9/11 einmal anders

Trauma aus Sicht eines Kindes: Roman-Verfilmung mit Tom Hanks und Sandra Bullock

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    Extrem laut und unglaublich nah

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    Extrem laut und unglaublich nah

Oskar (Thomas Horn) lebt in seiner eigenen Welt, die scheinbar nur sein Vater Thomas Schell (Tom Hanks) verstehen und mitgestalten konnte. Der schickte Oskar mit Hilfe von Rätseln und Expeditionen auf die Straßen New Yorks hinaus, die ihm so furchterregend erscheinen. Der Symptome des Aspergersyndroms aufweisende Oskar tut sich schwer mit lauten Geräuschen, mit öffentlichen Verkehrsmitteln, Aufzügen, hohen Gebäuden. Ängste, die sich mit dem Tod seines Vaters ins Unermessliche steigern - genauso wie sich die Distanz zu seiner selbst von Trauer überwältigten Mutter Linda (Sandra Bullock) weiter vergrößert.

Als Oskar ein Jahr nach dem "schlimmsten Tag" im Schrank seines Vaters einen Schlüssel in einem mit "Black" beschrifteten Umschlag findet, vermutet er darin ein weiteres Rätsel seines Vaters. Die Chance ahnend, ihm damit wieder näher zu kommen, macht sich Oskar auf, alle 472 New Yorker mit dem Nachnamen "Black" aufzusuchen und sie nach dem Schloss zu dem mysteriösen Schlüssel zu fragen. Unterstützung erhält er bald vom schweigsamen, neuen Untermieter (Max von Sydow) seiner Oma (Zoe Caldwell), der sich als lange verschollener Großvater herausstellt und statt zu sprechen über Notizbücher kommuniziert.

Nationales Trauma im Mittelpunkt
Jonathan Safran Foer ("Alles ist erleuchtet", "Tiere essen") war mit "Extrem laut und unglaublich nah" 2005 einer der ersten, die sich ganz unmittelbar den Ereignissen der Terroranschläge widmeten. Die Sicht eines verwirrten Kindes sei ihm repräsentativ erschienen für die Nach-9/11-Seele seiner Landsleute, so Foer. Mit der nunmehrigen Verfilmung ist Stephen Daldry ("Der Vorleser") knapp zehn Jahre nach den Anschlägen auch der Erste, der das nationale Trauma, nicht den Hergang der Anschläge selbst, auf die große Leinwand bannte.

Flüchtende Menschen und einstürzende Türme zeigt der Brite dabei bewusst nicht. Nur ein Mal sehen wir das brennende World Trade Center durch ein Bürofenster - gemeinsam mit Linda Schell, die in diesem Moment zum letzten Mal die Stimme ihres Mannes am Telefon hört. Zahlreiche amerikanische Zuseher und Kritiker werfen dem Film vor, den Schrecken von 9/11 für Hollywood-Pathos zu missbrauchen. Tatsächlich wirkt der Terror bei der Verfilmung überpräsent, während sich Foer in seinem Roman in Subgeschichten auch der Vergangenheit von Oskars deutschen Großeltern bis zurück zur Bombardierung Dresdens im Februar 1945 widmet und die großen Themen Verlust, Familie und die Suche nach dem Sinn gleichwertig bearbeitet.

Experimentierte Foer mit unterschiedlichen Erzählweisen, Schriftarten und Bildern, kommt Daldrys Verfilmung enttäuschend konventionell und langatmig daher. Was der Neunjährige auf beinahe 500 Romanseiten mit seiner ungestümen, nicht seinem Alter entsprechenden Sprache nur zwischen den Zeilen vermuten lässt, wird in der Drehbuchadaption von Eric Roth ("Forrest Gump") klar und ungeschmückt ausgesprochen - einer von vielen hollywoodesquen Zügen, die diese Geschichte nicht gebraucht hätte. Genauso wenig wie die trotz zahlreicher verworfener Romanaspekte überdurchschnittliche Länge von 130 Minuten.

Max von Sydow überzeugt ohne ein Wort zu sagen
Der an sich bereits schwierige Charakter Oskar mag auf viele zudem abschreckend wirken: Mit Thomas Horn engagierte Daldry einen Schauspielneuling und vier Sprachen sprechenden "Kids Jeopardy"-Gewinner, der seiner Rolle in punkto Intelligenz und alter Seele in nichts nachsteht. Er gibt den Oskar stellenweise zu laut, zu prätentiös, als dass er für die Zuseher greifbar wäre. Die als seine Filmeltern besetzten Hollywoodstars Sandra Bullock und Tom Hanks stellen sich in ihrer Zurückgenommenheit zwar nicht als die erwartet falsche Besetzung heraus, müssen die Anerkennung aber einem Nebendarsteller überlassen: Der schwedische Schauspieler Max von Sydow überzeugt, indem er alles ohne ein einziges Wort zu sagen vermag. Zurecht werden ihm für die Oscar-Verleihung hohe Chancen ausgerechnet - eine Hoffnung, die sich Daldry in der Königskategorie "Bester Film" wohl nicht zu machen braucht.