Die alten Frauen
aus der Todeszone

Wie lebt man als eine der wenigen Rückkehrer in Tschernobyl heutzutage?

Das Unglück jährte sich heuer zum dreißigsten Mal: Am 26. April 1986 explodiert der Block 4 des Atomkraftwerks Tschernobyl. Die freigesetzte radioaktive Strahlung ist bis zu 40 Mal so stark wie jene durch die Atombomben von Hiroshima und Nagasaki. Später wird eine 30-Kilometer weite Evakuierungszone eingerichtet. Aber nicht alle leisten den Anweisungen der Regierung folge. Einige der Bewohner kehren zurück in die Todeszone.

von
Tschernobyl - Die alten Frauen
aus der Todeszone

Die Rückkehrer

70 Dörfer werden geräumt. Familien werden zwangsevakuiert. Der Großteil bleibt nach der Katastrophe in den Städten, in denen von der Regierung Unterkünfte geschafften werden. Manche aber wollen zurück in die evakuierte Zone – auf eigene Gefahr und illegal. Sie werden auch Samosely genannt – russisch für „die Rückkehrer“.

Es handelt sich meist um Frauen, die in den Dörfern und Städten rund um Tschernobyl aufgewachsen sind und sich dort eine Lebensgrundlage aufgebaut haben. Sie alle sind in den besten Jahren, um die fünfzig bis sechzig Jahre. Sie wollen ihr gewohntes Umfeld nicht verlassen und kehren zu ihren Häusern, Höfen und Gärten zurück.

Die Gefahr, der sie sich aussetzen, ist den Rückkehrern oft nicht bewusst. Sie machen weiter wie zuvor. Es werden Ernten bestellt, Tiere gefüttert. Von den Erträgen wird gelebt. Die Frauen kommen gut zurecht mit allem, was sie selbst anbauen. Warnungen vor einer Verseuchung der Lebensmittel werden ignoriert, wie der "Spiegel Online" berichtete.

Wenige Bewohner – tiefe Freundschaften

Es gibt nicht viele Bewohner in der Sperrzone. Die Behausungen der Damen sind verfallen, morsch und brüchig. Man glaubt, sie müssen unglücklich sein mit den Bedingungen in denen sie leben. Nur das nötigste steht in den Behausungen bereit. Ein Bett, ein Tisch, Stühle und alte Decken. Doch das Gegenteil ist der Fall. Enge Freundschaften verbinden die Rückkehrer. Mehrmals wöchentlich machen sich die rüstigen Frauen auf den Weg zum nächsten bewohnten Haus, das oft mehrere Kilometer weit entfernt liegt. Dort wird dann gekocht, getrunken und getanzt. Besuch aus der Familie ist sehr selten, da die Einreise in die 30-Kilometerzone nur mit einer Genehmigung gestattet ist. Umso mehr verbindet die alten Frauen eine sehr tiefe Freundschaft.

Die Reportage "Die Babuschkas von Tschernobyl - Leben in der Todeszone" veranschaulicht auf beeindruckende Art und Weise, wie die alten Frauen ihren Alltag meistern.

Der unsichtbare Tod

Die Umstände scheinen die alten Frauen körperlich nicht negativ zu beeinflussen. Nicht mehr als alte Frauen, die nicht in einer radioaktiven Sperrzone leben. Alle Wehwehchen werden als die üblichen Alterserscheinungen abgetan.

Die Folgen einer radioaktiven Bestrahlung sind alles andere als nicht vorhanden. Die alten Bewohner des Gebietes kennen ein anderes Leben nur nicht. Anders als bei den Kindern, die nach Tschernobyl auf die Welt gekommen sind und an Missbildungen, Krebs und Tumoren leiden, äußern sich die Folgeschäden bei den alten Bewohnern der Sperrzone nicht anschaulich. Das Ausmaß der gesundheitlichen Folgen ist bis heute nicht zu überblicken.

Ein bisschen Normalität

Mittlerweile werden die Rückkehrer von der Regierung geduldet. Für die wenigen, die sich in der Sperrzone angesiedelt haben, gibt es sogar so etwas wie eine Infrastruktur. Jedes Monat wird ihnen per Bote ihre Rente vorbei gebracht. Hilfsorganisationen schauen nach dem Rechten und bringen Brot oder andere seltene Lebensmittel mit. Ärzte besuchen die mittlerweile alten Menschen, um bei Beschwerden zu helfen. Es gibt auch kleine Supermärkte. Zu Feiertagen werden Busse organisiert, um die Bewohner in der Sperrzone in Kirchen oder Gasthäuser zu bringen.

Die Bewohner des Sperrgebiets sind zäh und erreichen trotz täglicher Strahlenbelastung ein stattliches Alter. Aber die Samosely sind eine aussterbende Gesellschaft. Laut der ukrainischen Online-Seite "Ura-inform.com" zählte man 2012 noch 197 Personen. Zahlen aus dem Jahr 2016 gibt es nicht. Sicher ist nur, dass es immer weniger werden.

Kommentare