Der Wanda-Prediger

Aus dem Probekeller in die Charts: Mit Wanda, Der Nino aus Wien und Voodoo Jürgens managt Stefan Redelsteiner Österreichs erfolgreichste Popmusikexporte. Dass er als Retter des Austropop gefeiert wird, hält er dennoch für ein Missverständnis

von Pop - Der Wanda-Prediger © Bild: News Sebastian Reich

Oberflächlich betrachtet könnte hier auch ein Bankangestellter mit Beatles-Faible oder ein Bummelstudent mit elterlichem Geld wohnen. Hinter der Sitzecke erinnern leere Weinflaschen an Abende mit Freunden. Ein großer Flachbildschirm zeugt von Zerstreuung beim Fußballschauen. Der weiße Arbeitsplatz im Wohnzimmer bietet gerade Platz für einen Computer.

Nicht ins Bild passen die Goldenen Schallplatten an den Wänden. Und in der Sitzecke saßen schon Gäste wie Wanda- Frontmann Marco oder einer der Oberbosse im deutschsprachigen Musikgeschäft, Sigi Schuller von Marktführer Universal Music. In beiden Fällen wurde nachhaltig an Musikkarrieren gefeilt. Die Geschichte dazwischen verträgt den Zusatz "Erfolgs-". Sie machte Stefan Redelsteiner vom Callcenter-Mitarbeiter zum erfolgreichsten Musikmanager Österreichs.

Er holte Der Nino aus Wien ("Praterlied"), Wanda ("Bussi Baby") und Voodoo Jürgens ("Heite grob ma Tote aus") aus Probekellern in ausverkaufte Konzerthallen und in die Charts. Seinen größten Coup verbuchte er im Vorjahr, als er für Wanda den Vertrag mit Universal Music Deutschland aushandelte. Seine Bands touren durch Deutschland ebenso erfolgreich wie durch Österreich. Im deutschen Feuilleton wird der 34-Jährige ehrfürchtig als Retter des Austropop beschrieben - naheliegend, denn bis dato sangen alle Redelsteiner-Klienten Deutsch mit starker Betonung des heimischen Idioms.

© News Sebastian Reich Stefan Redelsteiner sieht sich selbst nicht als Retter des Austropop

Trotzdem ist das ein großes Missverständnis, findet Redelsteiner. "Der einzige gemeinsame Nenner der Bands, die ich manage, ist, dass sie mir gefallen. Austropop oder Patriotismus waren mir nie wichtig." In Österreich lässt sich Redelsteiners Erfolg nicht nur in Gold und Platin, sondern auch am Neid der Kollegen messen. Dass einer, der vor neun Jahren ein kleines Indie-Label gründete, heute mit Wanda die Wiener Stadthalle ausverkauft und sich nicht einmal schämt dafür, kommt nicht gut an. Nach ihrem Durchbruch beim Massenpublikum waren die Indie-Lieblinge Wanda in ihrem Biotop verpönt. Für derartige Befindlichkeiten fehlt Redelsteiner das Verständnis: "Als ich vor Jahren gesagt habe, dass ich kein Problem habe, wenn meine Bands Nummer 1 der Charts werden, haben Kollegen mich belächelt. Jetzt haben sie angefangen, Angst vor mir zu haben. Für beides gibt es keinen Grund."

Groß denken, klein handeln

Redelsteiner war immer schon anders als die anderen. Nicht, weil er im Alter von 25 Jahren ohne einschlägige berufliche Vorbildung das Plattenlabel Problembär Records gegründet hat. So etwas taten auch andere Musiknerds. "Wer nicht talentiert genug war, um in einer Band zu spielen, hat ein Label gegründet und Platten der Freunde veröffentlicht, die talentierter waren", erinnert er sich. Redelsteiner spielt Gitarre, aber eben nicht gut genug.

Anders war, dass er damals schon groß gedacht hat. Seine ersten Künstler waren Neuschnee und Der Nino aus Wien. Letzterer spielte damals mit offenen Schuhbändern und einer verstimmten Akustikgitarre, der eine Saite fehlte, mit dem Rücken zum Saal. Redelsteiners Ziel war, ihm trotzdem ein Publikum zu verschaffen, das "über die paar Verrückten, die so sind wie ich", weit hinausgeht. "Ich habe einen Nummer-eins-Hit nie ausgeschlossen, während die anderen geschrien haben: 'Iiiih! Ausverkauf! Mainstream!'"

Es ist das Geheimnis seines Erfolgs, dass er darauf mit Bedacht hingearbeitet hat. Wie er das macht, können sich seine Künstler selbst schwer erklären. "Es ist nicht die eine große Entscheidung, eher viele kleine Rädchen", versucht es der jüngste Klient, Voodoo Jürgens. "Stefan ist extrem hartnäckig, verlässlich und kniet sich für jeden hundertprozentig rein." Als Rezept für Goldene Schallplatten und Titelseiten ist das allein freilich zu wenig. Auch die Fähigkeit, eine Band zusammenzustellen, Konzerthallen zu buchen oder Interviews zu vereinbaren, taugt nicht als Erklärung für den Hype um Redelsteiners Acts.

Der sonst so konzentrierte, ernste Redelsteiner lächelt, wenn er darauf angesprochen wird. "Ein Image zu schaffen, diese Medienarbeit, ist eine Sache, die ich gut kann", sagt er. "Es geht um die Positionierung eines Künstlers; darum, was er beim Zuhörer auslöst. Wichtig ist mir, gemeinsam mit der Band ein Narrativ zu schaffen, ohne ihnen etwas überzustülpen. Ich nehme, was da ist, und stilisiere es, um eine Geschichte zu erzählen." Man könne aus einer langweiligen Buchhalterband keine Lederjacken-Hallodris machen, aber sehr wohl eine sehr erfolgreiche Buchhalterband, verpackt er die Theorie in ein Beispiel. Bei Voodoo Jürgens sei es etwa darum gegangen, den Strizzi-Schmäh nicht zu stark zu betonen, um nicht im "Kaisermühlen Blues"-Eck zu stranden. "Für den Erfolg brauchst du beides, die Basis aus der Indie-Szene und die Ö3-Hörer."

© News Sebastian Reich Der Mann hinter Wanda: Stefan Redelsteiner in seinem Homeoffice im fünften Bezirk in Wien

Bei Wanda steht nach den Massenerfolgen der ersten beiden Alben mit dem dritten Album im Frühjahr eine besonders heikle Phase bevor. "Der Band wird fälschlicherweise oft Nähe zum Bierzelt unterstellt. Dieser unbegründete Verdacht muss beim kommenden Album im Keim erstickt werden", sagt Redelsteiner. "In bestimmten Kreisen sind wir die verhassten, monolithischen, selbstzufriedenen Rockstars. Dieses Pendel muss sanft in eine andere Richtung gehen. Es müssen sich die wiederfinden, die gern Refrains mitsingen, aber auch die, die nach dem Hauch von Existenzialismus suchen." Das sei natürlich die Aufgabe von Sänger und Songschreiber Marco Wanda. "Die Basis ist immer die Musik. Meine Rolle wird genauso oft unterschätzt wie überschätzt."

"Wir brauchen Rivalen"

Vermutlich spielt Stefan Redelsteiner Schach. Er ist einer, der immer drei Züge vorausdenkt und gleichzeitig aus Fehlern anderer lernt. Während seiner kurzen Zeit als Musikjournalist analysierte er die Werbetexte der zugesandten CDs. "Welche Texte können mich manipulieren, die CD zu hören?", fragte er sich. Da hatte er schon sämtliche Biografien über seine Lieblingsbands, allen voran die Beatles und Oasis, gelesen. Auch die der Tourmanager und Tontechniker. Von Beatles-Manager Brian Epsteins Versagen bei den Verhandlungen über die Beatles-Filme kann man ja durchaus lernen. "Epstein sagte zur Filmfirma, dass er 20 Prozent der Einkünfte will, weil er das für einen guten Deal hielt. Er hat nicht gewusst, dass ihnen 80 Prozent zugestanden wären", erzählt der Selfmade-Manager über seine Lernphase.

Oder auch davon, wie Oasis am eigenen Größenwahn zerschellten, weil ihnen die Rivalen Blur abhandengekommen waren. "Das darf Wanda nicht passieren." Wandas Blur heißen Bilderbuch, und die haben sich, findet Redelsteiner, mit ihrer neuen Single selbst ins Aus geschossen. "Wir brauchen neue Rivalen."

Redelsteiner wiederum sucht neue Herausforderungen. Die nächste heißt Ansa Sauermann aus Dresden. Als ostdeutsche Antwort auf Bruce Springsteen sieht ihn Redelsteiner. "Bei all dem Selbsthass, den die Deutschen gerade haben, mit diesem AfD-Thema und den oberlehrerhaften Diskursrockern, fehlt eine positive Figur links der Mitte. Das könnte Ansa sein."

Problembär aus Floridsdorf

Redelsteiner ist jetzt also auch jenseits der Grenze aktiv. Dabei wollte er eigentlich weniger arbeiten. Vor zwei Jahren gab er sein Label Problembär Records ab. Drei bis vier Bands als Manager zu betreuen war der Plan; etwas mehr Zeit mit der Freundin zu verbringen oder auch wieder mal privat fortzugehen statt nur beruflich. Nun hat er wieder 13 Künstler unter Vertrag. Seine zwei Mitarbeiter fragen manchmal nach Arbeit. Delegieren fällt ihm schwer. "Ich bin ein bisschen ein Kontrollfreak. Da muss in meinem Hirn erst was neu zusammengeschraubt werden, damit das besser klappt", sagt der Mann, der jede E-Mail binnen Minuten beantwortet. Tut er es nicht, bekommt er Angstzustände. "Nach unserem Gespräch habe ich 50 neue Mails, und der Berg wird größer."

Von sieben Uhr früh bis mindestens acht Uhr abends sitzt er am Schreibtisch und arbeitet. Dazu kommen Auftritte seiner Bands, bei denen er, kaum von den Fans zu unterscheiden, mit Umhängetasche in der vorletzten Reihe das Geschehen analysiert. Sein Arbeitspensum veranlasste die Ärzte bei der Gesundenuntersuchung dazu, ihm ein "Hippieseminar", wie er es nennt, zu verschreiben: Entspannungstechniken und Antistresstraining.

Dabei wirkt der Mann gar nicht verbissen. Aber er ist irgendwie auch noch der Bub aus der Marco-Polo-Siedlung in Floridsdorf, der mittels Callcenter-Job sein Label finanzierte und seit eineinhalb Jahren erstmals gutes Geld verdient. "Seitdem lebe ich in einer finanziellen Dimension, die mir vorher nicht bekannt war." Statussymbole eines Neureichen würden nicht zu ihm passen. Er hat keinen Führerschein, außer Fußball keine Hobbys, er raucht nicht: "Ich kaufe nur Wein und Aktien. Ich brauche ja auch nichts." Dazu passt auch seine Definition von Erfolg: "Ich werde mich erfolgreich fühlen, wenn ich mich in 15 Jahren in ein Haus mit Garten zurückziehe, Chilis anpflanze und Rotwein trinke", sagt Redelsteiner.

Bis dahin ist an den Wänden seiner Wohnung noch Platz für ein paar Goldene Schallplatten.

Kommentare