'Angst setzt Kräfte frei'

Salzburgs Jedermann im NEWS-Talk über Angst, Erfolg, den "Traumpaar"-Rummel und Wien

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Nicholas Ofczarek - 'Angst setzt Kräfte frei'

Als Salzburgs Jedermann schon automatisch im Mozartkugel-Status, spielt er in der ORF-Satire „Wir Staatskünstler“ und, ab März, einen durchtriebenen Provinzdiscobesitzer in David Schalkos ORF-Satire „Braunschlag“. An der „Burg“ übernimmt er, nach Schnitzler, Horváth und Shakespeare, demnächst die vierte Hauptrolle in dieser Saison: Am 28. Jänner steht er in Tennessee Williams’ „Endstation Sehnsucht“ neben Dörte Lyssewski und Katharina Lorenz auf der Bühne. Dass er außerdem für zwei Produktionen am Münchner Residenztheater gastiert, reichte schon für ein erhebliches Medienbeben, zumal er beide mit „Jedermann“-Partnerin Birgit Minichmayr bestreitet: Nach Schönherrs „Weibsteufel“, einer Burgtheater-Übernahme, faszinierte er zuletzt mit Horváths „Kasimir und Karoline“ in Frank Castorfs radikaler Deutung. Nebst Kritiker- Elogen brachte das auch den mit 10.000 Euro dotierten Gertrud-Eysoldt-Ring. Und ein ebenso hartnäckiges wie unsinniges Gerücht, er bereite den Abgang nach Bayern vor. Doch davon ist keine Rede, versichert er im NEWS-Interview.

NEWS: Ist der Eysoldt-Ring ein weiterer Antrieb, sich nach München zu verändern?
Nicholas Ofczarek: Das ist die erste Würdigung, die mir im Ausland widerfährt. Ich freue mich darüber. Aber es ist doch nichts Ungewöhnliches, wenn man als Schauspieler auch mal in einer anderen Stadt gastiert. Das tun viele meiner Kollegen auch. Und ich lasse mich sehr ungern für diesen angeblichen Kampf zwischen Wiener Burgtheater und Münchner Residenztheater instrumentalisieren – außerdem gibt es den meiner Meinung nach gar nicht. Nächstes Jahr mache ich am Burgtheater ein oder zwei neue Produktionen – meine genaue vertragliche Situation soll aber meine Privatsache bleiben.

NEWS: Was wird aus dem Erfolgsteam Minichmayr- Ofczarek? Ihre Kollegin wechselt ja tatsächlich ans Residenztheater.
Ofczarek: Wir haben in einigen mehr oder wenig erfolgreichen Produktionen zusammen gespielt – genauso, wie ich das mit vielen Kollegen und Kolleginnen getan habe. Allerdings wurden Birgit und ich im Zuge des „Jedermann“-Rummels von der Presse zum „ Traumpaar des Theaters“ hochstilisiert. Wir nehmen das mit einem Lächeln zur Kenntnis. Unsere jüngste gemeinsame Produktion ist „Kasimir und Karoline“ in München. Dass ich übrigens ausgerechnet mit diesem Abend den Eysoldt-Ring bekommen habe, hat mich verwundert. Das ist ein Spielen ohne Netz, vom Regisseur Frank Castorf so konzipiert. Ich fürchte mich vor jeder Aufführung.

NEWS: Wie gehen Sie mit dieser Angst denn um?
Ofczarek: Angst ist auch eine Triebfeder. Sie setzt Kräfte frei. Das hat etwas Anarchisches. Man spielt auf höchstem emotionalem Niveau. Also: Rein ins Theater, und raus auf die Bühne.

NEWS: Werden Sie in „Endstation Sehnsucht“ ähnliche Kräfte freisetzen?
Ofczarek: Ich kann noch nicht sagen, wie ich diese Figur spielen werde. Aber ich werde vom Regisseur Dieter Giesing hervorragend unterstützt. Er versucht, den Inhalt des Stückes sehr geradlinig und schnörkellos umzusetzen. Ich mag das.

NEWS: In welcher Zeit wird gespielt?
Ofczarek: Im berechtigten Ringen um Modernität versucht man oft, ein Stück rein optisch in die heutige Zeit zu holen. Dabei kann aber unter Umständen auch etwas verloren gehen. „Endstation Sehnsucht“ kann man aus dem Klima der Fünfzigerjahre nicht herausholen. Es geht um die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Fünfzigerjahre gelten heute als eine Zeit des Verdrängens. Man wollte es nach dem erlebten Grauen einfach wieder gut haben. Und davon erzählt das Stück, vom Verdrängen der eigenen Biografie. Gute Stücke sind übrigens immer modern.

NEWS: Wie befreien Sie sich von Marlon Brandos Darstellung der Rolle?
Ofczarek: So wie Brando Anfang der Fünfzigerjahre spielte, hat damals keiner gespielt. Aufwandslos, genau, klug, emotional, zurückgenommen. Man darf aber nicht vergessen, dass Film ein vollkommen anderes Metier als Theater ist. An einem großen Haus wie dem Burgtheater stehen mir leider keine Schnitte und Nahaufnahmen zur Verfügung. Da muss man andere Wege finden.

NEWS: Sie sagten vor kurzem, dass Sie „vom Theater die Schnauze voll“ haben und Filme machen wollen. Stimmt das?
Ofczarek: So kann man das nicht sagen. In der Vielfalt liegt der Reiz … Aber nach zwanzig Jahren am Theater möchte ich nicht mehr in einer Ausschließlichkeit leben.

NEWS: 2010 haben Sie in Reichenau Schnitzler inszeniert. Wann folgt die nächste Regie?
Ofczarek: Dazu fehlt mir leider die Zeit. Ich erhoffe mir immer von Regisseuren, dass sie gut vorbereitet in die Proben gehen und einen starken inhaltlichen Zugriff auf das Stück haben. Was ich von anderen verlange, fordere ich auch von mir selbst. Ich könnte mich zwischen meinen Verpflichtungen nicht ausreichend auf eine Inszenierung vorbereiten. Außerdem tut es mir sicher gut, mir in nächster Zeit ein wenig Ruhe zu gönnen.

NEWS: Heißt das weniger Theater?
Ofczarek: Nein. Aber ich habe den letzten Sommerurlaub vor zwölf Jahren gemacht. Ich spielte Theater und drehte ohne Pause. Ich fordere mich jetzt selbst auf, ein bisschen mehr zu leben. Die Gefahr des Ausbrennens ist sehr groß in dem Beruf. Da muss man nach zwanzig Jahren ein bisschen aufpassen.

NEWS: Haben Sie sich im Vorjahr deshalb vom Rummel zwischen den „Jedermann“- Vorstellungen zurückgezogen?
Ofczarek: Das tat mir gut. Ich hatte drei Kinofilme, eine Fernsehserie gemacht und zwei Stücke geprobt. Ich wollte mich zwischen den Vorstellungen mit meiner Familie erholen.

NEWS: Nervt es, wenn man Sie ständig den Jedermann nennt?
Ofczarek: Ständig geschieht das ja nicht. Außerdem spiele ich diese Rolle in Christian Stückls Inszenierung sehr gerne.

NEWS: Der neue Salzburger Schauspiel- Chef Sven-Eric Bechtolf kündigt einen neuen „Jedermann“ an. Schmerzt das?
Ofczarek: Nein. Der „Jedermann“ ist kein Vertrag auf Lebenszeit.

NEWS: Ihre weiteren Pläne in Salzburg?
Ofczarek: Es gibt Gespräche und Pläne.

NEWS: Gibt es Glücksmomente am Theater?
Ofczarek: Es gibt da einige rare Momente, aber die kann man sich nicht vornehmen. Der Schauspielerberuf ist Handwerk. Leider wird heute immer weniger Augenmerk darauf gelegt. Es kann ja heute schon jeder Schauspieler oder Popstar werden. Aber wenn er die Grundtechnik nicht beherrscht, wird er sich nicht lange in dem Beruf halten können. Und manchmal kommt da noch etwas Unwägbares dazu. Das Handwerk ist dafür das Gefäß. Wenn es gelingt, damit etwas Lebendiges zu reproduzieren, kann Kunst entstehen. Das ist ein Glücksmoment.

NEWS: Wie kann das Theater auf Missstände reagieren?
Ofczarek: Es wäre nicht schlecht, wenn das Theater einen Anstoß zu einer Diskussion über menschliche Grundwerte gibt. Unsere Gesellschaft ist nämlich gerade dabei, sie vollends zu verlieren. Ob das Theater allein allerdings wirklich etwas verändern kann, bezweifle ich.

NEWS: Fürchten Sie die Wirtschaftskrise?
Ofczarek: Angst ist im Positiven ein Warnsignal, das zur Wachsamkeit aufruft. Aber man darf sich davon nicht gefangen nehmen lassen. Massenhysterie lähmt und schadet nur.

NEWS: Tennessee Williams nannte seinen Erfolg eine Katastrophe und konnte kein Lob mehr ertragen. Wie ist das bei Ihnen?
Ofczarek: Die Kluft zwischen Innenleben und Außenwirkung ist manchmal enorm. Die macht mir manchmal zu schaffen. Bei großem Lob denke ich mir dann: „Wenn ihr wüsstet, wie es in mir drinnen aussieht!“ Aber im Grunde freut mich jeder Erfolg.