Neues Spitzenduo

Wiener Festwochen-Chefs Hinterhäuser und Langhoff im großen NEWS-Talk

Neue Intendanten - Neues Spitzenduo © Bild: Sepp Dreissinger

NEWS: Wie darf man Sie korrekt anreden?
Hinterhäuser: Ich bin Intendant, Künstlerischer Leiter und habe mit Wolfgang Wais die Geschäftsführung inne.

NEWS: Die lang gehegte Idee Rudolf Scholtens, die Opernsparte der Festwochen an das Theater an der Wien auszulagern, ist nun wohl obsolet.
Hinterhäuser: Sicher, sonst wäre ich am falschen Platz. Die Wiener Festwochen sind ohne Musik undenkbar. Es gibt sicher Gesprächsbedarf, und ich werde mit Roland Geyer vom Theater an der Wien auch reden, um Doubletten zu vermeiden. Aber die Festwochen werden in vollem Umfang große Opern und Musiktheater spielen.

NEWS: Das Konzertprogramm wird derzeit abwechselnd von Musikverein und Konzerthaus bestritten. Wollen Sie das ändern?
Hinterhäuser: Das muss ich jetzt auch angehen. Ich kenne und schätze Thomas Angyan (vom Musikverein; Anm.) sehr und kenne auch Bernard Kerres (Konzerthaus; Anm.). Natürlich ist das eines der Gebiete, auf denen ich mich besonders zuhause fühle.

NEWS: Wollen Sie das Konzertprogramm ganz übernehmen?
Hinterhäuser: Das ist ein bisschen früh. Ich möchte gern mit beiden darüber reden, wie wir es gemeinsam gestalten können. Natürlich gibt es auch die pragmatische Seite der langen Voraus planung beider Institute. Aber es gibt auch die inhaltliche Seite: näher an die Aus sagen der Wiener Festwochen zu kommen.

NEWS: Ab wann werden Sie in Wien leben? Ihre diversen Vorgänger waren ja eher ab- als anwesend.
Hinterhäuser: Die nächsten vier Monate gehören ganz den Salzburger Festspielen. Am 1. Dezember beginne ich mit den Vorbereitungen für die Festwochen. Im Herbst 2012 werden wir übersiedeln. Ich habe hier eine Wohnung und werde sehr viel in Wien sein. Mein Lebensmittelpunkt wird hier sein, das halte ich für entscheidend.

NEWS: Wird Vorgänger Luc Bondy bei Ihnen arbeiten?
Hinterhäuser: Er ist einer von den großen Künstlern. Es hängt von den Projekten ab, aber ich sehe nicht, warum er nicht bei uns arbeiten sollte.

NEWS: Sie haben Rudolf Buchbinder aus Salzburg verbannt. Droht Ähnliches auch in Wien?
Hinterhäuser: Auch das hat mit den Gesprächen mit Angyan und Kerres zu tun. Das Buch ist völlig offen. Ich betreibe doch keine Apartheidpolitik!

NEWS: Bleiben die Festwochen nun das große Gastspielunternehmen, das Wiener Theatertreffen?
Hinterhäuser: Ich halte es für keinen Fehler, wenn man schöne, interessante Produktionen zeigt, die woanders gespielt werden. Aber ich fände es schön, wenn wir den Prozentsatz an Eigenproduktionen steigern, dem Ganzen einen deutlicheren Stempel geben könnten. Ich möchte, dass Produktionen von Wien in die Welt gehen. Und ich möchte die Identifikation deutlicher in Wien verankert wissen. Dafür muss man präsent sein und sich anstrengen. Die Festwochen sind kein Sommerfestival wie Salzburg, zu dem die ganze Welt kommt. Das ist ein Festival, das in dieser verrückten Stadt stattfindet, die mit ihrer Musik- und Theater verrücktheit in Europa einzigartig ist.

NEWS: Werden auch Tanz oder bildende Kunst einbezogen?
Hinterhäuser: Es gibt immer mehr interessante Zwischenformen, die man nicht mehr im herkömmlichen Sinn definieren kann. Nehmen Sie Robert Lepage. Das möchte ich beobachten und, wenn es gut und faszinierend ist, in eine Gesamtgeschichte integrieren. Ein Festival wie dieses ist eine Art Landschaft, die in ihrer Art unvergleichlich ist.

NEWS: Bleibt bei den Regisseuren Ihre in Salzburg gepflogene Spannweite zwischen Peter Stein und Christoph Marthaler erhalten?
Hinterhäuser: Das gilt sicher auch in Wien.

NEWS: Werden Sie auch für die großen Theaterproduktionen zuständig sein?
Hinterhäuser: Ja.

NEWS: Und Frau Langhoff?
Hinterhäuser: Sie kommt aus der post migrantischen Theaterform, die sie in Berlin mit ungeheurem Erfolg gemacht hat. Ich vertraue ihr da vollkommen und würde mir gar nicht zutrauen, da einzugreifen.

NEWS: Wie ist es mit neuen Spielorten?
Hinterhäuser: Die wird es unbedingt geben. Ich werde durch Wien streifen und Umschau halten.

NEWS: Sind drei Jahre nicht eine sehr kurze Zeit für eine Intendanz?
Hinterhäuser: Mir ist das sehr sympathisch, es verändert grundsätzlich auch den Charakter des Festivals, was Schnelligkeit, Intensität und Absehbarkeit betrifft. Das Modell hat sich auch bei der Ruhr triennale bewährt.

NEWS: Werden Sie mit Burgtheater, Staatsoper und Salzburger Festspielen kooperieren?
Hinterhäuser: Mit dem Burgtheater selbstverständlich, da gab es immer großartige Ergebnisse. Was die Staatsoper betrifft, so muss ich das noch prüfen. Und Salzburg ist doch in sehr großer zeitlicher Nähe.

NEWS: Haben Sie noch Vorbehalte gegen Salzburg?
Hinterhäuser: Nein, keine. Ich habe Salzburg viel zu verdanken und habe es sehr gern. Was da auf politisch verschlungenen Wegen passiert ist, hat mit meiner grundsätzlichen Einstellung nichts zu tun.

NEWS: Ihr Verhältnis zu Pereira ist aber nicht berauschend. Er hat Sie nicht gerade leidenschaftlich zum Verbleib als Konzertchef aufgefordert.
Hinterhäuser: Wir haben im Moment gar kein Verhältnis. Das ist auch nicht mein drängendstes Problem. Ich versuche, die nächsten vier Monate so gut und ergiebig wie möglich zu gestalten. Damit ist das Kapitel für mich abgeschlossen.

Heinz Sichrovsky

Das NEWS-Interview mit Shermin Langhoff, der stellvertretenden Intendantin, zuständig für Interkulturelles

Mit dem krampfkorrekten Wort „Migrationshintergrund“ sollte man dieser Dame nicht beikommen wollen. „Ich stehe für die Migrationen des vergangenen Jahrhunderts“, sagt Shermin Langhoff, 42, geboren in Busra, mit neun Jahren als Tochter einer türkischen Gastarbeiterfamilie nach Nürnberg ausgewandert, gelernte Verlagskauffrau, Gründerin eines deutsch-türkischen Filmfestivals, Mitarbeiterin des Filmregisseurs Fatih Akin, „Theaterautodidaktin“ und derzeit Leiterin des kleinen, aber unverschämt beachteten Ballhaus-Theaters in Berlin-Kreuzberg. Die Großmutter mütterlicherseits wanderte aus Griechenland in die Türkei zu und heiratete einen Überlebenden des tscherkessischen Genozids im Kaukasus. Und erst die Familie, in die Enkelin Shermin einheiratete! Die Langhoffs sind Theaterhochadel: Wolfgang, der KP-Aktivist, inszenierte im Konzentrationslager das unsterbliche Stück „Moorsoldaten“, seine Söhne Thomas und Matthias prägten vor und nach dem Mauerfall das Theater des Berliner Ostens. Thomas’ Sohn Lukas ist Regisseur aus der Volksbühne-Familie um Frank Castorf, Shermin Langhoffs Ehemann und Vater der 1998 geborenen gemeinsamen Tochter. Auch, so ersucht die designierte stellvertretende Intendantin der Wiener Festwochen, möge man nicht Lukas’ Großmutter mütterlicherseits vergessen, eine Jüdin aus der italienischen Schweiz. „Ich bin Europäerin und Weltenbürger. Das ist mein Anspruch an mich und mein Leben.“

Quotenfragen
Insofern blickt sie der Option, als Quotenbesetzung herabgesetzt zu werden, gelassen entgegen: „Kunst kann beauftragt, aber nicht vereinnahmt werden. Selbstverständlich stehen kultur politische Erwägungen dahinter. Ich wurde auch in Berlin und in anderen Kontexten immer wieder aus kulturpolitischen Erwägungen eingekauft. Was ich dann produziert habe, hat sozusagen für sich gesprochen und hatte im besten Fall ästhetische und politische Bedeutung. Insofern habe ich überhaupt keine Angst. Man muss es nur mit Leben füllen und mit Denkräumen ausfüllen, die uns alle weiterbringen – auch diejenigen, die über Quoten nachdenken.“

Postmigrantisch
In Wien wird sie für den „Off-Bereich, für Inter- und Transkulturelles“ zuständig sein, auch für das, was sie in Berlin als „postmigrantisches Theater“ etabliert hat: Talente aus der ersten und der zweiten Generation wurden gefunden, dem Theater und dem Film zugeführt. „Das ist ja kontradiktorisch“, staunt sie selbst. „Der Intendant der Salzburger Festspiele und die Intendantin des kleinen, erfolgreichen Off-Theaters aus Kreuzberg!“ Im August 2010 meldeten sich Kulturstadtrat Mailath-Pokorny und Festwochenpräsident Scholten bei ihr – nicht etwa umgekehrt. Beworben hat sie sich erst ganz zuletzt auf Aufforderung, ihren Intendanten lernte sie vor zwei Monaten kennen. „Das ist keine Zwangs- und Scheinehe. Es ist eine vermittelte Ehe traditioneller Art, in der alle fest darauf vertrauen, dass es eine leidenschaftliche, sich intellektuell bereichernde Liebesehe wird.“ Klar, dass es das große, repräsentative Theater weiter geben wird, sagt sie und verortet den Beginn ihrer Theaterleidenschaft in der Berliner Schaubühne. Castorf, Marthaler, der verstorbene Christoph Schlingensief: Das sind die Namen, die sie als Maßstabsetzer nennen kann. „Mit mir holt man sich hoffentlich auch ein wenig die Zukunft. Sie haben ja eine schleichende Dritte Türkenbelagerung gehabt, und wie ich von den Wiener Taxifahrern mitbekommen habe, ist der Spalt größer als in Deutschland.“

"Man wird die Immigranten nicht ins Theater holen"
Als Integrationspolitikerin fühlt sie sich am falschen Platz. „Man darf sich da nichts vormachen: Man wird die Immigranten nicht ins Theater holen. Es kommt auch nicht ,die Bevölkerung‘ ins Theater. Theater ist nicht dazu da, aktuell politisches Geschehen zu interpretieren. Aber ich hoffe, dass ich Visionen habe, die über das aktuelle politische Geschehen hinausgehen, was die Konfliktzonen unserer heutigen Metropolen mit ihrer veränderten Population betrifft.“ Das Vorbild in dieser Hinsicht ist Deutschland, wo schon Rainer Werner Fassbinder mit dem Film „Angst essen Seele auf“ den anderen Blick wagte. „Heute werden Leute wie Fatih Akin als deutsche Filmregisseure auf der ganzen Welt gepriesen. Migration scheint ein Motor für künstlerische Produktion zu sein. Sie war das immer. Es gäbe weder das Western- noch das Mafia-Genre, hätte es nicht die Migrationen und die Geschichten dar über gegeben.“ Für Kopftuchfreiheit. Panik vor dem Rechtsruck? Die erlebte sie schon nach dem Mauerfall, als die umgehende Macht ergreifung der NDP prognostiziert wurde, ohne dass dergleichen eingetroffen wäre. Die Kopftuchdebatte betrachtet die Agnostikerin als obsolet: „Ich bin für die individuelleFreiheit eines jeden, solange er nicht fundamentalistisch agiert und missioniert. Ich bin Verfechterin des Individualismus, den sich unsere Vorfahren durch die Aufklärung erfochten haben.“ So kann sie auch mit keinen Diskriminierungserlebnissen dienlich sein. Sie wäre ja schon in eine „bastardisierte Familie“ zugewandert. Die Tanten hatten Deutschegeheiratet, die Sprache habe sich ihr binnen Monaten erschlossen, Schulzeit, Politisierungszeit: alles tadellos. Doch, eine Form des Alltagsrassismus kennt sie: wenn man sie für ihr vorzügliches, ja akzentfreies Deutsch lobt, weil sie aussieht, wie sie aussieht. „Aber das“, so sagt sie, „ist ja auch ein positiver Rassismus.“

Heinz Sichrovsky

Das komplette Interview lesen Sie in NEWS 18/2011!