Wenn das Geld nicht mehr reicht

Immer mehr Menschen kämpfen mit den stark gestiegenen Kosten fürs Wohnen. Vor allem die Energiekosten stellen viele vor Probleme. Der Sozialminister versucht, mit einem "Wohnschirm" gegenzusteuern. Betroffen seien aber inzwischen nicht nur jene, die schon bisher mit finanziellen Sorgen kämpften, warnen Experten. Auch die Mittelschicht könne die hohen Energierechnungen teils nicht mehr stemmen.

von Heizung © Bild: iStockphoto

Daniela Brodesser ist Armutsaktivistin. Was macht eine Armutsaktivistin? "In erster Linie versuche ich, zu erklären, warum Armut nichts mit dem Bild zu tun hat, das der Großteil der Menschen vor Augen hat. Wenn wir an Armut denken, sehen wir zum Beispiel Obdachlose oder Menschen, die überfordert zu Hause sitzen. Dabei gibt es fast in jedem Wohnblock jemanden, der arm ist, aber nicht als arm sichtbar sein will, etwa die Nachbarin, die alleinerziehende Mutter ist und nur Teilzeit in einem Supermarkt arbeitet, um das Kind rechtzeitig aus dem Kindergarten abholen zu können. Sie lebt weit unter der Armutsgrenze, aber man sieht es eben nicht."

Aktuell wird es allerdings immer schwieriger, Geldsorgen alleine zu stemmen. Wenn Menschen sich schämen, bei staatlichen Stellen oder karitativen Organisationen um Unterstützung zu bitten, aber nicht mehr ein oder aus wissen, melden sie sich auf sozialen Medien bei Menschen wie Daniela Brodesser. Sie versucht dann, an Stellen zu vermitteln, wo geholfen werden kann, oder stellt rasch eine Spendenaktion auf. "Ich hasse zwar nichts mehr als Spendensammlungen, weil es meiner Meinung nach nicht sein darf, dass Menschen auf Spenden angewiesen sind. Wohnen und Nahrung sind Grundbedürfnisse." Dennoch sei es oft der einfachste und auch rascheste Weg, Menschen in Not punktuell zu helfen.

Rund zehn konkrete Anfragen pro Woche mit Bitte um Hilfe erhielt Brodesser bis zum vergangenen Frühjahr. "Seit Mai sind es mindestens 100 in der Woche", sagt sie. Menschen, die schon vorher finanziell kämpften, können sich nun die angehobene Miete und die stark gestiegenen Energiekosten nicht mehr leisten.

Einer, der sich auf Twitter an Brodesser wandte, ist Andreas Freindorfer. Der Wiener ist schwer krank, zu schaffen machen ihm eine durch eine Fettleber ausgelöste Leberzirrhose und starke Schulterschmerzen nach einem Sturz. Seit November bezieht der 51-Jährige eine Invaliditätspension und erhält monatlich 1.092,37 Euro überwiesen. Doch damit kommt der gelernte Schlosser, der zuletzt mit einem Klein-Lkw als Botenfahrer tätig war, nicht über die Runden, obwohl er seit vielen Jahren in einer Gemeindewohnung lebt, kein Auto besitzt und sparsam lebt. Um 50 Euro sei zuletzt die Miete erhöht worden, für Energie zahle er nun 36 Euro mehr im Monat. "Wenn man nichts hat, ist das ur viel Geld."

Damit liegen seine Fixkosten derzeit bei 603 Euro -bleiben knapp 490 Euro für Essen, Kosmetikartikel, Kleidung und die wenigen Male, in denen er sich im Kaffeehaus mit Freunden trifft und zwei Stunden vor einem Soda Zitron sitzt. "Ich habe immer, wenn ich knapp bei Kasse war, geschaut, dass ich mir etwas ausborge, dass ich das Geld für die Rechnungen zusammenkriege. Aber es sieht ja auch bei den Freunden nicht rosig aus. Es hat niemand mehr etwas." Um Hilfe zu bitten, falle ihm grundsätzlich schwer, sagt Freindorfer. Aber nun sei es eben nicht mehr anders gegangen. Um künftig nicht mehr in Notlagen zu geraten, wird er jetzt um Wohnbeihilfe ansuchen, aber auch um Pflegegeld, da seine Mutter und sein Bruder sich um ihn kümmern. "Ich merke, dass es mir immer schlechter geht, und da hilft mir meine Familie sehr. Aber auch meine Freunde stehen mir bei." Nur mit dem Geld, da gehe es sich eben nicht mehr aus.

Mieter wissen nicht mehr weiter

Das spürt man auch dort, wo die höheren Vorschreibungen an Mieter wie Freindorfer erstellt werden: Bei Wiener Wohnen, wo die rund 220.000 Gemeindewohnungen in der Bundeshauptstadt verwaltet werden. Aber auch die steirische Wohnbaugenossenschaft ÖWG oder Wien Energie berichten von immer mehr Mietern beziehungsweise Kunden, die finanziell nicht mehr weiter wissen.

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"Dass das Thema Energie die Menschen bewegt, merken wir in unseren Servicestellen seit vielen Monaten", erzählt etwa Alexander Hoor, Sprecher von Wien Energie. "In den letzten Wochen verzeichnen wir bis zu 10.000 Anrufe an einem Tag und täglich etwa 800 Besuche im Servicezentrum Spittelau." Dort sei daher derzeit mit einer Wartezeit von rund einer Stunde zu rechnen. Grundsätzlich versuche man immer, eine Lösung zu finden -etwa eine Änderung der Teilbeträge oder Ratenvereinbarungen mit einer Laufzeit von bis zu 18 Monaten. Beides könnten Kunden auch über das Portal des Energieversorgers online erledigen. "Auch Stundungen und die Verschiebung von Zahlungsterminen sind bei Bedarf möglich. Wichtig ist aber, dass sich Kunden bei Zahlungsschwierigkeiten ehestmöglich bei uns melden."

Rasch Hilfe suchen

Das betont auch Stefan Hayden von Wiener Wohnen. "Bitte auf keinen Fall den Kopf in den Sand stecken, auch wenn alles über einem zusammenzustürzen scheint." Wiener Wohnen habe schon Jahre lange Erfahrung mit Mietern, die teils nur über ein geringes Einkommen verfügen. Hier hätten sich Case Manager -dabei handelt es sich um ausgebildete Sozialarbeiter - bewährt, die im Fall von Mietrückständen mit Betroffenen Kontakt aufnehmen. Das Team dieser Sozialarbeiter sei nun auf zwölf Mitarbeiter erhöht worden, gleichzeitig hat Wiener Wohnen mit Jahresbeginn ein neues Angebot etabliert. "Mieterinnen und Mieter, die merken, dass es langsam knapp wird, die Energierechnungen hoch sind und sie sich das Wohnen nicht mehr leisten können, wenn das so weitergeht, können vorbeugend zu Beratungsgesprächen kommen." Das Angebot werde gut angenommen und dabei überlegt, an welche Institution sich Betroffene wenden können, um Unterstützungsleistungen zu erhalten.

Neben Gemeindewohnungen sind Genossenschaftswohnungen eine günstige Möglichkeit, Wohnraum zu mieten. Christian Krainer ist nicht nur Vorstandschef der gemeinnützigen ÖWG Wohnbau, die 15.000 Mietwohnungen verwaltet, sondern auch Landesgruppenobmann und Sprecher von insgesamt 27 gemeinnützigen Wohnbaugesellschaften in der Steiermark. Auch er sagt: "Die Kostensteigerungen sind derzeit ein wesentliches Thema." Aber den Mieter interessiere am Ende nur die Gesamtbelastung: Wie viel kostet das Wohnen insgesamt?"Da wird oft nicht differenziert, ob es hier um die Miete, die Betriebskosten oder die Aufwendungen für Energie geht."

Energie treibt Betriebskosten

Krainer beschreibt zwei Preistreiber. Zum einen seien das die Energiepreise, die auch die Betriebskosten hinauftreiben. "Die Gebühren für Abwasser, für Müll, da gibt es überall Steigerungen. Wenn zum Beispiel ein großer Müllwagen zwischen 35 und 55 Liter Diesel verbraucht und sich der Dieselpreis auch deutlich verteuert hat, dann müssen die Gemeinden diese Kosten weitergeben." Der ÖWG-Manager warnt hier allerdings: Die Betriebskostenvorschreibungen für 2023 beruhen auf den Kosten von 2022 - wo die Teuerungen aber erst im letzten Jahresdrittel stark zu spüren gewesen seien. Da zudem die Vorschreibung gesetzlich nur um zehn Prozent erhöht werden dürfe, sei 2024 mit hohen Nachzahlungen für 2023 zu rechnen.

Im Genossenschaftsbereich sei zudem auch die aktuelle Zinsentwicklung ein Faktor. "Wir haben in den vergangenen 15 Jahren von den fallenden Zinsen extrem profitiert. Die letzten drei Jahre lagen sie de facto bei null." Wenn nun die Zinsen wieder ansteigen, bedeute allerdings ein Prozent mehr an Zinsen einen Euro mehr Miete pro Quadratmeter. Warum? Die Wohnbauförderung in der Steiermark ist zu 100 Prozent bankenfinanziert und durch Landesgelder mit nicht rückzahlbaren Zuschüssen gestützt. Liegen die Zinsen dann bereits bei drei Prozent, steige die Miete um drei Euro pro Quadratmeter. Das summiere sich.

Krainer hat sich eine konkrete Wohnung aus der Oststeiermark herausgesucht, um den Anstieg der Kosten aus Bewohnersicht zu illustrieren: "Für 82 Quadratmeter ist für dieses Objekt die Miete von 687 auf 855 Euro gestiegen. Die Betriebskosten sind noch relativ gleichgeblieben, aber bei den Heizkosten gab es eine Steigerung bei der Vorschreibung, von 126 auf 189 Euro im Monat. Das heißt, diese Wohnung ist de facto um etwas mehr als 230 Euro teurer geworden."

Wer kann, zieht um

Bei der ÖWG merkt man daher, dass der Trend zu kleineren Wohnungen gehe. "Wer bisher auf 90 Quadratmeter wohnte, sieht sich nun nach 80 oder 75 Quadratmetern um. Kinder haben dann kein eigenes Zimmer mehr, sondern zwei Kinder teilen sich eines." Mit Wohnungskündigungen sei man vor allem durch junge Bewohner konfrontiert. "Viele leben in einer Partnerschaft, aber jeder blieb bisher in seiner 50-Quadratmeter-Wohnung. Jetzt ziehen diese Paare entweder zusammen, oder beide kündigen die Wohnung und kehren ins Hotel Mama zurück. Das kommt derzeit recht häufig vor." Probleme hätten zudem auch einige der älteren Mieter und Mieterinnen, da komme aber oft ein Wohnungswechsel nicht in Frage. "Einen alten Baum verpflanzt man nicht leicht." Hier könne man nur helfen, indem um Zuschüsse seitens der öffentlichen Hand angesucht werde.

Krainer merkt aber auch an: Wohnen sei über die Jahrzehnte günstiger geworden, gleichzeitig seien die Standards gestiegen. Rund 18 Prozent des monatlichen durchschnittlichen Familiennettoeinkommens seien 2020 für das Wohnen aufgewandt worden, vor 30 Jahren sei dieser Wert allerdings bei 35 Prozent gelegen. "Die Prioritätensetzung passt nicht mehr. Was war - zumindest bis vor Corona -den Menschen wichtig? Ein schöner Sommerurlaub, ein schöner Winterurlaub, gut angezogen zu sein, gut Essen zu gehen, mindestens ein Handy pro Person, meistens zwei Autos pro Familie."

In diese Kerbe schlägt auch Anton Holzapfel, Sprecher des Österreichischen Verbands der Immobilienwirtschaft, in der auch rund 400 Hausverwaltungen vertreten sind. "Ich glaube, Krisenresilienz ist etwas, was viele von uns erst wieder lernen müssen. Verzicht ist ein schmerzlicher Prozess, dennoch sehe ich derzeit nicht alles zusammenbrechen." Vor 50 Jahren habe man einen weit höheren Anteil des Einkommens fürs Wohnen und Essen ausgegeben. In diese Richtung gehe es nun wieder.

Mit dem Vermieter verhandeln

Am freien Mietmarkt gebe es jedenfalls noch keine großen Klagen über zahlungsunfähige Mieter, berichtet Holzapfel. "Ich höre von Einzelfällen, wo Mieter sagen, ich muss etwas Günstigeres suchen, aber das ist noch kein Trend." Er räumt aber ein, dass, wenn in kurzen Abständen drei Mal die Miete erhöht werde, es schon Menschen gebe, die den Vermieter fragen, ob man sich hier auf etwas einigen könne. "Das ist dann abhängig vom jeweiligen Eigentümer. Wenn es ein einzelner Wohnungseigentümer ist, der eine Anlegerwohnung hat, will er vielleicht nicht einen anderen Mieter finden müssen und ist gesprächsbereit. Andere sagen: 'Das ist die gesetzliche Wertsicherung, da kann ich dir nicht helfen.' Ein Assetmanager eines Fonds zum Beispiel muss auf Erhöhung bestehen, der kann nicht sagen, er verzichtet freiwillig, der muss sich gegenüber seinen Eigentümern verantworten."

Eine der im ÖVI vertretenen Hausverwaltungen ist die Gebäudeverwaltung Rustler. Sie verwaltet rund 25.000 Einheiten in 1.600 Häusern, etwa die Hälfte davon sind Wohnungen, erklärt Geschäftsführer Martin Troger. "Wir vertreten sowohl Zinshauseigentümer, die ihre Objekte seit langem in Familienbesitz halten, als auch große Immobilienfonds und gewerbliche Anleger." Bis jetzt sei man als Hausverwaltung nur in Ausnahmefällen damit konfrontiert, dass Mieten nicht gezahlt würden. Er gibt zudem zu bedenken, dass die Betriebskosten zuletzt deutlich stärker angestiegen seien als die Nettomieten, die der Vermieter beeinflussen könne. Letztlich würden aber auch diese tendenziell auf Grund der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen steigen. "Viele der Zinshauseigentümer legen großen Wert auf Instandhaltung und Zustand der Objekte. Deshalb kann sich Wien auch im internationalen Vergleich zeigen, was die Qualität der Häuser betrifft."

Kritik an Mieterhöhungen

Dieser Argumentation kann Walter Rosifka, Leiter des Teams Wohnen in der AK Wien, wenig abgewinnen. "In Wien wurden im vergangenen Jahr Mieten für manche bis zu vier Mal angehoben", erzählt er. Die AK bekomme spürbar mehr Anfragen zu Mieten, aber auch zu Strom-und Gaskosten, die sich teils verdrei-, vervier-, verfünffacht hätten. Hier ist die Wohnrechtsberatung der AK zwar nicht zuständig und verweist dann an den jeweiligen Energieanbieter beziehungsweise die E-Control, "aber die Leute erzählen uns natürlich von ihrer Not".

Rosifka fordert daher eine Mietpreisbremse: "Es darf nur mehr eine Erhöhung pro Jahr geben, und die darf nicht mehr als zwei Prozent betragen." Andere Länder wie Spanien oder Portugal hätten schon eine solche Mietpreisbremse. Das Argument der Immobilienbesitzer, dass ihre eigenen Lebenshaltungskosten auch steigen würden, lässt er nicht gelten. "Die Mieteinnahmen sind ein Kapital-, kein Arbeitseinkommen. Da habe ich sogar noch eine Wertsteigerung. Wertsteigerung plus Inflationsausgleich, das ist völlig absurd."

Laut den jüngsten Daten aus der Krisenfolgenbeobachtung der Statistik Austria hatten im vierten Quartal 2021 zwölf Prozent der 16-bis 69-Jährigen Zahlungsprobleme bei Wohnkosten befürchtet. Im dritten Quartal 2022 waren es 30 Prozent. Das sind 1,9 Millionen Betroffene. Nicht nur bei der AK schlagen daher derzeit verstärkt Anfragen von Menschen auf, die durch die gestiegenen Wohnkosten in finanzielle Notlagen geraten sind.

Heizkosten explodieren

Gudrun Steinmann leitet das Team Finanzbildung der Schuldnerberatung Wien des Fonds Soziales Wien. Sie erzählt etwa von dem Fall eines Geschwisterpaares, das in einer 90-Quadratmeter-Altbauwohnung lebt. Die monatliche Rechnung für Strom und Heizung sei von 150 auf 400 Euro gestiegen. Eine Dame wiederum habe angerufen und berichtet, die monatliche Gasrechnung sei von 80 auf 200 Euro erhöht worden, gleichzeitig müsse sie aber auch noch eine Nachzahlung von 950 Euro berappen. "Hier ist es dann wirklich wichtig, sofort mit dem Energieanbieter Kontakt aufzunehmen und zu schauen, wie das zurückgezahlt werden kann." Sie rät allerdings davon ab, sich mit den Raten allzu lange Zeit zu lassen. Es sei zwar gesetzlich möglich, die Zahlungen bis zu 18 Monate lang aufzuschieben. "Aber nach zwölf Monaten kommt die nächste Abrechnung und dann gibt es vielleicht wieder eine Nachzahlung."

Oft sei es ein Konglomerat an Problemlagen, mit denen sich Menschen an die Schuldnerberatung wenden. Da seien zum einen die steigenden Kosten, aber oft auch noch verbunden mit einer geänderten Einkommenssituation, etwa durch Scheidung, Trennung, Arbeitslosigkeit, ehemalige Selbstständigkeit. Dann müsse man sich in einer Beratung ansehen, wo es Einsparungsmöglichkeiten gibt: Beim Fitnessstudio etwa, beim Streamingdienst-Abo oder dem Auto. "Wir versuchen auch, klarzumachen, dass es Dinge gibt, die prioritär zu bezahlen sind. Das sind Miete, Strom, die Heizung, Lebensmittel." Hier berät die Schuldnerberatung Wien im Rahmen von kostenlosen Budgetberatungen, wo es Sparpotenzial gibt. "Hier müssen viele umdenken und die Gewohnheiten des täglichen Lebens ändern."

Doch es gebe eben auch vermehrt Anfragen von Menschen, deren Lebensumstände sich nicht verändert haben, die aber mit den teils um ein Mehrfaches angestiegenen Energiekosten sehr kämpfen, berichtet Steinmann. "Dieser massive Anstieg war für viele nicht absehbar und bereitet ihnen Probleme." Nun kann hier an eine relativ junge Einrichtung verwiesen werden: den "Wohnschirm". Dabei handelt es sich um eine Unterstützungsmöglichkeit, die im Vorjahr vom Sozialministerium in Kooperation mit verschiedensten NGOs österreichweit ausgerollt wurde.

Regierung spannt "Wohnschirm" auf

Im Zug der Coronapandemie drohte zudem vielen Menschen Wohnungsverlust. Hier sollte entgegengewirkt werden. Das Konzept wurde von der Volkshilfe Wien im Auftrag des Sozialministeriums erstellt, die auch mit der Abwicklung des Programms beauftragt wurde und in der Folge Kooperationsverträge mit Delogierungspräventionsstellen in ganz Österreich abschloss, wie Alexandra Adam von der Volkshilfe Wien erklärt. Für diese Wohnungssicherung wurden von 2022 bis Ende 2023 24 Millionen Euro zur Verfügung gestellt, bis Ende des Vorjahres wurden davon sieben Millionen ausbezahlt, um einen Wohnungsverlust abzuwenden.

Diesen Jänner ließ dann Sozialminister Johannes Rauch aufhorchen. "In Österreich darf niemand frieren", betonte er. "Wir stellen sicher, dass jeder eine warme Wohnung hat. Deswegen übernimmt der Wohnschirm ab sofort auch Energiekosten." Dafür wurden die Mittel massiv aufgestockt: Bis Ende 2026 gibt es zusätzlich 110 Millionen Euro. Seit Bekanntgabe der Erweiterung des "Wohnschirms" in Richtung Unterstützung für Energiekosten "steht das Telefon bei uns nicht mehr still", erzählt Adam. "Die Mitarbeiter unserer Beratungsstellen kommen mit den Anfragen nicht mehr nach. Die Energiekosten sind aktuell ein extrem großes Thema."

Unterstützung ist beim "Wohnschirm" immer mit Beratung verbunden. Wer mit der Miete in Verzug geraten ist, erhält hier einmalig Hilfe, wird dann aber weiter betreut, um sicherzustellen, dass der oder die Betroffene in der Wohnung bleiben kann. Unterstützung für die Energiekosten kann dagegen einmal pro Jahr beantragt werden. Es werden Rückstände übernommen, es wird aber auch für künftige Kosten eine Pauschale ausgezahlt. Diese geht entweder an den jeweiligen Energieanbieter, es können aber etwa auch Öl-oder Pelletsrechnungen damit abgedeckt werden.

Unterstützung für Eigentümer

Die Unterstützung sei so konzipiert worden, "dass auch die Mittelschicht davon profitiert", so Adam. Daher könnten auch Wohnungs-und Hauseigentümer hier um Hilfe ansuchen, sofern sie über keine Rücklagen verfügen. Bis zu 660 Euro gibt es für eine Person, 1.060 Euro für einen Zwei-Personen-Haushalt, 1.460 Euro für drei Personen, 1.620 Euro für vier Bewohner und dann 140 Euro für jede weitere Person. "Wir merken, dass das Energiethema eben auch die Mittelschicht betrifft. Das Durchschnittseinkommen beträgt in Österreich laut Statistik Austria 30.000 Euro im Jahr. Und mit diesem Einkommen fängt es schon an, schwierig zu werden."

Mittelschicht gerät unter Druck

Maria Lodjn ist Lehrerin an einer Mittelschule in Wien. "Ich verdiene gut", sagt sie, aber dennoch musste sie schlucken, als im Juli eine Nachzahlung von 1.874 Euro von Wien Energie eintrudelte. Gleichzeitig wurden sehr hohe monatliche Beiträge vorgeschrieben: Diese konnte sie schließlich im Gespräch mit dem Energieanbieter von 836 Euro monatlich auf 426 Euro senken. Dem vorausgegangen war ein Vertragswechsel. Bis Ende 2021 hatte Lojdn mit ihrer Mutter in einer 186 Quadratmeter großen Altbauwohnung gewohnt, nach deren Ableben übernahm sie diese als Hauptmieterin. Die Miete stiegt für sie zwar von den 756 Euro Friedenszins, den die Mutter gezahlt hatte, auf 1.294 Euro inklusive Betriebskosten -das, weiß Lodjn, ist allerdings für eine Wohnung dieser Größe dennoch am heutigen Mietmarkt günstig.

Inzwischen hat sie aus den Räumlichkeiten eine Wohngemeinschaft gemacht: Neben ihr leben auch ihr erwachsener und berufstätiger Sohn sowie eine Studentin und manchmal auch eine Enkelin hier. Gemeinsam stemmt man die Miet-und Energiekosten, für letztere wurde eine Ratenzahlung vereinbart. Sie müsse hier um keine Unterstützungsleistungen ansuchen, betont die Lehrerin, die aus ihrem beruflichen Alltag von ihren Schülern und Schülerinnen weiß, wie groß die Not teilweise ist "und dass es da Eltern gibt, die sich das Leben nicht mehr leisten können. Ich habe zum Beispiel oft den Eindruck, dass manche Kinder zu wenig zu essen bekommen." Daher betont sie auch mehrmals, dass es ihr grundsätzlich gut gehe und am Ende alles zu stemmen sei. "Aber in den Urlaub fahre ich jetzt zum Beispiel nicht. Ich brauche das Urlaubsgeld, um die Energierechnungen zu zahlen. Trotz meines guten Gehalts habe ich keine Ersparnisse, da ich über Jahre meine Mutter unterstützt habe, die zuletzt von einer 24-Stunden-Hilfe gepflegt wurde."

In eine kleinere Wohnung zu übersiedeln, kommt für Lodjn nicht in Frage. Sie habe sich den Wohnungsmarkt angesehen und sei zum Schluss gekommen, dass ein Umzug nicht unbedingt zu einer Verringerung der Kosten führen würde. Da sei die WG-Lösung praktikabler. Auch die Experten von AK, der Schuldnerberatung und dem Wohnschirm raten hier, gut abzuwägen. Einerseits seien heute bereits zwei Drittel der neuen Mietverträge befristet, gibt Adam zu bedenken. Andererseits gibt es für die günstigeren Genossenschaftswohnungen und auch für größere Gemeindewohnungen lange Wartezeiten. Auf der Warteliste auf eine Wohnung der ÖWG stehen aktuell zum Beispiel 4.000 Personen, sagt Krainer.

Es gibt wieder günstigere Angebote

Wer zuletzt einen neuen Vertrag mit einem Energieversorger abschloss, zahlte höhere Preise als Bestandskunden -inzwischen gebe es aber auch wieder günstigere Neukundenangebote, sagt Wolfgang Urbantschitsch, Vorstand der E-Control. "Der Preis für einen Haushalt hängt daher sehr stark von dem Zeitpunkt ab, an dem ein neuer Energieliefervertrag eingegangen wurde", so Urbantschitsch.

Für Strom lag der mittlere Preis für die Kilowattstunde diesen Jänner für Bestandskunden bei 23,12 Cent -für Neukunden dagegen bei 42,54 Cent. Ähnliches gilt auch für den Gaspreis. Neue Kunden zahlten diesen Jänner im Schnitt 17,32 Cent pro Kilowattstunde, Gasbezieher mit einem schon bestehenden Vertrag dagegen im Schnitt nur 11,90 Cent. Der massive Anstieg der Energiekosten lässt sich besonders gut im Jahresvergleich ablesen. Im Jänner 2022 kostete für Bestandskunden die Kilowattstunde Strom durchschnittlich 9,95 Cent und die Kilowattstunde Gas 3,45 Cent.

Immer mehr Menschen wenden sich daher auf Grund massiv erhöhter Vorschreibungen für Energie an die E-Control. Rund 30.000 Anfragen habe man 2022 in der Beratungsstelle verzeichnet, das sei ein Plus von 260 Prozent gegenüber dem Jahr zuvor, betont Urbantschitsch. Die Schlichtungsstelle war mit 2.800 Anfragen und Beschwerden (plus 120 Prozent gegenüber 2021) und 1.800 Verfahren (plus 180 Prozent) beschäftigt. "Der Tarifkalkulator verzeichnete ein Allzeithoch mit einer Verdreifachung der Besucherfrequenz."

Hohe Teilzahlungen

Beschwerden betreffen vor allem hohe Teilzahlungsbeträge. Meist sei dann allerdings bei einer Überprüfung kein Fehler festzustellen. "Die Höhe der Teilzahlungsbeträge setzt sich aus der angenommenen Verbrauchsmenge und dem Energiepreis zusammen. Da die Energiepreise bei vielen Lieferanten stark gestiegen sind, erklärt sich daraus in den meisten Fällen die Höhe des Teilbetrags." Urbantschitsch gibt hier zu bedenken: den Teilbetrag herabsetzen zu lassen, sei oft kurzsichtig. "Bei Preiserhöhungen ist es grundsätzlich gut, wenn die Teilbeträge auch entsprechend angepasst werden, da sonst bei der Jahresabrechnung eine hohe Nachzahlung droht."

Auch der Vorstand der E-Control appelliert an alle, die in Sachen Energierechnung nicht mehr weiter wissen, sich um Unterstützungen der öffentlichen Hand zu bemühen oder sich an karitative Einrichtungen beziehungsweise den "Wohnschirm" zu wenden. Letzterer betreue eben bewusst auch Menschen, die bisher nicht mit Geldsorgen konfrontiert waren. Die hohe Inflation sorgt bis weit in die Mittelschicht hinein für finanzielle Probleme, berichten Einrichtungen wie die Volkshilfe oder das Rote Kreuz. Und die nächsten Teuerungen könnten bereits vor der Türe stehen. Die AK hat berechnet, dass Altbaumieten inflationsbedingt mit dem 1. April um 8,6 Prozent steigen könnten. Davon betroffen wären österreichweit rund 776.000 Mieter.

Dieser Beitrag erschien ursprünglich im News-Magazin Nr. 06/2023.