Andreas Vitasek wird 60

"Kabarett-Spielen ist eine wahnsinnig einsame Angelegenheit"

Bei der Stichwahl der Bundespräsidentenwahl wird Andreas Vitasek nicht mehr wetten. "Ich habe Angst, dass ich wieder gewinne." Im ersten Durchgang gewann er sechs Flaschen Blaufränkischen - was kaum darüber hinwegtröstete, dass Norbert Hofer in der burgenländischen Gemeinde Güssing, wo der Kabarettist seit einigen Jahren sein Domizil aufgeschlagen hat, über 42 Prozent der Stimmen erreichen konnte.

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Menschen - Andreas Vitasek wird 60

Am 1. Mai wird der gebürtige Wiener 60 Jahre alt. Und irritiert stellt er fest, dass ein alter chinesischer Fluch ihn doch noch ereilt hat: "Mögest Du in interessanten Zeiten leben!": "Ich hätte mir nie gedacht, dass ich im sonnigen Spätherbst bzw. im Frühwinter meines Lebens noch mit solch dramatischen Veränderungen konfrontiert werde", sagt Vitasek im Gespräch mit der APA. Einer gern erzählten Anekdote zufolge wurde dem in Favoriten aufgewachsenen kleine Andi von seinem Vater einst versichert, die unterm Fenster vorbeiziehende Menschenschar gratuliere ihm mit roten Fahnen zum Geburtstag. Heute muss sich der große Andreas die Frage gefallen lassen, ob seine Generation politisch nicht versagt habe. "Das glaube ich nicht. Wir dürfen nicht vergessen: Was wir betreiben, ist Matschkern auf hohem Niveau: Den meisten Menschen geht es verdammt gut."

Sein Privatleben

Gut geht es zweifellos auch Vitasek selbst, dem Kabarettisten, Schauspieler und Regisseur, der vor ein paar Jahren in zweiter Ehe eine neue Familie - mit einer mittlerweile achtjährigen Tochter - gegründet hat, mit "Sekundenschlaf" sein zwölftes erfolgreiches Soloprogramm spielt und zum Geburtstag mit seiner Frau auf Tauchstation geht. Ist der einstige Theaterwissensschafts- und Germanistik-Student, der als 22-Jähriger an die Pariser Theaterschule von Jacques Lecoq ging, rundherum zufrieden mit dem, was er aus seinem Leben gemacht hat? "Natürlich gab es Weggabelungen, bei denen man sich fragt, wie es weitergegangen wäre, hätte man sich anders entschieden. Was wäre aus mir geworden, wäre ich am Mozarteum geblieben, oder wäre ich aus Paris nicht zurückgekommen? Aber das ist Spekulation. Vielleicht gibt es im Jenseits ja einen Info-Schalter, wo ich mich erkundigen kann, welche anderen Optionen ich gehabt hätte..."

»Kabarett-Spielen ist eine wahnsinnig einsame Angelegenheit«

Ist etwa die längere Mitgliedschaft in einem Theaterensemble eine offen gebliebene Etappe einer reichen künstlerischen Karriere? "Es stimmt, Kabarett-Spielen ist eine wahnsinnig einsame Angelegenheit", sagt Vitasek. "Aber als ich 1980 aus Paris zurückkam, habe ich mich an mehreren Theatern beworben, vom Schauspielhaus Hans Gratzers bis zur Gruppe 80. Es hat sich niemand wirklich für mich interessiert. Weil ich aber irgendwie überleben musste, habe ich mit Solokabarett begonnen. Der Erfolg hat mich bestärkt, dabei zu bleiben."

"Spastic Slapstik" aus 1981 ist die Nummer eins seiner Werkliste, "Sekundenschlaf" aus 2013 die Nummer 18. "Eigentlich ist es die Nummer zwölf", sagt Vitasek. "Der Rest sind Compilations, Outtakes und Besides." Alles in allem seien es insgesamt bisher wohl fast 3.000 Auftritte gewesen, die er in seinem bisherigen Leben absolviert habe, schätzt Vitasek. "Ich bin noch immer vor einem Auftritt nervös. Das ist ein gutes Zeichen. Aber es gibt tatsächlich Abende, wo ich anfangs nicht so motiviert bin. Dann merkt man, dass so ein Zweieinhalb-Stunden-Abend recht lang ist. Besser ist es, man motiviert sich. Dann geht er auch schneller vorbei."

Er gehört zu den zu den "Best-Agern"

"Sekundenschlaf", nicht das erste Programm, in dem der Kabarettist auch pars pro toto für seine Altersgenossen seine allmähliche Zugehörigkeit zu den "Best-Agern" selbstironisch thematisiert, hält Vitasek für sein gelungenstes Solo. "Auch 'My Generation' 2006 war ein sehr gutes Programm. Aber überall hat es bisher einzelne Schwachstellen gegeben, Nummern oder Übergänge, die nicht so gelungen waren, Lötstellen, die nicht ganz glatt waren."

Vor dem dreizehnten Soloprogramm wolle er wieder einmal mit fremden Texten arbeiten, erzählt Vitasek. Er werde sich, ausgehend von dem 1978 erstmals gespielten szenischen Monolog "Ich heiße nicht Oblomow", Texten von Otto Grünmandl widmen. Die Premiere ist für Oktober geplant, und Vitasek freut sich auf die sommerliche Recherchearbeit, bei der er auch unveröffentlichtes Material des 2000 verstorbenen Tiroler Kabarettisten und Volksschauspielers sichten möchte: "Abgesehen davon: Diese Beckett'sche Grundsituation, dass ein Kabarettist im Bett liegt und an seinem Verschwinden arbeitet, das wird ja einmal auch mein Thema..."

Schreibt er jetzt ein Buch?

"Sekundenschlaf" hatte Andreas Vitasek zunächst als Abfolge von Kurzgeschichten konzipiert und daran Gefallen gefunden. Das erste eigene Buch sei "weiterhin eine Option. Aber da ist noch Zeit damit", meint der vielseitige Künstler. Im Film wirkte er mit "Müllers Büro" (1986) an einem der größten heimischen Erfolge der vergangenen Jahrzehnte mit und huldigte u.a. mit einer Schwabenitzky-Trilogie ("Ein fast perfekter Seitensprung", "Eine fast perfekte Scheidung", "Eine fast perfekte Hochzeit", 1996-99) der leichten Muse, im ORF, wo sein Geburtstag mit einigen Sendungen gefeiert wird, hatte er u.a. mit "Vitasek?" eine eigene, acht Episoden umfassende Serie.

Vitaseks Zukunftspläne

Vitasek ist aber auch weiterhin "offen für alles". Er sei weiterhin dem Theaterspielen im Ensemble nicht abgeneigt, sagt der Schauspieler, der mit Nestroy- und Raimund-Rollen, aber auch mit Ionescos Dickhäuter-Parabel "Die Nashörner" zu Zeiten der schwarz-blauen Regierung am Volkstheater Wien zeitweise seine künstlerische Heimat gefunden hatte, "aber die Theaterdirektoren rufen nicht gerade laufend bei mir an".

Auch Regieführen ist etwas, das den Profi, der in den 1990ern mit "Fräulein Julie" (Volkstheater), "Prelude to a Kiss" (Schauspielhaus Wien), "Goldberg-Variationen" (St. Gallen) oder "Geschichten aus dem Wiener Wald" (Stadttheater Baden) hochkarätig begonnen hatte, weiterhin reizt. "Ich versuche mich auch auf dem Laufenden zu halten und schaue mir etwa bei den Wiener Festwochen immer möglichst viel an. Die Entwicklung ist ja rasant - von der Postdramatik über das Konzepttheater hin zum Event. Das ist nicht gerade meins. Aber so wie Simon Stone, der alte Stücke ganz neu erzählt - mit diesem Ansatz kann ich viel anfangen..."

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