"Schwierig, Druck auf China auszuüben":
Manfred Nowak im Interview mit NEWS.at

Menschenrechtsexperte: "Man muss vorsichtig sein" "Preis an Liu Xiaobo hat hohen symbolischen Wert"

"Schwierig, Druck auf China auszuüben":
Manfred Nowak im Interview mit NEWS.at

NEWS.at: Wie beurteilen Sie die aktuelle Menschenrechtssituation in China?
Manfred Nowak: Seit 1989 hat sich langsam aber doch Wesentliches verbessert. Durch die ökonomische Öffnung kam es auch zu einer gewissen politischen Öffnung, etwa beim Eigentumsrecht oder bei der Zurückschraubung der Todesstrafe. Doch in den letzten Jahren hat sich sehr viel totgelaufen, und das hängt mit der neuen wirtschaftlichen Stärke Chinas zusammen. Es ist weltweit ein neues Selbstbewusstsein entstanden, daher ist man sehr restriktiv unterwegs. Die Reaktionen auf die Vergabe des Friedensnobelpreises sprechen für sich. Bereits 2008 bei den Olympischen Spielen in Peking hatten wir gehofft, dass eine Verbesserung eintritt, die Folge waren aber mehr Repressionen.

NEWS.at: Kann die internationale Staatengemeinschaft überhaupt etwas dagegen unternehmen, und wenn ja, was?
Nowak: Das ist eine gute Frage. Der Dialog von der EU ist zwar vorhanden, hat aber sehr wenig gebracht, weil das Druckmittel gefehlt hat. Die USA haben in dieser Hinsicht zwar besser agiert, doch durch die neue Weltmachtposition ist es für die internationale Staatengemeinschaft sehr schwierig geworden, in der Frage der Menschenrechte wirklich Druck auf China auszuüben. Man kann nur hoffen, dass sich aus diesem Widerspruch, kapitalistischer Staat und Alleinherrschaftsanspruch der kommunistischen Partei, ein interner Widerstand bildet, der etwas verändern kann. Widerstand von außen ist oft kontraproduktiv.

NEWS.at: Muss also Ähnliches passieren wie bei der Sowjetunion? Eine Implosion?
Nowak: Da gibt es schon einige Unterschiede. Der wichtigste: China ist auf einem ökonomischen Erfolgsweg, während die Sowjetunon seit den 1970ern in dieser Hinsicht immer schwächer wurde. Das hat den inneren Widerstand natürlich begünstigt.

NEWS.at: Wie stark ist derzeit der innere Widerstand in China?
Nowak: Man muss vorab sagen, dass heute viel mehr möglich ist. Solange man eine bestimmte rote Linie nicht überschreitet, ist heute schärfere Kritik am System möglich als vor zehn Jahren. Das Regime reagiert nur extrem repressiv, wenn es um Sezessionsbewegungen geht, Stichwort Tibet, Taiwan oder die Uiguren, oder wenn der Herrschaftsanspruch der Kommunistischen Partei grundsätzlich in Frage gestellt wird. In den Medien, auf den Universitäten tut sich wirklich einiges. Durch diese neuen Möglichkeiten wurde nicht nur eine intellektuelle, sondern auch ein Mittelklasse geschaffen, die diesen Herrschaftsanspruch einmal in Frage stellen wird. Letztlich wird es von innen zu einer Veränderung kommen, doch das wird noch einige Zeit dauern.

NEWS.at: Muss man nicht auch einmal diese rote Linie überschreiten, um wirklich etwas zu verändern? Und besteht dann nicht die Gefahr einer weiteren Eskalation?
Nowak: Eskalationen kann man nie ausschließen, das geht unter Umständen sehr schnell. Aber man sieht an kritischen Anwälten, die Menschenrechtsverbrechen vor Gericht bringen wollten, dass man sehr schnell mundtot gemacht wird.

NEWS.at: Ist in China auch Widerstand vorhanden, der nicht rein auf Worte setzt?
Nowak: Ich sehe keinen bewaffneten Widerstand in China. Wenige Proteste arten immer wieder mal aus, doch das wird schnell im Keim erstickt. Ich denke, dass es auf friedlichem, aber hartnäckigem Weg zu einer inneren Änderung kommen kann. China möchte nicht den Weg der Sowjetunion gehen und nach der Implosion schnell zum extremen Kapitalismus wechseln, inklusive allen negativen Folgen wie Korruption oder organisierte Kriminalität. China möchte einen geordneten Übergang schaffen. Und man muss sagen, dass Demokratie und Menschenrechte dort ja positiv besetzt sind, es wird nur anders interpretiert.

NEWS.at: Kann dieser innere Widerstand von außen unterstützt werden?
Nowak: Er wird bereits unterstützt. Das Raoul-Wallenberg-Insititut in Schweden etwa hat durch einen Lehrstuhl sicherlich mehr für das dortige Menschenrechtsbewusstsein bewirkt als der EU-China-Dialog. Bei meiner Kooperation mit dem chinesischen Institue of Law wurde auch sehr viel hinsichtlich gemeinsamer Menschenrechtsbildung gearbeite. Das ging so weit, dass meine Bücher übersetzt wurden und nun als Studienmaterial verwendet wird. Es gibt also sehr wohl die Möglichkeiten, man muss das nur sehr vorsichtig machen.

NEWS.at: Was wird sich durch die Vergabe des Friedensnobelpreises an Liu Xiaobo ändern?
Nowak: Die Entscheidung war richtig und gut, den Preis an einen der prominentesten gewaltfreien chinesischen Dissidenten zu vergeben. Für die Widerstandsbewegung hat es einen hohen symbolischen Wert. Und das Regime wird vielleicht langsam erkennen, dass dieses repressive Verhalten gegenüber Dissidenten für eine ökonomische Weltmacht nicht mehr tragbar ist. Kurzfristig hat China ausgesprochen beleidigt reagiert, langfristig wird sich das aber positiv auswirken.

NEWS.at: Eine Freilassung von Liu Xiaobo ist aber trotzem vorerst auszuschließen?
Nowak: Im Moment sicherlich, langfristig kann ich mir das aber durchaus vorstellen.

Kim Son Hoang