"Woyzeck & The Tiger Lillies"

Langanhaltender Applaus und Bravos für gelungene Premiere im MuseumsQuartier

von
Uraufführung - "Woyzeck & The Tiger Lillies"

Ein Jahrmarkt mit Imbiss- und Spielbuden, Wohnwägen und Hütten, die bunten Lichterketten hängen wirr über der heruntergekommenen Szenerie, die sich unter wogenden schwarzen Tüchern herausschält. Die Welt hat schon bessere Zeiten gesehen, die existenzielle Perspektivenlosigkeit wird in der engen Siedlung zum melancholischen Blick auf Moral und Tugend.

Die Bravos verdienten sich nicht zuletzt Raphael von Bargen, der als getriebener Woyzeck zwischen Demütigungen und Eifersucht die innere Zerrissenheit und Verzweiflung der Figur bis zur Gänsehaut spürbar macht, und der Performer Martyn Jacques, der als Frontmann der Tiger Lillies mit intensiv-erdigen Liedern und traurig-schrägem Falsett wie ein kommentierender Erzähler die Untiefen des Protagonisten auslotet. Das mag nicht immer subtil sein, wenn hier mittels Bass, Schlagzeug und Harmonika von Soldaten, Huren, Ausbeutung und Mord berichtet wird, doch schließlich befinden wir uns auch auf einem Jahrmarkt, wie die Bühnenmusik von Christian Kolonovits und dem Blasorchester "Die Brassisten" deutlich macht.

In dieser Welt trägt Marie, mit der Woyzeck ein uneheliches Kind hat, ein enges "I Love NY"-T-Shirt und hochhackige Schuhe, spielt ständig mit ihrem Kaugummi und lässt sich ohne viel Zögern mit dem feschen Tambourmajor ein, während ihr Freund den Hauptmann rasiert und sich für ein bisschen Geld seltsamen medizinischen Experimenten unterzieht. Ruth Brauer-Kvam spielt die luftige Marie mit viel Verve, Xaver Hutter ist sich als Tambourmajor seiner Ausstrahlung bewusst, Joachim Bißmeier gibt den dubiosen Doktor mit augenzwinkernder Weißkittel-Arroganz. Und wenn Ben Becker als Hauptmann den Woyzeck auffordert, doch nicht so zu hetzen, und ihm ganz bang um die Welt wird, wenn er an die Ewigkeit denkt, ist das großes Theater.

Nach der Pause des zweieinhalbstündigen Abends nimmt schließlich die Tragödie ihren Lauf, schlägt die Ohnmacht Woyzecks in pure Raserei um. Tugend und Moral ist nichts für die gemeinen Leute, die ohnehin nichts haben, hat er zuvor noch dem Hauptmann erklärt, die, selbst wenn sie in den Himmel kommen, noch beim Donnern mithelfen müssten. Und auch Marie hat die Moral schon fatalistisch zum überholten Wert erklärt: "Ach was, es geht doch alles zum Teufel." In einer Zeit der wirtschaftlichen Krise, in der die Armut wächst und der Wohlstand nicht gerecht verteilt ist, in der die Perspektiven fehlen und das Geld knapp ist, wird "Woyzeck" auch zum vorrevolutionären Drama des kleinen Mannes.

Diese Stimmung, diese angespannte Atmosphäre bringen Regisseurin Stephanie Mohr und ihr Kreativteam, allen voran Dramaturgin Michaela Ranzoni und Nicole Berry, die für die fantastische Lichtarbeit verantwortlich zeichnet, höchst stimmig und mit vielen cleveren Ausstattungsideen (Miriam Busch) auf die Bühne. Durch die Songs entstehen keine Brüche in der Inszenierung, sondern erwächst aus dem Fragment in vielerlei Hinsicht ein organisches Ganzes. Am Ende wird die Bühne wieder verdeckt, wogen wieder die schwarzen Tücher, die den nächtlichen See darstellen, in dem Woyzeck das tödliche Messer versenkt hat. Und haben die VBW fünf Jahre nach den "Weberischen" wieder ein Aushängeschild mit den "Tiger Lillies".