"Vergiss Ägypten": Barbara Frischmuth macht mit ihrem Reiseroman Lust auf Nahost

Konfrontation alter Kulturen mit modernen Werten Buchtipp: Eine differenzierte Sicht auf Land und Leute

"Vergiss Ägypten. Ägypten ist ein uraltes Haus, von dem niemand genau weiß, was sich hinter den Türen befindet", rät die Kunsthistorikerin Lamis ihrer aus Wien angereisten Freundin Valerie, "Lass es also, denk lieber an die Ägypter."

"Vergiss Ägypten": Barbara Frischmuth macht mit ihrem Reiseroman Lust auf Nahost © Bild: Aufbau-Verlag

Diesen seltsam wirkenden Ratschlag, den die österreichische Autorin Barbara Frischmuth an den Beginn ihres neuen Buches stellt, braucht es gar nicht: Valerie scheint ohnedies an nichts anderes zu denken. Vor allem ihre Jugendliebe Abbas kann sie nicht vergessen. Noch immer hofft sie auf ihren Reisen, eine Spur von ihm zu entdecken.

Mit viel Witz beschreibt Frischmuth das Leben einer intellektuellen Elite, immer wieder gelingen ihr verblüffende, erstaunliche Beobachtungen: Gebetsschwielen, die als Zeichen äußerster Frömmigkeit von der häufigen Bodenberührung der Stirn während der Gebete zeugen sollen, werden mit Zitronensaft verätzt, um sie noch stärker hervortreten zu lassen; viele jungen Männer haben nicht nur Aussicht auf Arbeit und Lebensunterhalt, sondern auch keine Chance auf eine Ehefrau, weil sie sich den als Brautpreis geforderten Kühlschrank ("Keine junge Frau lässt sich heute auf eine Ehe ohne Kühlschrank ein") nicht leisten können.

Differenzierte Sicht
All dies bietet eine zwar neugierige und empathische, aber dennoch höchst differenzierte Sicht auf den Nahen Osten. Also eigentlich genau das, was die aktuellen Debatten dringend nötig haben.

Faszination für eine uralte Kultur und Konfrontation mit völlig anderen Wertvorstellungen sind die Pole, zwischen denen sich nicht nur die Orient-erfahrene Ich-Erzählerin Valerie, sondern auch die vielen selbstbewussten jungen Frauen, die sie auf der Universität, auf Festen und auf der Straße trifft, bewegen. Das beginnt bei der angemessenen Kleidung bzw. Verschleierung, die andernfalls einen wahren Spießrutenlauf zur Folge haben kann, und endet bei der "orfi-Ehe", die zwar Geschlechtsverkehr gestattet, aber für die Gattin keinerlei Rechte und gesetzlichen Schutz bietet.

Über die Autorin
Barbara Frischmuth, die selbst Türkisch, Ungarisch und Orientalistik studierte, versteht es hervorragend, Interesse an Land und Leuten zu wecken, ohne ihren kritischen Blick auf die Gegenwart zu verlieren. Manchmal geraten zwar die Besichtigungstouren, die sie Valerie absolvieren lässt, etwas langatmig, wirken die gewährten Einblicke in die Geschichte Ägyptens auf den Leser wie Ballast, den man gerne abwerfen würde, dazwischen fühlt man sich aber wie von einer guten Freundin an der Hand genommen und durch das Chaos der Millionenstadt Kairo geleitet.

Das Buch
Barbara Frischmuth
"Vergiss Ägypten. Ein Reiseroman"
Aufbau-Verlag, 220 Seiten, 19,50 Euro