Liebe und Partnerschaft im 21. Jahrhundert
Liebe und Partnerschaft bedeuten heute für viele Menschen etwas fundamental anderes als noch in den 1950er Jahren. Die beruflichen und privaten Lebenswirklichkeiten von Frauen und Männern haben sich seitdem genauso tiefgreifend verändert wie Geschlechtsrollen, Motive für die Partnerwahl und Erwartungen an eine erfüllende Beziehung. Die klassische Kernfamilie hat als Modell zwar keineswegs ausgedient, gilt aber längst nicht mehr als das einzig erstrebenswerte Lebensmodell. Die Soziologin Eva Illouz ging vor Kurzem sogar so weit, die "große" Liebe im traditionellen Sinn für überholt zu erklären. Um diese steile These zu prüfen und die derzeitigen rasanten Wandlungsprozesse in den Blick zu nehmen, muss man allerdings gar nicht so weit in die Vergangenheit schauen. Allein in den letzten fünfzehn Jahren hat sich in Sachen Dating und Partnerschaft derart viel verändert, dass es sich lohnt, einen Moment lang inne zu halten und sich genauer umzusehen.
Familie heute: Die neue Unübersichtlichkeit
Auch wenn Serien wie die "Bill Cosby Show" oder "Eine schrecklich nette Familie" seinerzeit durchaus originell und mutig waren und mit gängigen Klischees brachen, hatten sie doch eines gemeinsam: Die dargestellten Familien entsprachen weitestgehend dem Modell der klassischen Kernfamilie bestehend aus Mutter, Vater und den gemeinsamen Kindern. In der im Jahr 2009 im US-amerikanischen Fernsehen angelaufenen Serie "Modern Family", die auch in Deutschland erfolgreich ist, hat dagegen Pluralität Einzug gehalten: Neben dem klassischen Modell, dem Ehepaar mit seinen drei Kindern, wird hier auch das turbulente Zusammenleben eines Paars portraitiert, das altersmäßig sehr weit auseinander liegt, und die Beziehung eines schwulen Pärchens, das gemeinsam ein Kind aus Asien adoptiert. Serien wie diese, die zwar aus den USA stammen, den deutschen Markt aber im Sturm erobert haben, spiegeln gesellschaftliche Familienbilder und Rollenerwartungen wider und nehmen ihrerseits Einfluss auf diese kollektiven Vorstellungen. An ihnen sind die neuen Freiheiten abzulesen, die wir in der Gegenwart in Sachen Liebe und Partnerschaft errungen haben, die Freiheit, zu lieben, wen wir wollen, auf die Art, auf die wir es wollen. Sie zeigen aber auch die Schattenseiten dieses Prozesses: Den Verlust der Eindeutigkeit, der klaren handlungsleitenden Orientierungen, Überforderung und Unübersichtlichkeit. Die Auswahl dessen, was wir sein und wie wir leben können, zwingt uns zu Entscheidungen, die frühere Generationen nicht treffen konnten, aber auch nicht treffen mussten.
Singles, Mingles und polyamoröse Paare
Aber nicht nur im Bereich der Familie und des Zusammenlebens haben sich in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten solche neue Lebens- und Liebesformen entwickelt, die den Einzelnen vor neue Wahlmöglichkeiten stellen.
Inzwischen gibt es beispielsweise nicht mehr nur Singles und Vergebene, sondern auch den neuen Beziehungstyp des sogenannten "Mingles". Dieser Begriff setzt sich zusammen aus "mixed" und "Single". Dabei handelt es sich um Beziehungen in der Schwebe, die zwar einerseits mehr sind als bloße Affären, aber andererseits keine festen und exklusiven Partnerschaften, im Rahmen derer man eine gemeinsame Zukunft planen würde. Laut einer repräsentativen Studie von Parship.at, nach eigenen Angaben Österreichs größter Partneragentur, waren im Sommer 2014 immerhin 5 % der Befragten zwischen 18 und 69 solche "Mingles" - die Tendenz ist allem Anschein nach steigend. Passend dazu berichtete beispielsweise die Psychologin Wiebke Neberich von eDarling, dass im Rahmen einer Studie viele Befragte gar nicht mehr angeben konnten, ob sie nun Singles seien oder sich in einer Beziehung befänden.
Ihnen gegenüber haben Personen in sogenannten polyamorösen Beziehungen einen klaren Vorteil: Sie wissen, dass sie in festen Händen sind, und zwar gleich in denen mehrerer Partnerinnen und/oder Partner, mit denen sie zum Teil sogar zusammenleben und gemeinsam Kinder aufziehen. Polyamoröse Menschen nehmen für sich in Anspruch, nicht nur eine Person lieben zu können und lieben zu wollen, sondern verschiedene. Dafür nehmen sie Probleme in Kauf, die sich aus Eifersucht und Unsicherheit gegenüber dem Partner ergeben können.
Dating 2.0
Einen besonders großen Einfluss auf das Beziehungsverhalten vieler Menschen haben dabei in den vergangenen Jahren die Möglichkeiten des Internets genommen, die die beschriebenen Entwicklungen verstärken. Die Online-Partnersuche erfährt dabei laut der bereits angesprochenen Studie von Parship.at eine immer größere Akzeptanz, 63% aller befragten Österreicherinnen und Österreicher zwischen 18 und 69 suchen inzwischen im Internet nach einem Date für einen Abend oder einem Partner zum Heiraten und zur Familiengründung. Dabei ist zwischen Partnerbörsen wie Parship, ElitePartner oder eDarling und Portalen für ein schnelles, unverbindliches und vor allem auf sexuellen Kontakt fokussiertes Kennenlernen mithilfe von Seiten wie Joyclub.de oder Apps wie Tinder zu unterscheiden. Wer sich auf das Spiel des Online-Datings einlässt, sollte sich deshalb auch von vornherein sehr genau überlegen, was er oder sie sucht: Jemanden fürs Bett oder jemanden fürs Leben.
Im Rahmen der Parship-Studie waren es dabei immerhin 64 % der befragten Männern und Frauen zwischen 18 und 69, die sich eine fixe Partnerschaft wünschten und vom ewigen Dating die Nase voll hatten. Vom Internet-Dating versprachen sie sich dabei vor allem die Chance, verschiedene Personen gleichzeitig kennen lernen, eine selektive Vorauswahl treffen und einen schrittweisen Kontakt aufbauen zu können, ohne dabei die eigene Anonymität sofort aufgeben zu müssen. Über getippte Nachrichten, ausgetauschte Fotos, Telefongespräche und Cam-Chats mit Skype lernen die Flirtenden einander hierbei mehr oder weniger intensiv kennen, bevor es zu einem ersten Treffen von Angesicht zu Angesicht kommt.
Zwischen neuen Freiheiten und altbekannter Einsamkeit
Wie sind die gegenwärtigen Entwicklungen im Bereich der Liebe und der Partnerschaft zu bewerten? Hat Eva Illouz Recht damit, dass wir heute zwar viele neue Freiheiten genießen und uns auch in Liebesdingen stärker individuell entfalten können, zugleich aber etwas sehr Wichtiges unwiederbringlich verloren haben? Ist die "große" Liebe in Zeiten von Skype und Facebook, von Singles und Mingles wirklich überholt oder gar tot?
Zumindest als Versprechen und als Hoffnung existiert sie noch. Vielleicht war ihr Geheimnis immer schon, dass sie sich nicht einfach finden lässt, sondern dass im Rahmen einer Beziehung von allen beteiligten Partnern aktiv an ihr gearbeitet werden muss. Das setzt voraus, dass man sich bewusst füreinander entscheidet, sich zueinander bekennt und nicht heimlich danach schielt, ob nicht vielleicht jemand Interessanteres den eigenen Weg virtuell oder im echten Leben kreuzt. Die neuen Freiheiten, wie wir sie heute haben und in Zukunft haben werden, sind insofern Fluch und Segen zugleich.
Links zum Thema:
Was ist Poliamorie?
Interview mit Eva Illouz
Alle Details zur Parship-Studie