Zum Betteln gezwungen? Was wirklich
hinter dem Mythos "Bettelbanden" steckt

Kriminalist: Zu über 50 Prozent gibt es Hintermänner Bettellobby: "Betteln ist für viele die einzige Chance"

Zum Betteln gezwungen? Was wirklich
hinter dem Mythos "Bettelbanden" steckt

"Etwas zu geben ist nicht gut, denn das kommt fast nie zu hundert Prozent dieser Person zugute", ist Oberst Gerald Tatzgern, Leiter der Zentralstelle zur Bekämpfung der Schlepperkriminalität am Bundeskriminalamt überzeugt. Seine jahrelange Erfahrung hat ihn eines gelehrt: Aus Selbstzweck betteln nur die wenigsten. "In über 50 Prozent der Fälle steht jemand dahinter", zieht er Bilanz.

Zum Betteln gezwungen?
Das sieht Ulrike Gladik von der Wiener Bettellobby völlig anders: "Für viele Menschen ist das die einzige Chance die Armut zu überbrücken. Für sie ist es immer noch besser hier zu betteln, als in Rumänien zu verhungern. Sie kommen zu uns, weil das Sozialsystem dort nicht funktioniert". Die Filmemacherin hat jahrelang über die Schicksale der Familien recherchiert und sie auch in ihre Heimat begleitet. So auch die 34-Jährige bulgarische Bettlerin Natasha, deren Leben sie im Zuge eines Dokumentarfilms schildert. Zum Betteln gezwungen wurde sie nicht, genauso wenig wie viele andere, betont Gladik.

Über Hintermänner und kriminelle Machenschaften
Und was ist mit den oft zitierten kriminellen Hintermännern? Anfang September 2010 gelang der Polizei ein großer Schlag gegen eine Bande aus Rumänien, die rund 80 Personen nach Wien brachte und hier betteln schickte. Für 16 Verdächtige klickten die Handschellen. Die Bettler, allesamt Roma, waren zumeist betagte oder behinderte Personen. Sie mussten selbst im Winter stundenlang in der Kälte stehen, schildert Tatzgern die Umstände. Zwischen 50 und 80 Euro am Tag sollten sie erbetteln. Wer das nicht schaffte, dem drohten Repressalien. Sie wurden geprügelt, getreten und die Haare wurden ihnen ausgerissen. Über Nacht schliefen bis zu 40 Personen auf engstem Raum in einer kleinen Wohnung. Ein Aufpasser übernahm die Führung über rund 20 Personen. "Im Monat flossen Gelder in einer Höhe von 20.000 bis 30.000 Euro", betont der Kriminalist.

Das System der Banden ist ausgeklügelt, beschreibt Tatzgern die Machenschaften der Drahtzieher: Ein Transporteur bringt die Menschen mit seinem Fahrzeug nach Wien und kassiert dafür ab. Dann teilen die Aufpasser die Leute auf die Bezirke und Gebiete auf. Diese kassieren erneut ab. Und alles ist genauestens durchgeplant. Im Fall der rumänischen Bande, gab es einen geregelten Modus, erzählt der Experte. Es war genau festgelegt, welcher Bettler wo eingesetzt wurde, ob er stehen oder im Rollstuhl sitzen sollte und welche Tafel er in die Hand bekommt. Diese Personen werden von den kriminellen Hintermännern gezielt ausgewählt. Viele sind körperlich behindert und alle entstammen der untersten sozialen Schicht. "Damit sie auch Opfer bleiben und sich nicht trauen eine Aussage zu machen", erläutert Tatzgern. Ein weiteres Problem: Viele sehen sich nicht als Opfer. Rund 50 Euro im Monat durften die Bettler behalten. Das ist immer noch mehr Geld als die meisten in ihrer Heimat je verdienen könnten, fasst der Ermittler abschließend zusammen.

Wie sinnvoll ist das Bettelverbot?
Es gibt sie also doch die Hintermänner? "Derartige Fälle gibt es vielleicht vereinzelt, aber ich habe die Menschen jahrelang begleitet und nichts dergleichen gefunden. Auch die Polizei konnte in den Jahren davor keinen konkreten Fall nennen", hält Gladik dagegen.

Wenn jemand Geld für eine Fahrt oder ein Quartier verlangt, steckt dahinter nicht automatisch eine kriminelle Organisation, ist sie sich sicher. Meistens schließen sich Familien, Nachbarn und Freunde zusammen, um gemeinsam zum Betteln nach Österreich zu fahren. "Das ist dann mehr wie eine Arbeitsgemeinschaft", unterstreicht sie und geht noch einen Schritt weiter: "Die Bettellobby ist grundsätzlich gegen alle Bettelverbote". Damit würden laut Gladik keine Probleme gelöst, im Gegenteil. "Durch das Bettelverbot denken viele, die sind doch alle kriminell. Und genau das ist vollkommen falsch. Wenn Leute wirklich zum Betteln gezwungen werden, fällt das unter Menschenhandel und ist ohnehin strafbar", erklärt Gladik. Es wäre wesentlich sinnvoller die Sozialleistungen EU-weit auf eine ähnliche Ebene anzuheben, sodass ein Pensionist oder eine behinderte Person auch wirklich von den erhaltenen Bezügen leben kann, fordert die Lobbyistin.

Seit Juni 2010 ist das gewerbsmäßige Betteln in Wien verboten. Weniger Bettler gibt es dadurch in der Hauptstadt bisher nicht, trotz Strafen. Wer sich durch Bettelei fortlaufende Einnahmen verschafft, dem drohen bis zu 700 Euro Geldstrafe oder ersatzweise eine Woche Haft. Bis August 2010 sind 678 Strafverfahren registriert, um rund 120 mehr als im Vorjahr, sagt Wiens Sicherheitspolizei-Chef Peter Goldgruber. "Es ist immer ein Auf und Ab. Insgesamt ist derzeit das Betteln in den Fußgängerzonen rückläufig, dafür hat das Betteln an anderen Stellen, wie zum Beispiel in den U-Bahn-Stationen, zugenommen", analysiert Goldgruber die Lage.

Carina Pachner

Kommentare

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Zum Betteln gezwungen Der Staat macht viel zu viel Geschichten mit Ausländischen
Bettlern. Einzige Konsequenz ; einsammeln und abschieben
aber mit der Bahn im geschloßenem Wagon

ma.li melden

Re: Zum Betteln gezwungen bäh, klingt irgendwie nach anno dazumal. allerdings: ich bin auch für ausweisung, harte und wirklich unmissverständliche strafen für die hintermänner plus: hilfe zur selbsthilfe. die regierungen in bukarest und sofia müssen unter androhnung von sanktionen endlich zum umdenken bewegt werden - weniger korruption, mehr wirtschaftsaufschwung.

das ist ein gesamtgesellschaftliches problem, wir alle sind gefragt!

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