"Underachiever": Hinter schlechten Noten kann sich auch Hochbegabung verbergen

Gehirnaktivitäten geben Aufschluss über Begabung

Schlechte Noten und störendes Verhalten im Unterricht: Das muss nicht immer auf mangelnde Intelligenz hinweisen. Manchmal verbirgt sich dahinter auch eine unerkannte Hochbegabung, ein so genannter "Underachiever". Doch wie erkennt man diese versteckten Talente? Beim Kongress "Versteckt - verkannt - verborgen" in Salzburg, lieferte Aljoscha Neubauer vom Institut für Psychologie der Universität Graz erste Ansätze aus den Neurowissenschaften zu einer möglichen Diagnostik des Phänomens über die Gehirnaktivitäten.

In einer eben fertig gestellten Studie wurden Schüler der 6. bis 8. Klasse AHS von Neubauer und seinem Team auf ihre Intelligenz und ihr Lern- und Arbeitsverhalten getestet, um vier Gruppen herauszufiltern: Schüler mit hohem IQ und ausgezeichneten Noten, solche mit hoher Intelligenz und schlechteren Noten sowie Kinder mit durchschnittlicher Intelligenz mit guten und solche mit durchschnittlichen Noten. Diese vier Leistungsgruppen mussten für die Studie Aufgaben lösen, gleichzeitig wurden ihre Gehirnströme gemessen.

Weniger intelligente Schüler hatten eine deutlich stärkere Gehirnaktivität als jene mit höherem IQ, berichtete Neubauer bei der Kongresseröffnung. Sehr unterschiedlich war die Aktivität in den jeweiligen Gehirnregionen: So hatten die "Underachiever" im vorderen Bereich des Gehirns sehr wenig Aktivität, im hinteren Bereich dafür im Vergleich zu den Kontrollgruppen hohe Aktivität. Bei weniger begabten Schülern ist die Aktivität im Frontalhirn größer. Für Neubauer könnten solche unterschiedlichen Ergebnisse Ansätze zu einer Diagnostik von versteckten Hochbegabten über die Neurobiologie eröffnen.

Spitzenleistungen können aber auch von durchschnittlich begabten Menschen erbracht werden: Neubauers Studie hat auch gezeigt, dass sich Fleiß beim Lernen auszahlt. "Auch wenn man nicht so begabt ist, aber viel an Lernarbeit investiert, verschiebt sich die Aktivität vom Frontalhirn zum hinteren Bereich", zitierte Neubauer ein Ergebnis seiner Studie. Und diese Verlagerung in den hinteren Hirnbereich ist für die Experten ein Zeichen für die höhere neurale Effizienz besonders gescheiter Menschen.

Der Kongress wurde vom Österreichischen Zentrum für Begabtenförderung und Begabtenforschung (özbf) organisiert und wendet sich an Pädagogen, Eltern, Psychologen und Ärzte. Ziel ist es, die Aufmerksamkeit auf das Erkennen und Fördern hochbegabter Underachiever zu stärken. "Auf dem Weg zu einer leistungsstarken Wissensgesellschaft können wir es uns nicht leisten, dass Kinder in ihren Talenten verkannt werden", meinte Salzburgs Landesschulratspräsident Herbert Gimpl. Es brauche einen entsprechenden Schwerpunkt in der Aus- und Weiterbildung von Lehrern. Mit einem stärker vernetzten und fächerübergreifenden Unterricht könne man hochbegabte Kinder besser fördern und Frustration oder permanenter Langeweile entgegenwirken, ist Gimpl überzeugt.

Als Underachiever werden von den Experten Personen bezeichnet, die eine große Diskrepanz zwischen ihrem kognitiven Potenzial und ihrer tatsächlichen Leistung haben. Wie viele unerkannte Talente hinter schlechten Schulnoten schlummern, darüber gibt es unterschiedliche Meinungen in der Literatur. Detlef H. Rost vom Fachbereich Psychologie der Philipps-Universität Marburg sagte in seinem Vortrag, dass etwa zwölf Prozent der Hochbegabten ihr kognitives Potenzial nicht in die entsprechende Leistung umsetzen. Andere Untersuchungen gehen von wesentlich höheren Zahlen aus.

"Gibt nicht den Underachiever"
"Es gibt nicht den Underachiever", warnte Rost vor Standardmaßnahmen zur Förderung der unerkannten Talente. Jeder Schüler müsste als Einzelfall betrachtet und unterstützt werden, sagte Rost. Er sieht das Phänomen als "falsch eingeschlagenen Lern- und Verhaltensweg", der mit entsprechender Unterstützung korrigiert werden kann.

Lehrer sind nach Ansicht des Marburger Psychologen mit dem Diagnostizieren von "Underachievern" überfordert. Sie sollten aber bei schlechten Schülern auf mögliche Hinweise für ein solches Phänomen achten: besondere intellektuelle Leistungen in einzelnen Bereichen, überraschender Leistungsabfall, Interesse für neue Themen im Unterricht, auffallend gute Antworten bei Einzelthemen. Bei einem Verdacht müssten Psychologen und Beratungseinrichtungen eingeschaltet werden, riet Rost. Diese Hilfe und Beratung sei aber für alle Leistungsversager, nicht nur für unerkannte hochbegabte Kinder nötig, betonte der Psychologe.

(apa/red)