Wie gut Österreichs
Kassenpatienten versorgt sind

Wo es bereits eine Zwei-Klassen-Medizin gibt und ob der Trend anhält

Lange Wartezeiten, Gangbetten und wenig Zeit für Gesundheit: Die verpflichtende Krankenversicherung allein reicht vielen Österreichern nicht mehr. 2015 haben sich über 3,1 Millionen privat krankenversichert. Wer es sich leisten kann weicht aus. Wird diese Art von Zwei-Klassen-Medizin künftig die Regel sein?

von Gesundheit - Wie gut Österreichs
Kassenpatienten versorgt sind © Bild: Shutterstock

Die Zahl der Privatversicherten steigt

"Jeder, der es sich leisten kann, wird sich in Zukunft privat versichern", sagt Thomas Szekeres, Präsident der Ärztekammer für Wien. Dahin gehe der Trend - wenn sich am Gesundheitssystem nichts ändert. Bereits jetzt nutzen viele Österreicher das Angebot der Versicherungen und schließen parallel zur verpflichtenden eine private Krankenversicherung ab.

"In den letzten vier Jahren ist ein leichter Anstieg zu verzeichnen", sagt Dagmar Straif, Pressesprecherin des Versicherungsverbandes Österreich (VVO). 2012 haben sich laut Jahresbericht des VVO insgesamt rund 2,92 Millionen Österreicher (Einzelversicherung und Gruppenversicherung) privat krankenversichert, 2013 waren es rund 2,98 Millionen, 2014 rund 3,0 Millionen und 2015 über 3,1 Millionen.

Was gerade schief läuft

Der Trend geht laut Szekeres eindeutig in Richtung Zwei-Klassen-Medizin: Immer mehr Patienten suchen Wahlärzte auf. Positiv ist: Die gesundheitliche Grundversorgung funktioniert in Österreich. Wenn jemand akut Hilfe braucht, bekommt er sie laut Präsident der Ärztekammer Wien auch. Aber der Zugang werde immer schwieriger. "Wir kritisieren, dass es überhaupt notwendig ist, auszuweichen", sagt er. In einigen Spitälern sei man gezwungen, Gangbetten aufzustellen. Und die Verantwortlichen würden wegschauen.

"Das traditionelle Kassensystem hat ausgedient", sagt Gerald Bachinger, Patientenanwalt in Niederösterreich und Sprecher der Patientenanwälte in Österreich. Jene Patienten, die es sich leisten können, würden auf Wahlärzte ausweichen, weil sie sich dadurch eine zeitnahe Versorgung und eine bessere Gesprächssituation versprechen als beim Kassenarzt.

Die Ärztekammer Wien kritisiert vor allem: Die Zahl der Kassenärzte, darunter auch die Hausärzte, sinkt, obwohl es zunehmend mehr Menschen zu versorgen gilt. Denn Wien - beziehungsweise ganz Österreich - wächst. Das hat zur Folge, dass die Kassenärzte überlastet sind und die Wartezeiten für Patienten immer länger werden. Auf einen Termin beim Augenarzt kann ein Wiener Patient beispielsweise schon einmal mehrere Wochen warten, wie Szekeres mitteilt. Noch länger, rund zwei Monate, beträgt derzeit großteils die Wartezeit für eine Computertomographie (CT) oder eine Magnetresonanztomographie (MRT). Die Ärztekammer Wien fordert daher den Ausbau der Kassenärzte und baldige finanzielle Ausschüttungen im Zuge der Gesundheitsreform.

»Das ist eine offiziell tolerierte Zwei-Klassen-Medizin«

Der Patientenanwalt hält hingegen Einzelordinationen für überholt und wenig zielführend: "1.000 neue Einzelplanstellen bringen nichts", sagt Bachinger. Um den Trend der Zwei-Klassen-Medizin entgegenzuwirken, brauche es sogenannte Primärversorgungseinrichtungen. Dort arbeiten verschiedene Gesundheitsdienstleister, die miteinander vernetzt sind.

Vernetzte Ärzte statt Einzelkämpfer

Auf diese Strategie baut auch die Gesundheitsreform: Insgesamt 200 Millionen Euro sollen in den Ausbau der medizinischen Primärversorgung investiert werden. Sie soll unter anderem längere Öffnungszeiten und raschere Termine bringen. Das sei eine indirekte Antwort der Politik auf die Zwei-Klassen-Medizin, wie Bachinger mitteilt. Zudem werde es immer schwieriger Ärzte zu finden, die sich als Kassenarzt niederlassen wollen. "Junge Ärzte wollen nicht in den veralteten Strukturen, in Einzelordinationen, arbeiten, ihnen ist mittlerweile die Work-Life-Balance wichtiger", sagt der Patientenanwalt.

Die Gesundheitsreform ist jedoch für ihn keine Strategie, um gegen die neuen Formen der Zwei-Klassen-Medizin zu arbeiten. Dabei spielt der Patientenanwalt besonders auf MRT- und CT-Untersuchungen an. Für diese gilt seit drei Jahren: Wer 200 Euro zahlt, kommt früher dran. "Das ist eine offiziell tolerierte Zwei-Klassen-Medizin", sagt Bachinger. Patienten müssen meist mehrere Wochen lang auf ein CT warten, weil sich die Krankenkassen mit den Instituten um die Kostendeckelung streiten. Und die 200-Euro-Regelung motiviert die beiden Parteien nicht gerade dazu, das bürokratische Problem zu lösen. "Für die Radiologen in den Instituten ist es ein extra Körberlgeld und die Krankenkassen ersparen sich Geld", sagt Bachinger.

Alles eine Frage der Beiträge?

Und wie könnte man dem Trend der Zwei-Klassen-Medizin effektiv entgegenwirken?
"Als Kassenarzt wird man nicht reich", sagt Thomas Szekeres. Ein Wiener Hausarzt bekommt pro Quartal und Patient 45 Euro brutto. Durchschnittlich gehen Patienten drei Mal pro Quartal zum Hausarzt. Das sind dann 15 Euro brutto pro Arztbesuch. Szekeres plädiert dafür, dass Hausärzte aufgewertet werden und das Sozialversicherungssystem an die neuen Gegebenheiten, wie der wachsenden Zahl an Patienten, angepasst wird. Eine Erhöhung der Beiträge sei eine Überlegung wert. In Wien, Kärnten und der Steiermark sinkt nach Angaben der Ärztekammer die Zahl der Beitragszahler und die Zahl der Mitversicherten steigt. Könnten mehr finanzielle Mittel also eine Lösung sein?

Nein, sagt der Patientenanwalt. Für ihn ist die Erhöhung der Beiträge keine zufriedenstellende Antwort. Die Gesundheitsausgaben liegen im internationalen Vergleich im obersten Drittel, die Qualitäts- und Versorgungsperformance rangiert jedoch lediglich im Mittelfeld. "Mehr Geld bedeutet nicht gleich eine bessere Versorgung. Global hineingeworfenes Geld versickert nur irgendwo", sagt Bachinger. Vielmehr solle man gezielt in bestimmte Bereiche investieren, um die Zwei-Klassen-Medizin zu bremsen. Denn eines steht für ihn fest: Der Trend hält an und die Zukunft könnte noch weitere Formen der Zwei-Klassen-Medizin hervorbringen.

Kommentare

Oliver-Berg

Sorry an Denksport. Die Krankenkasse bekommt nicht das Doppelte. Jeder mit einer privaten Zusatzkrankenversicherung zahlt an eine private Versicherungsgesellschaft Prämienvorschreibungen ein und nicht an die GKK. Freuen können sich die Ärzte über zusätzliche oder höhere Honorare als diejenigen, die sie von der GKK erhalten würden.

Eigentlich bekommt die Krankenkasse ja das Doppelte, weil der Arbeitgeber zahlt auch ein.

Izmir-Ibel

Blöde Frage.
Privatversicherte sind immer besser dran, aber im Moment ist am Besten, dass sie überhaupt dran sind. Versucht mal ohne Zusatzversicherungen Facharzttermine zu bekommen. Oder gar eine MR.

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