Die zwei Gesichter des Andreas Ogris

Auf dem Platz war er ein "böser Bube". Privat ist er ein sensibler Familienmensch.

Lokalaugenschein Strebersdorf: Treffpunkt ist der Frisiersalon Ogris in der Vorgartenstraße, unweit der Reichsbrücke. Genauer gesagt: Das "Friseur-Team Ogris" hat hier seinen Stammsitz. Inzwischen gibt es vier weitere Standorte, zwei in Wien, zwei in Niederösterreich, erzählt Chefin Michaela Ogris nicht ohne Stolz. Am Arm hält sie die zweijährige Anna, ihr Enkelkind. Der Opa werde jeden Moment da sein, versucht sie die Kleine zu beruhigen.

von Andreas Ogris © Bild: © Michael Appelt

Es ist neun Uhr. Andreas Ogris, ehemaliger Fußball-Profi und seit Ende März Interimstrainer der Wiener Austria, ist pünktlich auf die Minute. Und, die nächste Überraschung, er fährt in einem Kleinstwagen vor, einem zweisitzigen Smart. Nicht selten definieren sich erfolgreiche Kicker über die Größe des Autos. Ogris braucht solche Statussymbole überhaupt nicht: "Dieses Zwetschgerl ist ideal für den Stadtverkehr. Damit findest du immer einen Parkplatz. Und wenn ich einmal über Land fahren muss, dann borge ich mir halt den Audi von meiner Frau aus."

Der Mann der Friseuse

In den nächsten Stunden wird zur Gewissheit, was der erste, gänzlich unprätentiöse Auftritt des 63-fachen Nationalspielers und besten Flügelspielers seiner Zeit erahnen lässt: Das weit verbreitete Image von Andreas Ogris und seine tatsächliche Persönlichkeit sind zwei Paar Schuhe.

Der ehemalige Fußballer "Ogerl", als Rabiatperle auf dem Platz und als Zigaretten rauchender Nachtschwärmer verschrien, hat mit dem realen Ogris rein gar nichts zu tun. Im Gegenteil: Er ist ein ausgeprägter Familienmensch, äußerst harmoniebedürftig, und er drängt nicht in die Öffentlichkeit. Im Gegensatz zu den meisten Fußballerkollegen sei er halt damals offen mit seinen "kleinen Schwächen" umgegangen, habe sich nicht versteckt, wenn er sich die eine oder andere Zigarette angezündet oder das eine oder andere Bier getrunken hat: "Aber ich habe wie ein Wilder trainiert und bin immer top vorbereitet in die Spiele gegangen." Und überhaupt: Was die Leute über ihn so reden, war ihm immer schon völlig egal.

Die kleine Anna ist jetzt sein ganzer Stolz, hält er sie in den Armen, geht sein Herz auf. Ein "echtes Opa-Kind", meint die Oma. Ogris selbst will in der Zweijährigen jetzt schon ein paar seiner eigenen Charakterzüge entdeckt haben: Durchsetzungsvermögen, unbändigen Ehrgeiz und einen ausgeprägten Sturschädel.

Andreas Ogris
© © Michael Appelt

Noch während seiner aktiven Karriere als Profi-Fußballer hat Andreas Ogris für die Zeit danach vorgesorgt. Weil seine Frau gelernte Friseurin ist, eröffnen sie 1996 das erste Geschäft in der Vorgartenstraße. Später betreibt er sieben Jahre lang mit Freunden eine kleine Baufirma. Ogris: "Ich bin ein unternehmerischer Mensch, ein Versorgungsposten in einer Versicherung wäre nichts für mich."

2006, kurz vor der Fußball-WM in Deutschland, lässt er sich zur Übernahme eines Sportcafés im Wiener Prater überreden, nach drei Jahren ist dort für ihn aber wieder Sperrstunde: "Ich bin kein Wirt, ich bin lieber Gast."

Der Fußball bleibt im Grunde seine wahre Leidenschaft. Seit 2004 ist er im Besitz der UEFA Pro Lizenz, der höchsten Ausbildungsstufe für Trainer. In seiner 85-seitigen Diplomarbeit beschäftigte er sich mit dem Thema "Standardsituationen", eine Arbeit, die heute bei Trainerlehrgängen noch immer als vorbildhaft hingestellt wird.

Der Abschied von der Enkelin fällt Andreas Ogris sichtlich schwer. Aber er will uns heute jene Ecke von Wien zeigen, in der alles begonnen hat, in der er aufgewachsen ist, wo er die Leidenschaft für das Fußballspiel entdeckt hat. Über den Handelskai und die Nordbrücke geht es auf der Prager Straße nach Strebersdorf. Dort, im Gemeindebau in der Mayerweckstraße, hat er seine Kindheit verbracht, auf der kleinen Wiese zwischen den Häusern mit seinen Brüdern und den Nachbarskindern Fußball gespielt, jeden Tag, stundenlang.

Violett bis in die Knochen

Während der Fahrt erklärt Andreas Ogris, warum er das Himmelfahrtskommando bei der Austria übernommen hat: "Ich bin ein Violetter bis in die Knochen. Als mir der Job angeboten wurde, habe ich keine Sekunde gezögert und sofort ja gesagt. Auch wenn ich ein Trainer mit Ablaufdatum bin, werde ich diese zwei Monate in vollen Zügen genießen. Das kann mir keiner mehr nehmen. Auf diese Erfahrung werde ich den Rest meines Lebens zurückgreifen können."

Anfang Juni wird Andreas Ogris wieder ins zweite Glied zurücktreten und die Austria-Amateure, die zweite Mannschaft, trainieren, in der die Talente reif für die Bundesliga gemacht werden. Vor drei Jahren hat ihn der Klub, für den er fast 20 Jahre dem Ball nachgerannt ist, als Trainer in der Nachwuchsakademie zurückgeholt. Vorher hatte er sich seine ersten Sporen als Trainer in der Landesliga verdient. Ogris: "Gerade in den unteren Ligen kannst du sehr viel lernen. Dort ist die Arbeit sogar noch viel komplexer als bei einer Profimannschaft."

Und die Arbeit mit jungen Talenten ist für ihn ohnehin die größte Herausforderung: "Manche Außenstehende sagen ja, die jungen Burschen bekommen heute in der Akademie den Zucker in den Hintern geblasen, die würden von uns den ganzen Tag nur gestreichelt. Das stimmt nicht. Verglichen mit meiner Zeit haben es die Jungen heute schwerer. Die Erwartungen sind höher, der finanzielle Aufwand des Klubs ist viel größer. Da war es zu unserer Zeit doch etwas leichter."

Ankunft in Strebersdorf: Die Gemeindebauanlage wurde in den 60er-Jahren als verkehrsarme Mustersiedlung am Stadtrand errichtet und besteht aus mehreren zeilenförmigen Trakten mit höchstens drei Geschoßen. Familie Ogris auf Stiege 30, im Parterre, gehörte zu den ersten Mietern.

Familie mit Kärntner Wurzeln

Der Vater war Fernfahrer und stammt ursprünglich aus St. Kanzian in Kärnten, die Mutter hatte zu Hause mit den vier Buben alle Hände voll zu tun. Eine Kindheit in bescheidenen, aber glücklichen Verhältnissen. Andreas Ogris: "Ich habe mich hier immer sehr wohlgefühlt. Du lebst in Wien, aber doch auch irgendwie schon am Land. Du bist schnell in der Stadt, aber in kurzer Zeit am Bisamberg, mitten in der Natur."

Über den Floridsdorfer AC kam Andreas Ogris mit zehn Jahren zur Austria. Der Rest ist Fußballgeschichte: Für die "Veilchen" absolvierte er knapp 350 Pflichtspiele, holt mit der Austria fünf Meistertitel und drei Cupsiege. 2011 wählen ihn die Fans in das "Jahrhundertteam", gemeinsam mit Legenden wie Matthias Sindelar oder Herbert Prohaska.

Noch einmal nachgefragt: Woher kommt der "schlechte Ruf", der ihm bis heute nachhängt? Ogris: "Das hat sicher auch mit der Art zu tun, wie ich Fußball gespielt habe. Meine Aggressivität, meine Emotionen haben die Leute polarisiert. Auf dem Fußballplatz bin ich keinem Konflikt aus dem Weg gegangen. Dazu kommt, dass ich nicht verlieren kann. Ich bin mit Sicherheit der schlechteste Verlierer auf diesem Planeten."

Hier finden Sie Andi Ogris im News.at-Wordrap.

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