Hannah und Beth sind tot. Ein Jahr nach dem mysteriösen Unfall der Zwillinge trommelt Bruder Josh dennoch wieder die alte Clique zusammen, um das tragische Ereignis für ein Wochenende zu verdrängen und es auf der verschneiten und abgelegenen Luxushütte seiner Familie noch einmal richtig krachen zu lassen. Geht nicht? Richtig. Man muss beileibe kein Prophet sein, um jetzt schon die Fährte entgleisender Ereignisse zu wittern. Teen-Horror allererster Hollywood-Güte ist vorprogrammiert. Aber kann das gut gehen?
Bei "Until Dawn" ist der Name jedenfalls Programm. Man wird Augenzeuge, wie genannte Gruppe junger Leute - unter einem Berg von Genre-Klischees begraben - immer größeren Gefahren ausgesetzt wird und eine Nacht titelgebend "bis zur Dämmerung" durchhalten muss. Der Clou daran ist, dass man in 10 Kapiteln die Rolle unterschiedlicher Charaktere übernimmt und von den Flügeln des Schmetterlingseffekts mitgerissen wird: Der Spieler wird laufend und nicht selten unter Zeitdruck vor konkrete Entscheidungen gestellt, die sich unmittelbar auf die Handlung und letztendlich den Ausgang der Geschichte auswirken.
Gänsehaut-Achterbahn
Atmosphärisch entpuppt sich "Until Dawn" als absolutes Meisterwerk: Aus fix vorgegebenen Perspektiven, innerhalb welcher der Spieler die Darsteller bewegt, resultieren oft beklemmende Kamerafahrten, die einem Horrorfilm um nichts nachstehen. Die Kapitel wirken phasenweise wie ein Stakkato aus "Cabin in the Woods", "Ich weiß, was du letzten Sommer getan hast", "Saw" und "Shining". Aber dennoch wirkt die Story beim ersten Durchspielen wie aus einem Guss und nicht wie eine komplett sinnlose Abfolge berühmter Horrorfilm-Szenen.
Für den Cast der glaubwürdig animierten Charaktere konnten Schauspieler wie Hayden Panettiere und Peter Stormare gewonnen werden. Das gekonnte Wechselspiel aus Stille, beängstigender Soundkulisse und hochwertigem Score tut sein übriges dazu, um sich mitten in den Horror versetzt zu fühlen. Fantastisch.
So, und wo ist das Spiel?
Wenn man an "Until Dawn" etwas bemängeln kann, dann ist es die spielerische Anspruchslosigkeit. So packend die Atmosphäre bis zum Schluss auch sein mag: Gefühlt alle heiligen Zeiten mal zum richtigen Zeitpunkt eine richtige von vier Tasten zu drücken, ist selbst für einen Quick-Time-Basher ziemlich öd. Fortschritte zu geistigen Vorvätern wie "Heavy Rain" (2010) oder zu "Beyond: Two Souls" (2013) sind jedenfalls keine zu sehen, eher im Gegenteil. Für Leute, die sonst eher wenig mit einer Playstation anfangen können, kann dies aber durchaus auch ein Vorteil sein.
Hat man das Spiel einmal durch und trifft in den einzelnen Episoden andere Entscheidungen als beim ersten Mal, wird man feststellen, dass der Flügelschlag des Schmetterlings doch keine Tornados auslösen kann. Soll heißen: Die Handlung wird einem nichtlinearer vorgegaukelt als sie es tatsächlich ist. Im Endeffekt ist das aber halb so wild und kann durchaus gut gehen: Hat man sich nämlich erst einmal daran gewöhnt, mit dieser interaktiven Stimmungsgranate einen (noch) recht unkonventionellen Weg der Unterhaltung einzuschlagen, wird man rund 10 Stunden lang in ein wirklich hervorragend inszeniertes Gruselkabinett gesteckt.
Aber jetzt: Horror zum Spielen
Atmosphärisch gibt es nicht viele Spiele, die "Until Dawn" das Wasser reichen können. Spielerisch dafür umso mehr. Wem Angst haben alleine nicht genug ist, der sollte sich folgende Titel zu Gemüte führen. Hat ja auch nicht jeder eine Playstation 4, die meisten nachfolgenden Nennungen kommen prima ohne aus.