Wie die Österreicher
wohnen wollen

Immer mehr Österreich bauen ihr eigenes Häuschen im Grünen.

80 Prozent der Österreicher träumen vom Einfamilienhaus im Grünen. Doch was für viele die ideale Wohnform ist, wird gesellschaftlich zunehmend zum Problem.

von Wohnen - Wie die Österreicher
wohnen wollen © Bild: Shutterstock

Einige kleine Häuser mit Gärten, aneinandergereiht in einer überschaubaren Siedlung. In der Mitte liegt ein schilfbewachsener Teich, über den eine romantische Holzbrücke führt. Wer hätte gedacht, dass sich so eine Idylle nur wenige Autominuten vor Wien befindet? Mit Bus und Straßenbahn ist sie nur schwer erreichbar, aber es kommt ohnehin kaum jemand öffentlich her. Schon weil man dann nicht die Garagen probenutzen könnte. Die kann man auch gleich kaufen, so wie jedes der 107 Häuser. Denn was wie ein Wohnparadies wirkt, ist in Wahrheit eine Ausstellung: Die "Blaue Lagune" in Vösendorf ist Europas größtes Fertighauszentrum. Hier kann man Wohndomizile besichtigen, sich testhalber auf den Balkon setzen und über Finanzierungsoptionen sprechen.

Blaue Lagune
© Blaue Lagune/www.aircolor.at Die "Blaue Lagune" in Vösendorf
Blaue Lagune
© Bill Lorenz/Blaue Lagune Der Teich der "Blauen Lagune"

Umrandet von Triester Straße und Südautobahn, begrenzt von einem gigantischen roten Sessel, der für ein Möbelhaus wirbt, und der Shopping City Süd, wirkt die "Blaue Lagune" wie ein beschauliches Dorf. Mitten im Wiener Umland, wo Einfamilienhäuser, Einkaufszentren und mehrspurige Einfallstraßen eine Landschaft geschaffen haben, die das Gefühl vermittelt, dass die Stadt nie aufhört, aber auch nie anfängt. Es fehlt das Zentrum, das die Stadt anzeigt, zugleich aber ist alles zu dicht verbaut, um Land zu sein. Die meisten Menschen in Österreich leben in diesem Zwischenbereich zwischen Land und Stadt. Der Traum vom Eigenheim hat die Landschaften geformt; jeden Tag wird österreichweit mehr als 20 Hektar Grund, das entspricht der Fläche der Shopping City Süd, verbaut, um den Traum weiter zu ermöglichen. Das führt zu immer längeren Verkehrswegen, 53 Prozent der Erwerbstätigen müssen pendeln.

Traum vom Einfamilienhaus

Mehr als 1,4 Millionen Einfamilienhäuser gibt es in Österreich. In ihnen leben 40 Prozent der Bevölkerung. Laut allen Umfragen ist das Einfamilienhaus der Wohntraum der Österreicher. Von Krise ist dabei wenig zu spüren. Ein neu errichtetes Einfamilienhaus hat durchschnittlich die stattliche Fläche von 300 Quadratmetern bebauter Fläche. Von 2008 bis 2012 ist es 41 Quadratmeter größer geworden, schreibt der "ZiB 1"-Moderator und Autor Tarek Leitner in seinem Buch "Wo leben wir denn?". Leitner ist ein Kritiker unserer Wohn-und Lebensweise. "Wir glauben, dass das Einfamilienhaus die typische Wohnform ist, dabei gibt es das erst seit den 1960er-Jahren. Es sind gerade einmal zwei Generationen, die so leben", sagt er. Er kritisiert den Umgang mit der Umgebung. Dass wir achtlos alles zubauen und über Fragen der Ästhetik und des guten Wohnens wenig Gedanken machen.

Laut Umfragen träumen bis zu 80 Prozent der Österreicher vom frei stehenden Einfamilienhaus im Grünen mit einem großen Garten. Dafür gibt es Gründe. "Man kann sich in so einem Haus gut entfalten und hat einen sehr großen Gestaltungsraum", sagt Wohnpsychologe Harald Deinsberger-Deinsweger. Man kann als Heimwerker selbst immer weiter das Haus verbessern, einen Garten pflegen und ist mit Kindern schnell in der Natur. Doch je mehr Menschen sich den Wunsch erfüllen, desto weiter werden die Wege. Die Folge ist Zersiedelung; Ortschaften, die viel Platz brauchen und Kommunen im Erhalt und der Errichtung der Infrastruktur viel Geld kosten. Um diese Siedlungen siedeln sich Einkaufszentren an, Ortskerne veröden.

In Bayern sind Orte wegen strenger Vorschriften eng ums Zentrum besiedelt. In Österreich sind die Häuser weit gestreut, wie man auf Satellitenbildern erkennen kann. Das erklärt, warum wir pro Jahr doppelt so viel Boden verbrauchen wie die Deutschen. Die Hagelversicherung kritisiert die Zersiedelung schon lange. "83 Prozent der Österreicher lehnen laut einer Umfrage diese Verschandelung der Landschaft ab", sagt deren Direktor Kurt Weinberger. Das ändert aber nichts an der Dynamik. In den letzten 50 Jahren wurde eine Fläche gleich jener Vorarlbergs zugebaut.

Die vielen, die sich das Wohnen im Grünen erfüllen, führen in Summe zu immer weniger Grün. Die Kosten für Infrastruktur und Instandhaltung steigen. In zugebauten Böden kann zudem Regenwasser nicht abrinnen, Überschwemmungen häufen sich. Das Problem ist bekannt, doch die politischen Fragestellungen, die es verursachen, sind ungelöst. Für Raumplanung sind Länder und Gemeinden zuständig. Auf den Bürgermeistern lastet der Druck, lokalen Wünschen nachzugeben, die Länder nutzen ihre Planungskompetenz zu wenig. Vor Jahrzehnten gewidmetes Bauland wird gehortet und zwingt Neuankömmlinge an den Ortsrand. Also wird in die grüne Wiese gebaut. Mit Pendlerpauschale und Wohnbauförderung wird das noch gefördert.

»Je mehr wir auseinanderfließen, desto mehr verarmen wir in unseren Beziehungen«

Für eine Gegenentwicklung steht die grüne Salzburger Planungslandesrätin Astrid Rössler. Zu Amtsantritt verkündete sie, dass in Zukunft in Salzburg keine Einfamilienhäuser mit 2000 Quadratmeter Grund mehr gewidmet würden. Die Wohneinheiten müssten kleiner werden und näher beieinanderliegen. Später legte sie fest, dass in Salzburg, Österreichs Spitzenreiter bei Verkaufsflächen, keine weiteren Flächen mehr genehmigt werden. "Für mich ist das eine gesellschaftspolitische Frage. Je mehr wir auseinanderfließen, desto mehr verarmen wir in unseren Beziehungen", sagt Rössler. Sie will die Ortszentren wieder beleben.

»Im Einfamilienhaus müsste eigentlich eine Person zu Hause bleiben, sonst ist das überfordernd«

Doch die Häuslbauer treffen ihre Entscheidungen nicht immer durchdacht. "Jede Wohnform hat Vor-und Nachteile, auch das Einfamilienhaus hat ganz klare Defizite", sagt Wohnpsychologe Deinsberger-Deinsweger. Zum Vorteil eines hohen Gestaltungsspielraums komme der Nachteil, dass der Lebensraum stark auf das eigene Grundstück beschränkt sei. Oft würde unterschätzt, wie wenig Kontakt man mit den Nachbarn in der Siedlung hat. Wo sich im Ort Geschäfte und Cafés abwechseln, gibt es dort nur Hecken und Zäune. "Vom eigenen Garten lassen sich vielleicht hundert Quadratmeter effektiv nützen. Alles, was darüber geht, kann schnell zur Belastung werden", sagt Deinsberger-Deinsweger. Das bestätigt auch Wohncoach Herbert Reichl. "Im Einfamilienhaus müsste eigentlich eine Person zu Hause bleiben, sonst ist das überfordernd", sagt er.

Wohnen mit Defiziten

Heutige Lebensformen passen nicht mehr zu dieser Wohnform. Beide Partner sind berufstätig, Ehen halten nicht, Kinder ziehen weg, im Alter droht Vereinsamung. "Es fällt uns schwer, uns in andere Lebenssituationen, beispielsweise von Kindern oder dem Alter, hineinzudenken", sagt Reichl. Idealerweise müsse man Häuser so planen, dass sich zwei Wohnbereiche abtrennen lassen. Denn Häuser, die den Bewohnern zu groß wurden, sind ein Massenphänomen. Wohnprojekte, die auf veränderte Wohnbedürfnisse eingehen, gibt es hingegen wenige.

Reichl hält viel von gemeinschaftlichem Bauen in sogenannten Baugruppen. Robert Temel gründete die "Initiative für gemeinschaftliches Bauen". Die Idee ist, die Vorteile der Stadt und des Einfamilienhauses zusammenzubringen. Man schließt sich zusammen, setzt gemeinsam ein Projekt um. Der Einzelne verzichtet auf großen eigenen Grund und bekommt dafür Gemeinschaftsflächen. Wenn sich die Wohnbedürfnisse verändern, kann man untereinander tauschen. "Es gibt mehr Begegnungen, die Projekte haben oft eine hohe Wohnzufriedenheit", sagt Temel. Baugruppen hätten das Potenzial, Leute in den Städten zu halten, die sonst den Speckgürtel zersiedeln würden. Doch noch sind diese Initiativen selten.

Die Flucht aufs Land hat viele Gründe. Städter werden von teuren Mieten und fehlendem Bauland an den Stadtrand gedrängt, zudem verlieren die Städte ihr Gesicht. Das Mietrecht gibt Bauherren einen Anreiz, alte Häuser abzureißen und durch Neubauten zu ersetzen. Dort können sie die Miete frei festsetzen. 170 Gründerzeitbauten verschwinden so jährlich. "Das Mietrecht legt es Eigentümern nahe, Gründerzeithäuser entweder in Eigentum umzuwandeln oder abzureißen", sagt Markus Landerer von der Initiative Denkmalschutz. Städte verlieren so an Lebendigkeit und Reiz. Er fordert, dass Altbauten rechtlich nicht benachteiligt werden dürfen. Über eine Reform des Mietrechts verhandeln SPÖ und ÖVP gerade. Ein Ergebnis scheiterte zuletzt, weil die SPÖ für befristete Verträge niedrigere Mieten forderte.

Die ÖVP lehnte das ab. Karl Wurm, Obmann der gemeinnützigen Wohnbauträger, spricht ein anderes Problem an. "Die Grundpreise sind gestiegen, die Reallöhne gesunken, die Konsumenten können sich das nicht mehr leisten", sagt er und fordert, bei Vorschriften und Verfahrensdauern anzusetzen. Man müsse stärker in Regionen denken, beispielsweise in Wien und Umgebung gemeinsam Projekte umsetzen.

Die Probleme von Stadt und Land beim Wohnen hängen eng zusammen. Städten fehlt es an Bauflächen, am Land wurde lange zu großzügig gewidmet. "Wir können eine Stadt in der klassischen Form nicht mehr wachsen lassen, das schaffen wir seit 1950 nicht mehr", sagt "ZiB 1"-Mann Tarek Leitner. Die Folge sei, dass auch Städte zersiedeln. Leitner empfiehlt, wieder in kleineren Einheiten zu entwickeln. Das gilt auch für das Land, wo man sich auf die Ortskerne besinnen muss. Zaghaft beginnt sich etwas zu ändern. Die Initiative "Landluft" fördert innovative Baukultur am Land. Gemeinden wie Lustenau in Vorarlberg, die die Ortszentren beleben und auf hochwertiges Bauen setzen, werden regelmäßig ausgezeichnet.

»Die Zersiedelung zu stoppen ist für uns ein Überlebenskampf«

In Niederösterreich beweist Krummnußbaum, dass man etwas gegen Zersiedelung tun kann. Lange entwickelte sich auch der 1500-Einwohner-Ort an der Donau in die falsche Richtung: Neue Bewohner bauten ihre Einfamilienhäuser am Ortsrand, auf 1000 Quadratmetern Grund. Das zog den Ort in die Länge. Die zusätzlichen Straßen und Kanäle kommen der Gemeinde teuer. Für die Einwohner hingegen wurden die Distanzen länger. Und wer sich für den Supermarkt ins Auto setzen muss, fährt womöglich gleich in die Nachbarstadt, Geschäften im Ort fehlt Kundschaft. "Die Zersiedelung zu stoppen ist für uns ein Überlebenskampf", sagt Bürgermeister Bernhard Kerndler von der ÖVP. Sein Team ging auf Besitzer unbenützter Flächen im Ortskern zu und bat sie, zu verkaufen. Mit Erfolg: Auf einer der Flächen werden nun etwa platzsparend Reihenhäuser gebaut. 2015 bekam die Gemeinde für ihr Konzept den Mobilitätspreis.

Bauen ist meist die größte finanzielle Entscheidung, die man im Leben trifft. Wir wollen unseren Nachbarn begegnen können, sehnen uns nach einer belebten und ansprechenden Umgebung. Doch wenn wir weiterhin zu unbedacht bauen, kriegen wir nicht den Wohntraum aus der "Blauen Lagune", sondern das, was eigentlich niemand will: unbelebte Schlafstädte.

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