Leitartikel
Gemütlich war gestern
Der Wiener Wahlkampf beginnt mit neuem Ton. Dahinter ist Schluss mit kuschlig.
Jetzt hat Michael Häupl einen beachtlichen Anfall von Selbstreflexion gehabt. Auf den Wahlplakaten der Wiener SPÖ erklären uns jetzt tatsächlich Menschen, was an der tollen Stadt doch nicht ganz so toll ist. Zum Beispiel der junge Mann auf dem Fahrrad, nachdenklicher Blick. „Wien ist die beste Stadt der Welt, aber was bringt dir das, wennst keine Hacken hast?“ Selbstreflexion ist nicht unbedingt die größte Stärke der in sich ruhenden Wiener Sozialdemokratie, eines Monuments ihrer selbst. Der sanft selbstkritische Einstieg in den Wahlkampf ist daher umso beachtlicher und auch etwas gewagt – da könnte man auf die Idee kommen zu fragen: Ja, warum habt ihr es in der besten Stadt der Welt nicht noch ein bisschen besser gemacht? Doch wenn die Mietpreise steigen, viele keine Arbeit und Angst vor der Zukunft haben, ist es mit der gewohnten Wiener Kuscheligkeit sowieso vorbei. Der übliche sozialdemokratische „Wir sind super“-Wahlkampf der Vergangenheit würde ohnehin nicht mehr funktionieren. Also versuchen sie sich jetzt mit freundlichem Ton als Menschenversteher, die auch Probleme ansprechen. Zumindest auf dem Plakat.