Google den Borkman

Simon Stone inszeniert "John Gabriel Borkman" von Henrik Ibsen

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John Gabriel Borkman | Henrik Ibsen | Akademietheater © Bild: Reinhard Maximilian Werner

Es schneit und daran ändert sich während der zwei Stunden dauernden Vorstellung nichts. Katrin Bracks Bühne ist dunkel, öde, Requisiten und Schauspieler sind unter der Schneedecke verborgen, werden hervorgeholt, rappeln sich hoch, wenn sie dran sind. Die ersten sind Gunhild Borkman (Birgit Minichmayr) und Caroline Peters (Ella Rentheim). Und da wird einmal klar gemacht, worum es geht. Man lebt in der Zeit von Google und Facebook, mit der Therapeutin verkehrt man über Skype, mit der Astrologin über SMS und geshoppt wird nur noch im Internet. Und genau das ist das Problem, denn dort bleibt für immer festgeschrieben, was einmal war. Die Schmach, die man erlitten hat, als Polizei und Paparazzi das Haus stürmten, um den Betrüger Borkman festzunehmen, sind in den Archiven von Google festgeschrieben. „So wie Google funktioniert, kann man die Vergangenheit nicht auslöschen, die Vergangenheit bleibt da drin und je mehr Leute deinen Namen eingeben, desto stärker beißt sie sich fest“, sagt Gunhild zu ihrer sterbenkranken Zwillingsschwester Ella. Und versteht man, warum es notwendig war, dass Simon Stone Ibsens Text durch seinen ersetzt hat. Scharf, klar und schmerzlich zeichnet das Elend der Borkmans.

Borkman (Martin Wuttke) ist eine Mischung aus altem Rocker und Wurzelsepp quert er die Bühne, zieht Furchen durch den Schnee. Stundenlang könnte man diesem Schauspieler zuschauen, wie er wütet, nur mit einer Veränderung des Blicks den visionären Träumer oder den Verlorenen gibt. Allein, wenn er ein Sandwiche kritisiert und so tut, als würde er nach etwas Wichtigem suchen, dann aber nur sagt: „Ich will nichts anderes, ich will mehr Senf“, klingt das, als wäre in diesem schlichten Satz der ganze Weltschmerz drin. Der Senf als Symbol für alles, was ihm im Leben fehlt. Bravo Wuttke!

Großartiges Schauspielertheater zeigen Birgit Minichmayr und Caroline Peters. Wie eine Koloraturarie wirken die Wortkaskaden, die Minichmayr auf Caroline Peters loslässt. Exzellent, was zwischen diesen beiden Schauspielerinnen entsteht. Fulminant wirkt Minichmayr auch als hysterisch-fürsorgliche Mutter, die ihren Sohn Erhart (Max Rothbart) nicht an seine Geliebte Fanny Wilton (Nicola Krisch) verlieren will. Das perfekte Pendant dazu gibt Peters. Sie ist die klammernde Tante, die ihr Ziehkind, für das sie gesorgt hat, als der Vater im Gefängnis und die Mutter betrunken war, nicht ziehen lassen will. Und der Sohn strampelt um seine Freiheit, will sich sein eigenes Leben aufbauen. Das klingt alltäglich, vielleicht sogar banal, aber wie in der Wirklichkeit. Das ist gelebtes Theater. Wäre das der „Senf“, der immer rarer im Theater wird, dann möchte man nur noch mit Borkman sagen: „Ich will mehr Senf.“

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