André Heller: „Beschämende Geistlosigkeit, radikales Fehlen an Einsicht und Würde“

NEWS: Nach längeren Exerzitien plant er weltweit, eröffnet ein Paradies in Afrika & sagt der SPÖ adieu

André Heller hat mit der von ihm durch Jahrzehnte unterstützten SPÖ gebrochen. Das erklärt der österreichische Künstler in einem Interview für die heute erscheinende NEWS-Ausgabe. Heller, der sich „nach einem Jahr der Exerzitien“ erstmals wieder zu Wort meldet: „Als Herr Faymann, von keinem Selbstzweifel getrübt, das SPÖ- und Staatsruder übernahm, war mir und wohl auch Zehntausenden anderen sofort klar, dass dies für uns das Ende jenes berühmten von Kreisky erbetenen ,Stücks eines gemeinsamen Weges’ ist. Die Gürtellinie für beinah alles, was meine Freunde und ich als Grundwerte sozialdemokratischen Denkens und Handelns empfinden, wurde unter Faymann zu den Knöcheln, häufig sogar zu den Fersen verlagert.“

André Heller: „Beschämende Geistlosigkeit, radikales Fehlen an Einsicht und Würde“ © Bild: NEWS/Vukovits

Konkret nennt Heller den Mangel an „unpopulistischer sozialer Kompetenz und gelebter Solidarität gegenüber Schwächeren und Flüchtlingen, (...) Interesse für die mehr als berechtigten Nöte der Studierenden und die Bedürfnisse einer ethischen Forschung.“ Heller weiter: „Was sich
voraussehbarerweise unter Faymann und seinen Halbgetreuen manifestierte, war und ist (...) eine beschämende Geistlosigkeit, ein radikales Fehlen an Einsichten und Würde. Die Internationalität und Europa schlechthin sind kein Kriterium mehr. Ein krasser Mangel an Autorität und Gestaltungswillen herrschen vor. Stattdessen leistet man sich dauernd ein Angsthasengestarre auf Umfragewerte, und ein Sich-Tag-und-Nacht-Anbiedern an den Boulevard und dessen Manipulatoren bestimmt das Weltbild. Man könnte sagen: Wo es keine ,Kronen Zeitungs’-Kolportage gibt, muss man im derzeitigen Bundeskanzlerselbstverständnis offenbar gar nicht hindenken. All dies ist konsequenterweise gepaart mit einem beinah gelangweilten Sich-Distanzieren von Kultur in jeglicher Erscheinungsform, und in diesem Sinn wird nebenbei auch noch rasch der für die Feinabstimmung Österreichs so sehr wichtige ORF ruiniert.“

NEWS traf den Künstler zum Interview:

NEWS:  Wie geht es Ihnen? Sie waren so still in letzter Zeit. Sie werden doch mit dem runden Geburtstag nicht etwas weisheitsmüde geworden sein?
Heller:  Ich habe mir ein Jahr Exerzitien verordnet, um mich quasi neu zu vermessen, mir so tief wie möglich auf den Grund zu gehen, mich nach hohlen Stellen abzuklopfen und wo nötig behutsam nachzujustieren. Ich war viel auf Reisen an hilfreiche Orte, habe die ersten 200 Seiten eines Romans geschrieben, Aquarelle gemalt und neun Lieder erarbeitet, für eine eventuelle Veröffentlichung. Es wäre mein erstes Solo-Gesangsprojekt seit bald dreißig Jahren. Und natürlich habe ich immer wieder meine große Baustelle nahe Marrakesch in Marokko besucht.

NEWS:  Wie geht es diesem Paradies in Afrika? Und was genau ist das?
Heller:  Ich bemühe mich, auf diesem Areal von siebeneinhalb Hektar meine bisherige Lebenserfahrung und das mir bewusste Wissen meiner Seele auf sinnlichste Weise dreidimensional erfahrbar werden zu lassen. Unter anderem in Form von zwölf sehr unterschiedlichen Ge-
bäuden, einem Paradiespark, Kunstinstallationen, Heilräumen, Wasserspielen, Labyrinthen, einer Ausstellungshalle, Ateliers, Wunderkammern, einer kleinen Farm und 5.000 m² Kräutergarten. Teile davon werden eines Tages fürs Publikum geöffnet werden, weil ich immer gerne meine Vorstellungen von Schönheit, Kraft und Ermutigung mit anderen teile. Aber eineinhalb Jahre wird die Bau- und Bepflanzungszeit wohl noch mindestens in Anspruch nehmen.

NEWS:  Hätte man Gusenbauer am Ende doch besser im Amt belassen?
Heller:  Alfred Gusenbauer, das weiß jeder Insider, hätte dieser Tage einer der zwei mächtigsten Männer der EU werden können, nämlich Vizepräsident und in Personalunion Außenminister Europas. Er hätte das mit seiner erstklassigen internationalen Vernetzung, seiner intellektuellen Brillanz und seiner fließenden Kenntnis von fünf Sprachen natürlich auch sehr effektiv und für unser Land und Europa Ehre einlegend gekonnt. Aber diese Karriere hat Faymann zu verhindern gewusst. Die außerösterreichischen Führer der europäischen Sozialdemokratie wollten allesamt Gusenbauer, und Barroso wollte ihn auch. Was da von Faymann und seiner Crew offenbar bewusst falsch behauptet wurde – es hieß ja von dort mehrmals, Gusenbauer hätte in dieser Angelegenheit bei der EU keine Chance –, passt fugenlos in das armselige Bild, das dieser Verein bietet. Aber reden wir nicht über verschüttete Milch.

(Heinz Sichrovsky)

Das ausführliche Interview mit André Heller lesen Sie jetzt in NEWS 04/10