24 Stunden – radikal und intensiv

Jan Fabre zeigte seine 24-Stunden-Produktion "Mount Olympus" bei Wiener Festwochen

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Mount Olympus © Bild: Wonge Bergmann

Das Schauspiel beginnt um 19:49 Uhr. Ein Orakel verkündet üble Zeiten. Dionysos, der Gott des Weines, der Freude und der Ausschweifung, schlägt den Auftakt. Der Kult der Tragödie soll zelebriert werden. Und so heißt das Stück auch im Untertitel: "To Glorify the Cult of Tragedy". In vierzehn Kapiteln führt Jan Fabre in einzelnen Szenen durch die Welt der griechischen Götter. Er erzählt von Ödipus, Antigone, Herakles, Phaidra, Medea, Philoktet und vielen anderen. Diese Methode wurde bereits bei Shakespeare-Stücken angewandt. "Shakespeare abrigded" (verkürzt) führte durch dessen Kontinent.

Mount Olympus
© Wonge Bergmann

Doch Fabre geht es nicht nur darum, einen Querschnitt der griechischen Götterwelt zu zeigen. Er zeigt Krieg, Zerstörung, ein Universum menschlicher Verfasstheiten, Befindlichkeiten, Tragödien und versetzt das Geschehen mitunter immer wieder mit humoresken Einlagen und idyllischen Szenen wie etwa dem "Bio-Wald" des Dionysos. Diese aber kippen jäh in archaische, radikale Brutalität, ins Tragische um. Gearbeitet wird mit Mitteln des Theaters, des Tanzes und der Performance-Kunst. Und das auf höchstem Niveau. Die Bühne ist mit acht Tischen ausgestattet. Mehr braucht der fabelhafte Theatermacher nicht. Jede Szene, jeder Tanzschritt, jede Falte der weißen Umhänge der Darsteller scheint wie auf dem Reißbrett präzise geplant. Szenen und Sätze werden in den Kapiteln wiederholt und erschließen damit ihren Sinn. Auch Phasen der Erschöpfung hat Fabre eingeplant. "Traumzeiten" nennt er die drei Pausen. Während dieser ruhen die Darsteller in Schlafsäcken auf der Bühne. Für Publikum sind Feldbetten bereitgestellt.

Einprägsame Bilder

Kapitel eins erzählt von Eteokles, der aus dem inzestuösem Verhältnis von Ödipus und dessen Mutter Iokaste stammt. Wie in einem amerikanischen Lager werden Soldaten gedrillt. Fast 25 Minuten müssen die Darsteller im Rhythmus Schnurspringen. Dazu sprechen einprägsame Sätze. Ein Eislutscher dient den noch lange nicht erschöpften Darstellern als Labsal.

Mount Olympus
© Wonge Bergmann

Das ist nur eine jener Szenen, die sich einprägen werden und davon gibt es viele: Etwa wenn Frauen aus ihren weißen Gewändern eine echte Leber (ob vom Schwein oder vom Rind, wird nicht erklärt) ziehen und in einem Wasserkelch waschen, oder wenn ein Krieger mit einer Eisenkette minutenlang um sich schlägt, ein "stotternder Chor ohne Augen und Münder" auftritt oder zu nächtlicher Stunde, zwischen drei und vier Uhr Phaidra ihren Monolog herauswürgt, und der immer wiederkehrende Dionysos, dem Andrew Van Ostade seine imposante Gestalt verleiht.

Hochleistung des Ensembles

Alle diese Szenen und Bilder leben von der überwältigenden Darstellungskraft des Ensembles. Was diese 29 Tänzer und Schauspieler leisten, ist nicht zu fassen. Oft sind sie mehr als 20 Minuten in Bewegung. Tanzen, ringen miteinander, nachdem sie ihre Körper in Öl gewaschen haben, arbeiten mit jedem einzelnen Muskel. Perfomances anderer Künstler, wie "Interior Scroll" (1975) der amerikanischen Künstlerin Carolee Schneemann, werden zitiert. Darstellerinnen ziehen einen Fäden aus Körperöffnungen und agieren damit wie die Nornen in Richard Wagners "Götterdämmerung", die in die Zukunft sehen. Jeden und jede möchte man aus diesem famosen Ensemble einzeln würdigen. Zu den herausragendsten Erscheinungen neben dem Darsteller des Dionysos Andrew Van Ostade, zählt Antony Rizzi. Der amerikanische Tänzer war bereits in den letzten Jahren beim Festival "Impulstanz" zu erleben. Auch wenn er keine großen Solo-Auftritte bei Fabre hat, fällt er mit seinen intensiven, exakten Bewegungen und seinem Minenspiel auf.

Mount Olympus
© Wonge Bergmann

Für einen Höhepunkt sorgt der gebürtige Bretone Cédric Charron mit Philoktets Schmerzensmonolog.

Erschöpfung und Ausnahmezustand

Nach besten Mitteln des Performance-Theaters überschütten die Darsteller einander mit Farben, tanzen und bereiten den Auftritt des Dionysos vor. Auch hier scheint es, als wäre jeder Farbtupfer auf Fabres Reißbrett geplant. Das Spektakel endet präzise um 19:49 Uhr, genau 24 Stunden nach Beginn, mit einem großen Fest.

Was in vielen Szenen berührt, erstaunt, fasziniert, sogar Ärger und Unmut ausgelöst hat, fügt sich am Ende wundersam in ein großes Ganzes. Theater-Erlebnisse wie diese bescheren einen Ausnahmezustand und das ist essentiell für Festspiele wie die Wiener Festwochen.

Mount Olympus
© Wonge Bergmann

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