Parov Stelar: "Harte Zeiten
zwingen dich, zu reflektieren"

Österreichs erfolgreichster Popstar Parov Stelar nutzte das Stahlbad einer Krise zum Wachstum: Die EP "Voodoo Sonic" gelang markant. Dass Teflon zum Erfolg ebenso wichtig ist wie Talent, ist eine Erkenntnis

von Weltstar - Parov Stelar: "Harte Zeiten
zwingen dich, zu reflektieren" © Bild: WWW.JANKOHLRUSCH.COM

Der Weltstar aus dem Mühlviertel verschwendet keine Zeit. Zügig findet er bei der Stippvisite in Wien einen Sonnenplatz auf der Hotelterrasse. Bestellt Kaffee, wartet mit offenem Blick auf die erste Frage im News-Gespräch.

500 Millionen Clicks auf YouTube

Man kann sich die Akribie vorstellen, mit der dieser Mann über Jahre hinweg Parov Stelar schuf: Österreichs erfolgreichsten Popstar. Erfinder des Electro-Swings, dessen Videos auf YouTube über 500 Millionen Mal gesehen wurden. Starproduzent mit 200.000 jubelnden Fans beim legendären Coachella-Festival in Kalifornien. Der fast 45-Jährige antwortet umgehend, reflektiert und stets auf den Punkt. Ebenso ökonomisch wie authentisch.

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In Oberösterreich verwurzelt

Dem oberösterreichischen Dialekt konnten der Wohnsitz auf Mallorca und jahrelange Welttourneen nichts anhaben. Im Gegenteil: Die Heimat wurde ihm jüngst wieder wichtiger, erzählt Parov Stelar, gebürtig Marcus Füreder, im Gespräch. Er fliegt nicht gern. Das Herumreisen nervt. "Ich weiß, deppad, dass man dann auf eine Insel zieht", kommentiert er die eigene Entscheidung mit einem Lächeln. Auf Mallorca lebt und arbeitet er mit Ehefrau Barbara, bekannt als Sängerin und Malerin Lilja Bloom, und Sohn Max.

Sein Weg aus der Krise

Die mehr als 1.000 Konzerte, die er in den letzten 15 Jahren rund um den Globus gespielt hat, zwangen den Künstler vor einem Jahr zu einer Pause. Erschöpft vom Druck, den der Erfolg seiner zehn Alben und 20 EPs mit sich gebracht hat, forderten Körper und Geist zwei Monate Bettruhe. Vielleicht der erste Verschnaufer seit dem Durchbruch mit "Kiss-Kiss"(2004) und dem Hype um die Nummer-eins-Alben "The Demon Diaries" (2015) und "The Burning Spider"(2017).

Parov Stelar kam gestärkt zurück. Er erfand sich und seine Electro-Stimmungen neu, interpretiert sie nun satter, schwerer, intensiver. Der Weg dahin war weit. Doch erst die Krise machte das Werk zu einem gelungenen, erklärt er.

Sie haben sich vom Electro- Swing verabschiedet, für den sie bekannt sind. War es schwer, sich von der Erwartungshaltung freizumachen?
Sicher. Wie jeder habe ich Ängste, denen ich nicht entkomme. Es ist ein Risiko, wenn du mit deiner Musik Tausende erreicht hast und dann einen neuen Weg gehst, der vielleicht niemandem gefällt. Aber du musst als Künstler ehrlich zu dir selbst bleiben und kannst keine Rücksicht nehmen. Ich muss tun, was sich richtig anfühlt, und ich bin niemandem etwas schuldig.

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Außerdem müssen Sie sich ja um den kommerziellen Erfolg keine Sorgen machen.
Kommerziell wird immer mit finanziell gleich gesetzt. Ich habe den Beruf aber nicht ergriffen, um reich zu werden, sondern weil ich ihn gerne mache. Und ich bin sicher, auch Paul McCartney hofft, dass seine neuen Lieder vielen Leuten gefallen.

Sie teilen ihre neue Musik in drei EPs. Ist die Trilogie eine Entscheidung des Künstlers oder des Strategen?
Sie macht mich künstlerisch flexibler, aber natürlich ist es auch eine Anpassung an den Musikmarkt. Ein Kompromiss, der sich gut anfühlt. In unserem Bereich werden ja hauptsächlich nur noch einzelne Tracks veröffentlicht.

"Voodoo Sonic" heißt ihre neue EP. Soll das Ihre Position des Zeremonienmeisters betonen?
So habe ich mich nie gesehen. Auf Voodoo bin ich zufällig gestoßen und entdeckt, dass es ein Konglomerat verschiedenster Religionen ist. Dieser Ansatz ähnelt meiner Musik. Das hat mir gefallen. Ein Zeremonienmeister wäre jemand, der sich über die Menge stellt und Macht hat, sie zu lenken. Den Anspruch habe ich nicht. An Macht zu denken, schreckt mich ab. Ich zeige meine Version, zu feiern, und hoffe, dass die Leute einsteigen. Ich sehe es als Verantwortung gegenüber dem Publikum: Die wollen eine gute Zeit haben, und wenn ich versage, bin ich unten durch.

Die EP markiert einen Meilenstein in Ihrem Leben: das Werk nach einer erschöpfungsbedingten Pause. Was war wichtig, um die Krise zu überwinden?
Die Musik war einerseits der Auslöser dafür, dass es mir nicht gut gegangen ist. Andererseits bleibt sie mein treuer Begleiter. Ich schätze, es ist wichtig am Weg eines Künstlers, dass es Zeiten gibt, in denen nicht alles rosig ist. Wenn du diese Zeit durchtauchst, nimmst du die meisten Erfahrungen mit. In guten Zeiten lernen wir Menschen wenig.

Wachstum braucht also Krisen?
An das Gute gewöhnt man sich schnell. Harte Zeiten zwingen dich, zu reflektieren und auszusortieren. Was ist wichtig? Welcher Weg führt dich zum Glück? Ein zufriedener Künstler ist ein langweiliger Künstler, weil er keinen Hunger mehr hat. Das ist schade, weil wir alle nach Zufriedenheit und Liebe streben. Aber für Künstler ist es problematisch.

Wie schwierig ist es, eine Balance zu finden?
Sehr. Damit kämpfe ich auch. Ich darf Dinge von außen nicht zu persönlich nehmen, gleichzeitig muss ich gut zuhören. Ich muss mir treu bleiben und ein halbwegs normales Leben führen. Die Frage ist, wie viel man von jeder Zutat nimmt. Ich glaube, alles mit Abstand und einer Portion Humor zu betrachten, ist wichtig. Wen interessiert schon in 100 Jahren, was ich heute hier mache? Durch den Druck darf einem nicht der Spaß an der Sache abhanden kommen.

»Es gibt Menschen, dir Halt geben. Aber deine Gefühle musst du mit dir selbst ausmachen.«

Sie sind Ehemann und Vater, haben eine gute Familienstruktur. Ist das tröstlich, wenn der Druck zu groß wird?
Tröstlich ist das richtige Wort. Aber wir kommen alleine auf die Welt und gehen allein. Es gibt Menschen, die dich begleiten können, dir Halt geben. Aber deine Gefühle musst du mit dir selbst ausmachen. Ich neige dazu, mich zu verkriechen. Wie eine angefahrenes Katzerl unter der Couch. In schweren Phasen will ich zuerst auch nicht reden. Da muss alles schwarz sein. Da will ich mir leid tun. Da will ich nicht hören, was alles gut ist. Ich boxe mich dann aber rasch selbst raus aus der Stimmung.

Sie zählen seit 15 Jahren zur Elite der Electro-Musik. Gibt es Sicherheit, zu wissen, dass man es geschafft hat?
Du kannst nie sagen, du hast es geschafft. Man beginnt jedes Jahr neu. Nach oben kommen ist einfacher als oben bleiben. Man muss immer Neues machen, um interessant zu bleiben. Wie gesagt: Die guten Dinge werden schnell normal, so ist es auch bei Künstlern.

Sehen Sie sich als arrivierten Star?
Ich wohne in mir selbst, es ist schwer, das von außen zu beurteilen. Oft ist der Zug abgefahren, und du merkst es nicht.

»Dass ich vor meinem Durchbruch ein normales Leben hatte, gibt mir Sicherheit«

Sie waren 30 Jahre alt, als sie den Durchbruch geschafft haben. Wie wichtig war dieses Alter für die Karriere?
Sehr wichtig, weil ich vor dem Erfolg ein normales Leben gehabt habe. Das haben viele nicht, wenn man zum Beispiel Avicii anschaut. Ich weiß, dass es andere Dinge gibt, die das Leben lebenswert machen, sollte es mit der Musik einmal nicht mehr klappen. Das gibt Sicherheit. Diese Wurzeln haben viele nicht.

In der TV-Dokumentation über Avicii hat man den Eindruck, er begreift diesen Hype gar nicht. Weiß nicht, was alle von ihm wollen.
Genau. Und vor allem hat man ihm nicht zugehört. Er hat ja gesagt, er möchte Ruhe. Er möchte in sein Studio. Aber so läuft es. Man muss auf sich aufpassen. Ich habe viele Künstler gesehen, die in den Himmel gehoben worden sind und fallen gelassen, wenn der Erfolg weg war. Da denkt keiner nach, wie es einem jungen Menschen geht, der bejubelt worden ist -das muss man auch verkraften -, und dann hebt keiner mehr ab, wenn er anruft.

Also braucht es ebenso viel Teflon wie Talent für diese Karriere?
Mindestens. Das musst du aushalten. Wer arg angepöbelt wird, ist meistens vorher sehr geliebt worden. Denn wenn dir jemand egal ist, schreibst du keine bösen Kommentare. Deshalb habe ich versucht, in den Medien nie überpräsent zu sein. Ich habe gemerkt,. wie schnell der Zug auch in die andere Richtung fährt.

Haben Sie persönlich Ihr Rezept gefunden?
Ich gehe seit Jahren denselben Weg: Ich halte mein Privatleben aus der Öffentlichkeit. Das ist ein Riesennachteil. Denn die meisten möchten nicht über dein Lied schreiben, sondern darüber, ob du deine Frau betrogen hast. Ich habe immer das Werk in den Vordergrund gestellt. Dadurch war mein Gesicht nie überrepräsentiert. Das hat dem Projekt geholfen, weil es nie um mich gegangen ist, sondern um das Werk.

»Die meisten sind seit ihrer Kindheit auf der Suche nach Liebe und Anerkennung«

Mit welchen Prägungen sind aufgewachsen, die eine Erklärung für Erfolg sein könnten?
Wenn man erfolgreiche Menschen anschaut, sieht man, dass die meisten seit ihrer Kindheit auf der Suche nach Liebe und Anerkennung waren. Die Kids, die liebevoll umsorgt worden sind, müssen nicht erfolgreich werden, um sich auf die Schulter klopfen zu können. Die haben das zuhause bekommen. Die können zufriedene Gärtner oder Zahnärzte werden. Das wünsche ich auch meinem Sohn Max.

Der soll tun, was ihn glücklich macht, völlig egal, was das ist. Meine Eltern waren sehr jung, als sie mich bekommen haben. Es war eine andere Zeit, und ich habe gemerkt, mein Vater will, dass etwas aus mir wird, indem ich in seine Fußstapfen trete. Mir war aber schnell klar, dass die IT-Branche nichts für mich ist. Diese Diskrepanz, ihm gefallen zu wollen, aber zu wissen, sein Weg ist nicht meiner, habe ich arg gespürt. Vermutlich habe ich das kompensiert, indem ich meinen eigenen Weg besonders gut gestaltet habe, um ihn zu beeindrucken.

Nach dem Neustart mit "Voodoo Sonic": Wie weit kann die Metamorphose noch führen?
Man weiß nicht, was noch kommt. Ich sage grundsätzlich niemals nie. Der Titel "Go Wake Up" meint genau das. Jeder soll sich fragen: Wie viel im Leben tue ich aus Routine? Was will ich? Die Frage erschreckt, weil die Antwort Komplikationen bringt. Sie bedeutet, dass man etwas ändern muss. Mit zunehmendem Alter sind die beruflichen und privaten Lebensstrukturen aber sehr komplex. Deshalb schiebt man die Frage in die Rumpelkammer und sperrt zu. Aber es ist großartig, da auszumisten.

»Ich habe keine Fotos aus der Jugendzeit«

Können Sie gut ausmisten?
Manchmal zu sehr. Ich habe keine Fotos aus der Jugendzeit. Die habe ich im Liebeskummer angezündet, weil ich mich transformieren musste.

Macht Sie das freier?
Ich muss mir jetzt keine Fotos anschauen und denken: Da habe ich besser ausgeschaut. Davon bin ich frei.

Die Schlussnummer der EP "The Fall" klingt so, als würde sie den Kreis der Lebensfragen schließen. Ist das tatsächlich so?
Meine Lieblingsnummer über pure Erotik und Vertrauen. Die stammt aus einer harten Zeit. Es gibt Songs, die fragen nicht um Erlaubnis, die sind einfach da und lassen nichts offen. Die sagen: Egal, ob du mich magst, ich bin. Ich wäre gern selbst mehr wie "The Fall".

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