Zurück zur Zuversicht

Kriege, Krisen und Klimawandel: Die aktuelle Lage wirkt sich massiv auf die Psyche der Menschen aus. Viele sind erschöpft und pessimistisch. Doch es ist möglich, die Leichtigkeit im Leben wieder zu erlangen, weiß Psychiater und Neurologe Volker Busch.

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Psychologie - Zurück zur Zuversicht © Bild: Westend61 / Tanya Yatsenko/Getty Images

Kriege, Sorgen aufgrund der Inflation, Hass im Internet und pessimistische Zukunftsprognosen: Es ist eine Vielzahl an aktuellen Ereignissen und Entwicklungen, die immer mehr Menschen in Volker Buschs Ordination führen. "All diese faktischen Verhältnisse, die sich nicht wegleugnen lassen, hinterlassen bei den Menschen Spuren. Sie lösen ein Gefühl der Verunsicherung aus, das sich mental und körperlich zeigen kann", weiß Busch, der die Abteilung für psychosoziale Stress- und Schmerzforschung an der Universitätsklinik Regensburg leitet.

Seit einiger Zeit schon beobachtet der Psychiater und Neurologe eine Zunahme an Patienten, die unter depressiven Beschwerden und ängstlichen Gefühlen leiden. Auch viele Menschen, die bisher keine psychischen Probleme hatten, suchen sich aktuell Hilfe. "Sie berichten, dass sie sich nicht mehr ausreichend konzentrieren können, um ein Buch zu lesen, nicht mehr gut schlafen und Verdauungsprobleme haben", so der Mediziner.

Ein Eindruck, den laufend neue Studien, wie etwa jene der Stadt Wien, bestätigen. Dabei gaben 69 Prozent der Befragten an, ihr Alltag sei durch Erschöpfung beeinträchtigt. Zwei Drittel berichten von Ängsten. Besonders stark betroffen sind Frauen und junge Menschen.

Verlorene Leichtigkeit im Leben

Während früher meist persönliche Probleme, ein schwieriges berufliches Projekt oder gesundheitliche Sorgen zu dieser negativen Grundstimmung führten, nimmt Busch wahr, dass es heute oft "die Weltverhältnisse sind, die meine Klienten um die Nachtruhe bringen". Und so stellte sich der Mediziner schließlich die Frage: "Kann man krank werden an der Welt?"

Seine Antwortet lautet "ja". Daher entschloss er sich, ein Buch zu schreiben, das auf unkomplizierte Art Menschen dazu anleiten soll, wieder mehr Zuversicht und einen positiveren Blick auf das Leben zu gewinnen. "Es geht darin nicht um Medikamentendosierungen oder um konkrete Therapien von Depressionen", erklärt Busch. Sondern es richte sich an Menschen, die verunsichert sind, aber noch nicht in die Klinik müssen. An all jene also, die bemerkt haben, dass sie in den letzten Monaten reizbarer und dünnhäutiger geworden sind und die ihre Leichtigkeit im Leben verloren haben.

Doch kann es tatsächlich gelingen, diese Unbeschwertheit wieder zu erlangen, wenn die weltweite Situation eigentlich aussichtslos erscheint?

Phasen kollektiver Erschöpfung

Bei seinen Recherchen zum Buch stellte Busch fest, dass es in der Geschichte der Menschheit wahrscheinlich immer schon Phasen gab, in denen ein Großteil der Bevölkerung stark verunsichert und mental belastet war. "Ich bin auf Berichte von Menschen im ausgehenden 19. Jahrhundert gestoßen, die über genau dieselben Symptome klagten", sagt Busch. "Im Zeitalter der Industrialisierung waren viele Leute erschöpfter, reizbarer und unruhiger." Sie litten unter Ängsten und Sorgen. Es sei kein Zufall, dass genau in dieser Zeit so viele Kurkliniken entstanden.

»Wir sind Instabilität nicht mehr gewöhnt und kommen da her mit der jetzigen Ungewissheit nicht mehr klar«

Volker Busch Psychiater und Neurologe

Zwar glaubte man damals, die "Elektrizität führe zur Nervenschwäche", so der Mediziner. Doch mittlerweile scheint klar zu sein, dass in kollektiv unruhigen Zeiten, in denen sich vieles im Umbruch befindet, die Zahl jener, die mentale Probleme haben, deutlich ansteigt. "Umwälzungen rütteln an der Seele", weiß Busch. "Auch beispielsweise während des Arabischen Frühlings oder im Zuge der Wiedervereinigung Deutschlands war dieses Phänomen bemerkbar."

Denn obwohl es nicht jedem bewusst ist, merken Menschen, wenn ein Umbruch im Gange ist – "und das macht etwas mit uns". "Wir sind vulnerabel. Die Zahl der Personen mit manifester psychischer Erkrankung bleibt zwar in Krisenzeiten relativ konstant. Doch die subjektiven Belastungen von Menschen steigt dann stark an", sagt der Mediziner. Allerdings hat er gleichzeitig eine gute Nachricht für alle Betroffenen: "Wir können lernen, damit umzugehen."

Ungewissheiten trainieren

"Wenn ich an meine Oma denke, dann war für sie Zukunft immer etwas Positives. Sie war überzeugt, dass alles besser werden wird." Doch nun mache sich das Gefühl breit, das Ende der Fahnenstange sei erreicht. "Wir sind die Instabilität nicht mehr gewöhnt und kommen daher mit Ungewissheit, wie wir sie jetzt erleben, nicht mehr klar", erklärt Busch.

Mediziner nutzen gerne den Begriff des mentalen Immunsystems. Es ist für die Abwehr von Belastungen, die Reifung an einer Herausforderung und die Erholung nach Misserfolgen, Kränkungen oder Verlusten entscheidend.

"Wie auch unser körperliches Immunsystem wächst es nicht, wenn wir es in Watte packen", gibt Busch zu bedenken. So bringe ein Schaumbad nach einem anstrengenden Tag zwar kurzfristig Erholung, aber langfristig wird die Psyche dadurch nicht belastbarer.

Das bedeutet allerdings, will man für Ungewissheiten gewappnet sein, muss man derartige Situationen trainieren. Dabei reicht es, "kleine, kalkulierte Wagnisse einzugehen, um psychisch stärker zu werden". So sammle man Erfahrungen, dass es in ungewissen Situationen im Leben möglich ist zu improvisieren. "Das gibt einem Mut für Ungewissheit."

Beispielsweise riet Busch einer Klientin, einmal im Monat gemeinsam mit ihrem Mann etwas Außergewöhnliches zu erleben, das sie noch nie zuvor gemacht haben. Die beiden unternahmen daraufhin unter anderem eine Ballonfahrt und gingen Muscheln essen.

Eine andere Möglichkeit wäre, beim Campen ohne Plan drauf los zu fahren und im Vorhinein nicht zu wissen, wo man übernachten wird. Oder einmal mit Rollerblades zur Arbeit zu kommen.

"Das sind Kleinigkeiten, die aber einen Effekt auf uns haben. Denn so muss ich meine Komfortzone verlassen und mich dem Ungewissen stellen", erklärt Busch. Der Effekt dieses Toleranztrainings wurde in Studien bestätigt. Diese zeigen, dass Menschen, die das täglich praktizieren, mutiger werden.

60 Prozent der Wienerinnen und Wiener gaben in einer Umfrage an, zumindest an einzelnen Tagen an Ängsten und Erschöpfung zu leiden

3 Monate lang andauernde Symptome müssen vom Arzt abgeklärt werden. "Alles darunter ist völlig normal", so Busch

Die Gedankenspirale durchbrechen

Die Gedanken vieler Menschen kreisen in Krisenzeiten hauptsächlich um ihre Sorgen. Entscheidend ist, diese negative Gedankenspirale zu unterbrechen. "Es hat sich herausgestellt, dass es Menschen deutlich leichter fällt abzuschalten, wenn sie etwas mit ihren Händen machen", erklärt Busch. Das könnte beispielsweise etwas mit Holz, Malen oder Gartenarbeit sein.

Wobei bei letzterer zusätzlich der positive Effekt der Natur dazu kommt. "Die Natur übt eine besonders heilsame Kraft auf unsere Psyche aus", so Busch, "denn wir merken, dass wir in der Natur winzig klein und damit gleichzeitig, dass unsere Probleme meist eigentlich unwichtig sind."

Ins Handeln kommen

Zuversicht kommt durch Handeln. Daher ist es laut Busch einer der größten Fehler, sich auf die Couch zu legen und einzureden, es sei ohnehin alles egal. "Der Mensch muss rausgehen und machen. Dafür ist er geschaffen", erklärt der Psychiater. "Nur wenn man einen Menschen dazu befähigt, etwas zu tun, befreit sich dieser aus dem Klammergriff der Ängste." Wer ausschließlich nachdenke – noch dazu, wenn etliche der Probleme zunächst ohnehin nicht lösbar sind – komme nicht weiter.

Dazu gehört zusätzlich ein anderer, gezielterer Umgang mit Medien. So sollte die Zeit, in der Nachrichten konsumiert werden, klar beschränkt sein. Mehr als zwei Stunden täglicher Nachrichtenkonsum, inklusive Talkshows zu belastenden Themen, würden die psychische Gesundheit deutlich verschlechtern.

Volker Busch ist jedenfalls überzeugt, dass erste Erfolge rasch erreichbar sind. "Diese Symptome sind ja nicht Ausdruck einer biologischen Erkrankung", erklärt der Psychiater. Daher sollten sie sich innerhalb von Tagen bis Wochen bessern. Oft reiche es schon, wieder gut zu schlafen und ausgeruht zu sein. Oder aber man trifft beim Ausprobieren neuer Tätigkeiten sogar inspirierende Menschen und entdeckt ein neues Hobby für sich.

In seinem Buch "Kopf hoch"* erklärt Volker Busch, wie wir unser mentales Immunsystem stärken und aus der negativen Gedankenspirale ausbrechen können.

Dieser Beitrag erschien ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 11/2024.

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