Unter Wölfen

NEWS.AT im Angesicht der "Bestie". Was uns der Wolf über unser Verhalten lehren kann.

Wer hat Angst vorm bösen Wolf? Im Tierpark Ernstbrunn bei Wien kann man der sagenumwobenen "Menschen fressenden Bestie" Auge in Auge gegenüber treten, sie sogar angreifen und streicheln. Kein umgemünztes Dschungelcamp, keine Angsttherapie: Hier lernt man durch den Wolf einiges über sich selbst. Und das soll einen im Arbeitsalltag weiter bringen. Ob das auch wirklich funktioniert? NEWS.AT hat's getestet und sich ins Wolfsgehege gewagt.

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  • Wolf Experience im Wolf Science Center Ernstbrunn
    Bild 1 von 9 © Bild: Wolf Science Center Ernstbrunn

    Ein Management-Seminar der besonderen Art findet im Wolfsforschungscenter in Ernstbrunn statt.
    (Im Bild: Martin Gamper, NEWS.AT)

  • Wolf Experience im Wolf Science Center Ernstbrunn
    Bild 2 von 9 © Bild: Catharina Heindl, NEWS.AT

    Wie funktioniere ich in einem Team? Wenn man in Kontakt mit den Wölfen tritt, kommt die Einsicht ganz von selbst, so Wissenschafter Kotrschal.

Der böse Wolf, die Menschen fressende Bestie: Wir projizieren verschiedenste Ängste auf das Rudeltier. Der Ursprung liegt vermutlich in seiner zentralen Rolle in Mythen, Sagen und Märchen. In Wahrheit gibt es außerordentlich wenige dokumentierte Fälle, in denen Menschen von Wölfen angegriffen wurden. Dennoch fällt eine - zugegebenermaßen hierzulande höchst unwahrscheinliche - zufällige Begegnung mit den Tieren in die Kategorie Alptraum.

Wolf Science Center Ernstbrunn
© Wolf Science Center Ernstbrunn

Wenn der Wolf dein Innerstes widerspiegelt

Diese Ängste aufzulösen, ist nicht Ziel und Zweck des Wolf-Forschungszentrums Ernstbrunn. Vielmehr geht das Team von Wissenschaftlern den Gemeinsamkeiten zwischen Wolf, Hund und Mensch auf den Grund.

Wolf Science Center Ernstbrunn
© Catharina Heindl/NEWS.AT Kurt Kotrschal ist Teil des Rudels geworden

Kurt Kotrschal, Leiter des Wolf Science Centers Ernstbrunn: "Wölfe und Menschen ticken sozial ganz ähnlich. Bei einer Interaktion kommt es zu ganz überraschenden Effekten: Man wird sich plötzlich bewusst, dass es nicht egal ist, mit welcher Einstellung, mit welchen Gefühlen ich in die Situation reingehe. Denn meine Gefühle spiegeln sich in meiner Körpersprache und Mimik wider und darauf reagieren wiederum die Wölfe."

© Video: NEWS.AT

Coaching durch die "Menschenleserin"

Patricia Staniek
© Martin Siebenbrunner

Genau hier setzt "Menschenleserin" Patricia Staniek an. Die ausgebildete Profilerin bietet Managementseminare an – und das mitten unter Wölfen. Bei der "Wolf Experience" kristallisiert sich für sie schnell heraus, wie die Teilnehmer in ihrem Arbeitsalltag ticken. Denn das Verhalten des Menschen wird unverfälscht und emotionsbefreit von den Tieren widergespiegelt.

Wolf Science Center Ernstbrunn
© Catharina Heindl/NEWS.AT

Das passiert bei der "Wolf Experience"

Dabei wird man den Tieren natürlich nicht zum Fraß vorgeworfen. Außer Staniek begleiten die Teilnehmer ausgebildete Experten mit langjähriger Erfahrung ins Gehege der Wölfe. Ehe man sich unter das Rudel wagt, gibt es ein Briefing: Keine Bommeln, Quasten oder Glitzerndes soll man anziehen, heißt es hier beispielsweise. Also nichts, das die Wölfe interessieren könnte. Es empfiehlt sich außerdem, die Taschen zu leeren. Leicht könnte etwas Essbares darin zum Verhängnis werden. Gleichzeitig darf man beruhigt sein: Bisher sind noch alle Teilnehmer der Wolf Experience heil aus dem Gehege wieder herausgekommen.

Leckerli Einstecken verboten

Im Revier der Wölfe angekommen stellt sich zunächst die Frage: Wollen die Tiere überhaupt Kontakt mit den einzelnen Besuchern? Staniek: "Wenn man mit einer bestimmten Erwartungshaltung hineingeht, kriegt man gar nichts." Noch vor Ort könnte hier das erste Coaching beginnen. Die Expertin zeigt auf, wie man sein Verhalten oder seine Einstellung ändern kann, damit die Wölfe mit einem in Kontakt treten. Auch für die Wissenschaftler des Wolfsforschungszentrums ist verblüffend: "Die Einsicht", ergänzt Kotrschal, "kommt im Angesicht der Tiere schnell und ganz von selbst". Auf die Tiere aktiv zuzugehen ist dabei also eher kontraproduktiv. Ebenso dem Wolf den Kopf so richtig durchzuwuscheln, wenn dieser auf einen zugegangen ist.

Das Seminar beinhaltet mehrere Besuche des Rudels mit anschließendem Feedback und Reflektieren. Im Idealfall lernt man dann, sich so zu verhalten, dass man selbstbewusst, sicher, souverän und unter Einhaltung der Kommunikationsregeln mit den Wölfen agiert. Dieses kooperative Verhalten soll man dann auch in seinen Berufsalltag mitnehmen können.

Hinzu kommt das außergewöhnliche emotionale Erlebnis mit dem Tier: "Viele sagen, sie wären bei der Wolf Experience total in der Gegenwart gewesen", freut sich Staniek. "Das sind die Menschen im Arbeitsalltag meistens nicht. Sie schauen zurück, denken an ihre Pläne in der Zukunft und haben dadurch die Präsenz ihren Mitmenschen gegenüber nicht."

Respekt muss man sich verdienen

Schnell wird einem klar: Sowohl für Wölfe als auch Menschen gelten die gleichen Grundregeln. Respekt und gegenseitige Achtung sind die Basis für ein funktionierendes Miteinander. Kotrschal: "Wir zwingen die Tiere keine Dinge zu machen, wo sie vor dem Mensch oder anderen Wölfen das Gesicht verlieren. Ebenso muss man mit einem Mitarbeiter so umgehen, dass er sich wertgeschätzt fühlt."

»"Homo homini lupus est." Der Mensch ist ein Wolf für den Menschen. (Thomas Hobbes) «
Wolf Science Center Ernstbrunn
© Catharina Heindl/NEWS.AT

Das sagt NEWS.AT

Für satte 1.690,- Euro pro Person ist die Wolf Experience leider nicht für jeden leistbar. Dennoch ist sie jedem zu empfehlen. Ein ehrlicheres Feedback als von den sozial überaus intelligenten und aufmerksamen Tieren bekommt man nirgendwo. Schon die Begegnung mit einem Wolf ist ein zugleich surrealer und sehr emotionaler Moment, der den Preis einfach wert ist. Wie so oft bei Erlebnissen in der Natur, gerade bei jenen der aufregenden oder gefährlichen Art, gibt es ein Aha-Erlebnis. Zusammenhänge werden einem mit einem Mal klar - und helfen auch im alltäglichen sozialen Umfeld weiter. Frei nach dem Motto: Es ist einfacher, als man denkt.

Weiterführende Links:

Management Pilots bietet die einzigartige "Wolf Experience" an
Im Wolf Science Center Ernstbrunn kann man die Forscher mit Spenden, Sponsering und Patenschaften unterstützen. Außerdem kann man sich für eine ehrenamtliche Mitarbeit oder ein Praktikum bewerben.

Kommentare

Interessanter Artikel ! Nur warum wird der Wolf immer wieder als "Bestie" betitelt. Von Wölfen fasziniert, bin ich mehrmals auf den Hinweis gestoßen, dass der Wolf in seinem sozialen Verhalten sehr viel mit dem Menschen gemeinsam hat. Den täglichen medialen Schlagzeilen zu entnehmen, scheint der Mensch der "Bestie" Wolf den Rang abzulaufen. Vor wem sollten wir uns also mehr fürchten?

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