"50 Tage Wahltag"

USA-Experte Stefan Bachleitner im NEWS.AT-Gespräch über die Präsidentschaftswahl

Am Dienstag wird der 45. Präsident der Vereinigten Staaten gewählt (die US-Wahlnacht können Sie natürlich LIVE auf NEWS.AT verfolgen). Damit geht auch ein langer, harter Wahlkampf zu Ende, darum hat NEWS.AT beim USA-Kenner Stefan Bachleitner nachgefragt, was eine US-Wahl und die dazugehörigen Kampagnen charakterisiert. Im ersten Teil des Interviews hat er ein Resümee über den bisherigen Wahlkampfverlauf gezogen und erklärt, warum sich Barack Obama schwer tut. Im folgenden zweiten Teil erläutert er, warum die Stimmabgabe vor dem eigentlichen Wahltag in den USA so verbreitet ist, welche Bedeutung das liebe Geld hat und was sich Österreich von den Vereinigten Staaten abschauen könnte.

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US-Wahl 2012 - "50 Tage Wahltag"

NEWS.AT: Woher kommt denn in den USA dieser hohe Stellenwert des „early voting“, also der Stimmabgabe lange vor dem eigentlichen Wahltermin?

Stefan Bachleitner: Inzwischen wird es sehr stark von den Parteien gepusht. Es gibt die Briefwahl aber schon viel länger als bei uns, schon wegen der zahlreichen Soldaten, die im Ausland stationiert sind. Insofern war die Briefwahl, auch aufgrund dieser Zielgruppe, über Jahre eine republikanische Domäne. Das hat sich aber bei den letzten zwei, drei Wahlgängen verändert. 2008 wurden bereits dreißig Prozent der Stimmen über „early voting“ abgegeben, wobei darunter nicht nur die Briefwahl fällt, sondern auch Wahllokale, die vor dem Wahltag geöffnet haben. Diese Quote hat sich innerhalb von zwei Jahrzehnten vervielfacht, auch 2004 lag sie erst bei zwanzig Prozent.

Das liegt auch daran, dass die Parteien – vor allem die Demokraten – das maßgeblich gepusht haben. Wer in den USA in einem „battleground state“ lebt, dem wird es mit Sicherheit passieren, dass irgendwann jemand von den Demokraten an die Türe klopft und fragt, ob er den Präsidenten unterstützt. Und wenn er mit Ja antwortet, dann wird er auch aufgefordert werden, früher zu wählen. Das geht so weit, dass Hilfe beim Ausfüllen des Formulars angeboten wird oder dass man gebrechlichen Menschen anbietet, sie zum Wahllokal und zurück zu bringen.

Da sind die Demokraten sehr stark, weil sie wissen, dass diese Instrumente für ihre Zielgruppen, wie zum Beispiel ethnische Minderheiten, sehr wichtig sind. Latinos und Afroamerikaner wählen überproportional die Demokraten, gehen aber unterdurchschnittlich oft zur Wahl. Aufgrund des Systems, bei dem man sich ja zuvor als Wähler registrieren lassen muss, gehen natürlich eher diejenigen zur Wahl, für die dieses Prozedere die geringeren Barrieren bildet. Wenn man das Gefühl hat, Behördenkontakte besser auf ein Minimum zu reduzieren, dann wird man das eher nicht tun. Durch die „early voting“-Möglichkeiten in Kombination mit der Mobilisierung der Demokraten konnte die Wahlbeteiligung unter diesen Minderheitengruppen deutlich gehoben werden und das ist einer der Faktoren, warum Obama 2008 gewonnen hat. Hätten nur die am Wahltag abgegebenen Stimmen gezählt, wäre McCain heute US-Präsident.

»Nur durch polarisierende Themen mobilisiert man die Basis«

Wie gehen denn die Kampagnen-Manager damit um, dass es durch das „early voting“ keinen Höhepunkt im Wahlkampf gibt? Ende September, sprich eineinhalb Monate vor der Wahl, konnte ja bereits in etwa der Hälfte aller Bundesstaaten gewählt werden.

Das ist tatsächlich die allergrößte Herausforderung. Das Timing der Kampagnen verschiebt sich massiv. Nicht in der medialen Darstellung, da ist der Höhepunkt immer noch am Wahltag. In der Organisation ist aber heute Wahltag, so wie gestern Wahltag war und so wie morgen Wahltag sein wird. Die Schlussmobilisierung hat sich von zwei, drei Tagen auf 40, 50 Tage verlängert. Das heißt für die Kampagnen, dass sie viel früher anfangen müssen, Basisstrukturen zu entwickeln – was aber nur funktioniert, wenn man schon sehr früh Enthusiasmus in der Kampagne hat. Das erklärt auch, warum ein regierender Präsident wie Obama in einem Wahljahr immer wieder so stark polarisiert. Nur durch polarisierende Themen motiviert man die Basis, sich beim Tür-zu-Tür-Wahlkampf richtig ins Zeug zu legen.

Man muss aber auch tatsächlich inhaltliche Höhepunkte früher setzen und kann sich nicht das gesamte Pulver für das Schlussfeuerwerk aufsparen. Und das ist natürlich für die Kampagnendramaturgie schwieriger.

Verteuert das die Kampagnen auch? Bzw. wie wichtig ist generell der finanzielle Aspekt?

Natürlich ist die Dauer etwas, was extrem ins Geld geht. Wobei „verteuern“ der falsche Ausdruck ist – es wird so viel Geld ausgegeben, wie gesammelt wird. Die Dauer hat aber natürlich ihren Preis, auch wenn man durch die Vorwahlen ohnehin de facto eineinhalb Jahre im Dauerwahlkampf ist, will man US-Präsident werden. Generell gilt: Wer das „money game“ verliert, hat ein wirkliches Problem.

»Sechs Millionen Dollar Spenden - pro Tag«

Hat es da Mitt Romney aufgrund seiner beträchtlichen Privatschatulle nicht leichter?

Nun, im letzten Monat hat die Obama-Kampagne mit Fundraising sechs Millionen Dollar eingenommen – pro Tag. Aller Voraussicht nach wird Obama nicht den Spendenertrag von 2008 erzielen, es sind aber trotzdem 800, 900 Millionen Dollar, die da zusammenkommen. Da kommt man auch mit einer gut gefüllten Privatschatulle nicht mehr mit, wobei Romney sicher in der Lage wäre, etwaige Differenzen im Spendenaufkommen auszugleichen. Man darf aber auch nicht vergessen, dass viele Politiker lange brauchen, um die Schulden die während der Kampagne aufgebaut wurden, wieder abzubauen. Das heißt wenn man da nicht einen ordentlichen und professionell aufgebauten Apparat hat, ist man bei diesen Dimensionen einfach chancenlos.

Wie verhält es sich tatsächlich mit den Swing States? Ist es in Staaten wie Kalifornien, Texas oder Washington wirklich egal, ob ich wählen gehe oder nicht?

Es ist dort einfach zu klar und es ist eine Kosten-Nutzen-Abwägung für alle Parteien, wo man Wahlkampf macht und wo nicht. Natürlich gibt es auch eine republikanische Partei in Kalifornien, die dort im Rahmen ihrer Möglichkeiten agiert, aber in Summe weiß jeder: Das kann nicht kippen. Sollte sich demographisch oder politisch so viel verschieben, dass die Republikaner das Gefühl hätten Kalifornien könnte kippen, würde schon der eine oder andere Testballon steigen. Insbesondere gilt: Je größer der Bundesstaat, desto zweckloser, denn dann wird Werbung dort wirklich teuer. Bei kleineren Staaten versucht man es noch eher, falls sich lokale Gegebenheiten verändern, zum Beispiel die Parteizugehörigkeit des Gouverneurs kürzlich gewechselt hat.

Gibt es eigentlich eine nennenswerte Bewegung, die das Wahlmänner-System in Frage stellt?

Nein, weil Demokraten und Republikanern nach diesen Spielregeln spielen und es für politische Kräfte abseits der beiden Großparteien allgemein sehr schwer ist, sich zu etablieren. Darüber hinaus ist das System das historische Erbe eines bis heute ausgeprägten bundesstaatlichen Föderalismus und es ist nicht im Interesse der Bundesstaaten, das Wahlsystem zu ändern. Sollte andererseits etwas wie 2000 öfter passieren, würde das System wohl generell in Frage gestellt werden. (Zur Erinnerung: Aus der Wahl 2000 ging George W. Bush als Präsident hervor, obwohl Al Gore landesweit eine halbe Million Stimmen mehr erhielt, Anm. d. Red.)

»In den USA gibt es viele Faktoren, die zur Partizipation einladen«

Gibt es Aspekte der politischen Kultur in den USA, die man sich in Österreich abschauen könnte?

Es sind natürlich sehr unterschiedliche Systeme. In den USA hat man eben das Mehrheitswahlrecht mit nur zwei großen Parteien, was hierzulande wohl als extreme Einschränkung der politischen Vielfalt wahrgenommen werden würde. Gleichzeitig heißt das, dass die beiden Parteien in sich eine viel größere Bandbreite haben und auch deutlich vielfältiger sind. Das sind zwei sehr unterschiedliche Zugänge, die sowohl Vorteile als auch Nachteile haben. Einer der Vorteile ist mit Sicherheit, dass man klare Mehrheiten hat und trotzdem politische Wechsel, auch Systemwechsel, passieren.

Was ich interessant finde ist, dass der Stellenwert des einzelnen Kandidaten, des einzelnen Mandats eindeutig höher ist. Das hat damit zu tun, dass die Parteien einen niedrigeren Stellenwert haben, wobei auch das wiederum Vor- und Nachteile hat. Es ist dadurch natürlich so, dass in der Tendenz Leute, die es sich leisten können, es deutlich leichter haben, sich durchzusetzen. Weil andernfalls die Strukturen fehlen, innerhalb derer man sich profilieren kann, um dann als Kandidat reelle Chancen zu haben.

Und in punkto Transparenz, in punkto Motivation zum Engagement nehme ich es als deutlich spannender und lebendiger wahr. Es gibt sehr viele Faktoren, die zur Partizipation einladen. Bei uns läuft der Weg zu Veränderungen über Organisationen, Parteien und andere Strukturen als Mittler und in den USA geht das oft unmittelbarer. Spannend finde ich natürlich auch das System der Vorauswahl und der Rekrutierung, also das Vorwahlsystem. Das ist schon ein harter Test und sorgt dafür, dass ein Präsidentschaftskandidat auf Herz und Nieren getestet wurde. Vorwahlen funktionieren natürlich auch nicht überall gleich gut, aber wenn es genügend Auswahl gibt und das Ergebnis bindend ist, dann steckt in Vorwahlen ein Potential für politische Parteien, auch in Österreich. Aber letztendlich gibt es auch in diesem System Schattenseiten wie die wirtschaftliche Einflussnahme. Wobei man sagen muss, das läuft wenigstens transparent und nachvollziehbar ab.

Stefan Bachleitner, Managing Partner der Skills Group und US-Politik-Experte.
© Renée Del Missier

Stefan Bachleitner, Jahrgang 1974, ist Managing Partner der PR-Agentur The Skills Group. Davor leitete er unter anderem 2010 die Wiederwahlkampagne von Bundespräsident Dr. Heinz Fischer und blickte bereits 1993 erstmals hinter die Kulissen des politischen Systems der Vereinigten Staaten, als er im Zuge einer Studienreise Einblick in die Arbeit der Young Democrats sowie der College Republicans erhielt. Gemeinsam mit Josef Barth und Yussi Pick begleitet er auf dem Blog usa2012.at den US-Wahlkampf und konzentriert sich dabei vor allem auf die Analyse der Kampagnen.

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