Die große Abneigung. Wie antisemitisch ist Österreich? Kritische Befunde zu einer sozialen Krankheit" (24,90 Euro) im Czernin-Verlag erschienen. Mehr zum Buch unter www.czernin-verlag.com

Kommentare

Oliver-Berg

Irreführender Artikel... Auch hier wieder ein Artikel, wo man versucht Österreich schlecht zu machen.

Weil wir einen Zahntechniker an der Spitze einer populistischen Partei haben, heisst das noch lange nicht, dass ein 2. Holocaust droht, wie dies in dem Artikel beschrieben wird.

Man sollte die Kirche im Dorf lassen. Die Leute sind heute aufgeklärt und wissen was im Holocaust passiert ist. Eine solch gefährliche Manipulation wäre heute in Österreich und in Deutschland nicht mehr möglich.

Dasselbe gilt allerdings nicht für arabische Staaten und Ihr Verhalten gegenüber isrealischen Staatsbürgern.

Das Ventil für eigenes Versagen Noch nie konnten Politiker voll das Versagen des eigenen Landes zugeben, so vor den Wähler treten.

So war es nach dem 1. Weltkrieg. Man konnte nicht zugeben, daß der Krieg eine saublöde Idee war. Deswegen mußte andere Gründe her, welche für die miese wirtschaftliche Lage verantwortlich sind.

Hitler gelang dies mit dem Juden.

Ähnlich wie in den 30er Jahren wird bald unsere wirtschaftliche Lage aussehen.
Kann es ein Totalversagen der "Wirtschaftswissenschaften" sein.
Kann es ein Totalversagen der Politik sein, die ungeprüft die wirren Theorien der Wirtschaftswissenschaften in die wirtschaftliche Selbstzerstörung umsetzten?

Nein! Es müssen wieder andere Gründe erfunden werden.

Dürften wir andere Meinung haben, ohne dass wir name Antisemit bekommen? nein;) http://derstandard.at/1332323838630/Israel-bricht-Beziehungen-zum-UN-Menschenrechtsrat-ab

Ignaz-Kutschnberger

MAMA... die Judn san scho wieder do!!

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Wen wundert es... ich bin Jg. 1952, habe NICHTS mit dem Holocaust zu tun, höre nd erlebe aber immer wieder SCHULDZUWEISUNGEN zur damaligen Zeit, und das KOTZT nicht nur MICH an. Unbestritten, es war grausam was damals geschah. nur hat damals JEDER JEDEN VERRATEN um zu überleben, also muß endlich SCHLUSS mit den Schuldzuweisungen und Forderungen nach Wiedergutmachung bei Generationen, welche aber REIN GAR NICHTS mit diesen Geschehnissen zu tun haben. Weil so wie sich die Israelis HEUTE aufführen (KinderMASSENMORD unter ARIEL (!) Sharon), steht denen KEIN URTEIL mehr zu.

Philipp Kämpfer
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Ups...da bestätigt gleich wieder einer, dass das im Interview Gesagte zutreffend ist.Und warum bis heute Forderungen nach Wiedergutmachung gegen Österreich bestehen:

Weil Österreich jahrzehntelang die Restitution geraubten jüdischen Eigentums bewusst verhindert hat. Getreu der Feststellung Oskar Helmers von 1948: "Ich wäre dafür, dass man die Sache in die Länge zieht."

Israel missbraucht den Holocaust um Jeden der die menschenverachtende Politik Israels gegenüber den Palästinensern kritisiert als Nazi darzustellen. Herr Gottschlich bedient sich anscheinend auch dieser Taktik.
Dass echte Nazis keine Sympathien für Israel haben ist klar, auf diese Weise werden aber auch "Nichtnazis" zu Gegnern Israels!

Unterscheiden zwischen Semitismus und Zionismus Ich bin auch der Meinung Israelkritik hat nichts mit Antisemitismus zu tun.
Das muss konsequent unterschieden werden, das halte ich für sehr gefährlich solche Dinge zu vermischen. Mein "Fazit": Juden sind meine Freunde, Zionisten meine Feinde.
Punkt aus Ende

Israel´s Politik Was heisst die Frage,"Darf man Israel für seine Politik kritisieren"?
Wenn sie aufhören die ganze Welt zu provozieren(UNO Resolutionen ignorieren,siedlungen erweitern auf palästinesischen boden,Ungarn,Polen und Rumänien aufkaufen zu wollen laut Simon Perez),dann wird es kein antisemitismus geben.Hoffentlich bald.

Waldheim... An die aggressive und verlogene Propaganda gegen Waldheim können sich tatsächlich noch viele erinnern....diese als "überzogen" zu bezeichnen, ist ja wohl eine Verharmlosung sondergleichen. Und Internierung ist Internierung, egal, wie groß die Fläche ist, in welchem Jahrhundert sie stattfindet, welches Volk es betrifft und wer sie betreibt.

Also ich weiß nicht, ob es in Österreich wirklich soviele Anti-Semiten gibt... ...oder ob\'s nicht eher Anti-Zionisten sind. Und der Zionismus ist nun mal der israelische Nationalismus. Und die Vorstellung, dass irgendwer auf diesem Planeten seinen Wohnort gottgegeben hat ist mir zumindest so unsympathisch wie die jenseitsorientierte Herrschaftslegitimation der Habsburger. Nebenbei gesagt, Herzl hatte noch eine Alternative in Afrika angedacht, aber auch dieser Nationalismus richtet es sich wie ers gerade braucht.Die nationalistische Selbstüberhebung von Völkern ist mir ganz grundsätzlich ein Dorn im Auge und ich werde auch für die in Israel keine Ausnahme machen,denn auf meiner Waagschale hat Gleiches dasselbe Gewicht.
Abgesehen davon: dort wo Kinderleichen herumliegen interessieren mich Motive nicht mehr um mein Urteil zu fällen.Und das lautet schuldig.

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