"Bin heutigen Menschenrechte leid"

Ameneh Bahrami im NEWS.AT-Interview: "Flehte Ärzte um Spritze an, damit ich sterbe"

von Säureopfer - "Bin heutigen Menschenrechte leid" © Bild: NEWS.AT

NEWS.at: Ameneh, wie war Ihr Leben vor dem Säureangriff?
Ameneh Bahrami: Es gab ein Auf und Ab, doch insgesamt war ich ein sehr fröhlicher Mensch.

NEWS.at: Wie waren die Geschlechterrollen im Iran verteilt?
Bahrami: Als Kind habe ich Frauen immer als schwache, kraftlose Personen erlebt, die oft den Wunsch hatten, ein Mann zu sein. Dabei hatte ich das Gefühl, dass sie eigentlich stärker sind, auch in geistiger Hinsicht. In Frauen schlummern Kräfte, die in einem Mann nicht vorhanden sind. Meine Mutter versuchte immer, die Kraft meines Vaters zu verschleiern, um ihre eigene Schwäche zu übertünchen. Heute bin ich der Meinung, dass eine Frau sie selbst sein muss und Männer und Frauen sich gegenseitig ergänzen.

NEWS.at: Kann eine Frau im Iran überhaupt sie selbst sein?
Bahrami: Nein. Als ich ein Kind war, hat mein Vater meine Mutter unterdrückt. Heute zeigt er Respekt vor ihr. Trotzdem möchte sie immer noch beweisen, dass sie stärker ist.

NEWS.at: Haben diese Gesellschaftsverhältnisse das Attentat auf Sie begünstigt?
Bahrami: Sicherlich. Die Familie von Majid Emovahedi ist der Meinung, dass die Frau dem Mann zu gehorchen hat. Seine Mutter rief mich vor dem Attentat an und teilte mir mit: „Mein Sohn ist ein Mann und er bekommt, was er will“. Sie denkt immer noch, dass ich eigentlich selbst schuld an allem bin. Ihr Vorwurf: Ich hätte meine Schönheit bedecken sollen, damit ihr Sohn mich nicht ansehen kann.

NEWS.at: Wie haben Sie selbst den Säureanschlag erlebt?
Bahrami: Nach der Arbeit machte ich mich auf den Weg nach Hause. Auf der Hauptstraße bemerkte ich ein Geräusch hinter mir. Ich machte einen Schritt zur Seite, damit die Person hinter mir vorbeigehen konnte. Ich drehte den Kopf, sah direkt in Majids Augen und erschrak. Er hatte einen Behälter mit Säure bei sich und goss denn Inhalt über mein Gesicht. Danach lief er weg. Anfangs dachte ich, es sei heißes Wasser, und dass er mir damit nur Angst einjagen wolle. Doch es hörte nicht auf zu brennen, und da wurde mir klar, dass das kein heißes Wasser sein konnte. Ich fing an zu schreien, nach Hilfe zu rufen. Viele Leute kamen, um mir zu helfen, doch niemand konnte diese höllischen Schmerzen beenden. Dann brachten sie mich ins Krankenhaus, allerdings dauerte das ewig. Kein Schmerzmittel konnte mein Leid mindern. Ich habe mich sogar gegen eine Wand geschmissen, weil die Qualen so unerträglich waren. Ich flehte die Ärzte an, mir eine Spritze zu geben, damit ich sterbe. Letzten Endes aber fingen all die Medikamente an zu wirken.

NEWS.at: Welche Reaktionen rief das Attentat in ihrem Bekanntenkreis hervor?
Bahrami: Auch hier gab man mir zumindest eine Teilschuld. Ein anderer Verehrer hielt mir beispielsweise vor: „Hättest du mich geheiratet, dann wäre das nicht passiert“. Außerdem fordert man mich heute noch auf, Majids Entlassung zu erlauben, um ihn dann zu heiraten. Er soll mit mir zusammenleben, denn das sei Strafe genug. Was soll das? Denken Sie denn nicht daran, dass ich den Rest meines Lebens dann mit einem Verbrecher verbringen müsste? Erstaunlich ist, dass das alles hauptsächlich von Frauen geäußert wurde. Männer hingegen haben mir unter diesen Umständen sogar einen Heiratsantrag gemacht. Sie wären stolz darauf. Doch solange ich das Urteil nicht vollstreckt habe, denke ich nicht an eine Beziehung, sie würde die Vollstreckung vermutlich behindern.

NEWS.at: Verfolgt Sie das Attentat in Ihren Träumen?
Bahrami: In meinen Träumen läuft Majid hinter mir her und will mich umbringen. Oder aber ich bin gesund und sehe wie früher aus. Dann frage ich mich, wieso all die Personen um mich herum glauben, dass ich blind sei. Ich sehe doch. Deshalb möchte ich so viel wie möglich sehen, um zu beweisen, dass ich nicht blind bin. In einem Traum laufe ich zu meinen Eltern, um ihnen zu sagen, dass sie älter aussehen. Dann wache ich auf und merke, dass alles nur ein Traum war. Dass ich immer noch blind bin.

NEWS.at: Bereuen Sie es manchmal, Majids Antrag abgelehnt zu haben?
Bahrami: Niemals. Es hat sogar etwas Beruhigendes, abgelehnt zu haben. Denn damit habe ich mich ihm gegenüber nicht gebeugt. Hätte ich ihn geheiratet, wäre ich kein Mensch mehr gewesen.

NEWS.at: Wann haben Sie Ihr Augenlicht verloren?
Bahrami: Einen Tag nach dem Attentat wurde ich in eine Augenklinik gebracht. Dort teilten sie mir mit, dass das linke Auge nicht mehr zu retten sei. Das rechte hingegen war da noch sehfähig, doch ich merkte, dass die Sehkraft immer mehr nachließ. Nach zwei Wochen haben sie meine Augen geschlossen, da immer noch Säure in der Augenhöhle vorhanden war. Sechs Monate später wurde ich in einer Spezialklinik in Barcelona operiert, wo mir Stammzellen entfernt, neu aufgebaut und wieder eingesetzt wurden. Dadurch erlangte ich 40 Prozent meiner Sehkraft zurück. Zwei Jahre lang konnte ich dadurch wieder sehen. Danach kam ich in Barcelona in ein Frauenhaus, das mich in ein schmutziges Obdachlosenasyl abschob. Dort entzündete sich mein Auge, und das hat alles wieder zunichtegemacht. Mein linkes Auge habe ich also verloren, mein rechtes hat man mir aber genommen.

NEWS.at: Das Gericht sprach Ihnen zu, auch Majids Augen zu verätzen. Was war das für ein Gefühl, mit dem Täter in einem Raum zu sitzen?
Bahrami: Majid ist ein Mensch ohne Manieren. Im Gefängnis hat er damit geprahlt, dass er sechs Monate lang auf den Titelseiten aller Zeitungen war. Mit mir persönlich hat er nicht geredet. Bei der ersten Gerichtsverhandlung aber, als ich meine Gesichtsbedeckung entfernte, da hat er höhnisch gelacht. Als meine Mutter einem Journalisten ein Foto von mir vor dem Attentat zeigte, lachte er und meinte: „Dieses Foto brauchst du nicht mehr herzuzeigen, denn so wird sie nie wieder aussehen.“

NEWS.at: Was ist Ihnen durch den Kopf gegangen, als das Urteil in Teheran ausgesprochen wurde?
Bahrami: Viele haben mir gratuliert, doch ich selbst habe mich nicht gefreut. Stattdessen dachte ich mir, dass es schön gewesen wäre, wenn sich alles nicht so weit entwickelt hätte. Doch im Endeffekt war das Urteil besser als gar nichts.

NEWS.at: Wieso wollen Sie dann auch noch den letzten Schritt setzen und das Urteil vollstrecken?
Bahrami: Ich will erreichen, dass niemand mehr erlebt, was ich durchgemacht habe.

NEWS.at: Menschenrechtsorganisationen und prominente Personen, darunter Nobelpreisträgerin Schirin Ebadi, wollen Sie von diesem Vorhaben abbringen, da es gegen die Menschenrechte verstoßen würde.
Bahrami: Die Meinung von Schirin Ebadi akzeptiere ich nicht, da sie sich vor allem für ihr eigenes Ansehen einsetzt. Viele im Iran fragen sich, weshalb sie überhaupt diesen Preis erhalten hat. Bevor meine Geschichte um die Welt ging, wollte ich mir 5.000 Euro ausleihen, um meine jüngste Schwester nach Barcelona zu bringen. Die Antwort ihres Büros: Sie haben kein Geld. Später wollte sie mich in einer spanischen TV-Sendung überreden, auf die Vollstreckung zu verzichten. Ich habe eine Teilnahme aber abgelehnt.

NEWS.at: Doch auch andere Personen und Organisationen übten Kritik an ihrem Vorhaben.
Bahrami: War ich nicht ein Mensch? Die heutigen Menschenrechte bin ich leid, weil die Täter geschützt werden. Es werden Denkweisen diktiert, Denkweisen nachgeplappert, ohne wirklich darüber nachzudenken. Solange Menschenrechte nur theoretisch existieren, reagiere ich sehr allergisch auf solche Vorwürfe. Ich will das alles nicht mehr hören.

NEWS.at: Aber soll Gewalt wirklich mit Gewalt beantwortet werden? Reichen Haft- und Geldstrafen nicht aus?
Bahrami: Ich wende keine Gewalt an.

NEWS.at: Wäre es nicht ein Zeichen von Größe und Menschlichkeit, auf die Vollstreckung des Urteils zu verzichten?
Bahrami: Ich habe sehr oft genau darüber nachgedacht. Es wäre großzügig, darauf zu verzichten. Doch wenn einer anderen Person das Gleiche wie mir widerfährt, werde ich mir das selbst nie verzeihen können.

NEWS.at: Wie oft kommt es denn im Iran zu solchen Säureattentaten?
Bahrami: Nach dem auf mich verübten Attentat gab es sehr viele Nachahmer. Viele dachten, dass das mit einer mehrjährigen Gefängnisstrafe geahndet wird. Nachdem mein Urteil aber ausgesprochen wurde, hat sich die Situation geändert. Der Richter hat mir mitgeteilt, dass danach kein ähnliches Attentat mehr durchgeführt wurde. Ich will dieses Urteil nicht für meine Person, ich will potenzielle Täter damit abschrecken.

NEWS.at: Haben Sie nicht Angst vor Racheakten, wenn Sie dieses Urteil vollstrecken? Der Großteil ihrer Familie lebt schließlich weiterhin in Teheran.
Bahrami: Wir haben auch jetzt schon Angst, da die Familie und Bekannten des Täters uns bedrohen. Deshalb habe ich meine jüngste Schwester auch nach Barcelona gebracht. Majids Vater rief mich vor Kurzem an und meinte: „Dein Körper ist ja noch gesund. Achte auf ihn.“

NEWS.at: Gibt es schon ein Datum für die Urteilsvollstreckung?
Bahrami: Nein. Ich warte auf die Unterschrift des Justizministers. Ich habe zudem beantragt, dass das Urteil in der Öffentlichkeit vollstreckt wird, damit jeder Mensch zusehen kann. Doch das wird sehr schwierig.

NEWS.at: Aufgrund Ihrer Blindheit sollen Sie das Urteil nicht selbst vollstrecken können.
Bahrami: Ein Arzt sollte das machen, doch in der Öffentlichkeit ist ihm das nicht gestattet. Daher habe ich mich bereiterklärt. Doch dann, so warnten die zuständigen Behörden, bestehe die Gefahr, dass ich ihm zuviel Säure zuführe und Nerven beschädige, die mir laut Urteil gar nicht zustünden. Ich antwortete, dass er selbst daran schuld sei, dass ich nicht mehr sehen könne. Daher setze ich alles daran, das Urteil selbst zu vollstrecken.

NEWS.at: Erwarten Sie sich danach einen inneren Frieden?
Bahrami: Nein, auf keinen Fall. Ich werde nie mehr meinen inneren Frieden finden, unabhängig davon, ob ich das Urteil selbst vollstrecke oder nicht.

NEWS.at: Was erwarten Sie sich vom Leben nach der Urteilsvollstreckung?
Bahrami: Ich wünsche mir, die Vergangenheit hinter mir zu lassen und mit meiner Familie in einem anderen Land in Frieden zu leben. Wir alle sind müde geworden.