Tödliche Transplantation:
Pfusch am offenen Herzen

Ein Spenderherz sollte Blankas Mann Drago ein längeres Leben schenken -doch schon vier Tage nach dem Eingriff war es zu Ende. Transplantationen im Zwielicht: Wer soll überhaupt operieren dürfen? Und -sind die Chirurgen, die es derzeit tun, gut genug?

von Chronik - Tödliche Transplantation:
Pfusch am offenen Herzen © Bild: Ricardo Herrgott/News

Die 40-Quadtratmeter-Wohnung am Stadtrand von Köflach wirkt wie ein begehbarer Schrein: In jeder Ecke, auf jedem Regal, hinter jeder Glasvitrine hat Blanka kleine Erinnerungen an ihren Drago drapiert. Die vergilbten Fotos vom gemeinsamen Adriaurlaub, seine Armbanduhr, seinen Ehering mit eingraviertem Hochzeitsdatum, dem 30.12.1978. Bis weit ins neue Jahr hinein habe man damals gefeiert, vier Tage und vier Nächte, fast ohne Unterbrechung. Direkt daneben ein Foto von Dragos Begräbnis im Mai 2016. Blanka ließ für ihren Mann eine weiße Taube fliegen und sein Lieblingslied spielen -"Geboren, um zu leben" von Unheilig: "Ich denke an so vieles, seit du nicht mehr bist, denn du hast mir gezeigt, wie wertvoll das Leben ist." So glücklich waren die beiden miteinander gewesen, so unbeschwert.

Doch dann erkrankt Drago - das Herz. Was folgt sind Jahre zwischen Ungewissheit und Hoffnung. Und schließlich, am 17. Mai 2016, um 22.30 Uhr, kurz vor dem Einschlafen, der erlösende Anruf -ein Spenderorgan. Fünf Tage später ist Drago tot. Das geschenkte Herz, das gesunde, es war während der Entnahme irreparabel beschädigt worden und wird dennoch eingesetzt. Denn das alte, das schwache, ist da bereits entnommen. Darf das denn sein? Die Klinik bietet Blanka im Rahmen einer Abfertigungserklärung 12.000 Euro an. "Ohne Anerkennung jedweder Haftungsgrundlage", heißt es darin, dafür aber mit einer "Verschwiegenheitsverpflichtung". Doch Blanka will nicht schweigen: "Es geht mir nicht um Geld, sondern um Gerechtigkeit", sagt sie. Wie kann geniale Medizin so brutal versagen? Das ist, was sie wissen will, ohne es wohl je zu verstehen.

Glück und Liebe

Als Blanka ihren Drago kennenlernt, ist sie gerade 19, er 23. Die beiden gebürtigen Slowenen leben noch in ihrer Heimatstadt Maribor. Im Wirtshaus Zum schwarzen Holz fordert er sie erstmals zum Tanzen auf. "Daddy Cool", dann "Rivers of Babylon", es sind die späten Siebziger, und Drago steht auf Boney M. "Er war so ein guter Tänzer, mit meinen 49 Kilo bin ich in seinen Armen beinahe geflogen", erzählt Blanka. Ein Entertainer sei er gewesen und doch so einfühlsam, so verständnisvoll. Dass er der Eine ist, das sei ihr rasch klar gewesen. Denn irgendwie schien ihr: "Der Herrgott will, dass wir gemeinsam leben -gemeinsam überleben." Zunächst.

© Ricardo Herrgott/News

Dragos knallroter Zastava 500, ein Kleinstwagen, wird von einem fünf Tonnen schweren Lkw erfasst. Das Dach wird weggefetzt, Blanka wie ein Dummy aus dem Wagen geschleudert. Drago kracht mit dem Kopf gegen den Lenker, sein Kiefer ist an vier Stellen gebrochen, doch er wird rasch wieder ganz gesund, und Blanka bleibt bis auf ein paar Hämatome unverletzt. "Sobald es ihm wieder gut ging, haben wir geheiratet."

Die beiden gehen gemeinsam ins steirische Köflach: die erste Wohnung, gemütlich, aber nicht luxuriös; zwei brauchbare Jobs, er im Gastgewerbe, sie im Einzelhandel. Sie sind fleißig, machen Überstunden, richten sich in bescheidenem Wohlstand ein. Einmal im Jahr Sommerurlaub an der Makarksa Riviera, einmal im Jahr Winterurlaub in der Therme Moravske Toplice. "Wir hatten keine Träume", sagt Blanka. "Das Leben, das wir hatten, war unser Traum, und wir waren richtig glücklich damit."

Ungewissheit und Hoffnung

Drago ist um die 40, als sein Leben zum ersten Mal außer Takt gerät: Herzrhythmusstörungen - in einem reibungslos verlaufenden Eingriff wird ihm ein Herzschrittmacher eingesetzt. Gut eineinhalb Jahrzehnte lebt er mit dem künstlichen Tempomaten, doch mit 56 Jahren ereilt ihn ein Schlaganfall, tags darauf ein Hirninfarkt. Drago muss fünf Wochen im Spital bleiben, erhält nun auch noch einen Defibrillator. Blanka weiß: Dieser drahtige Kerl aus dem Wirtshaus Zum schwarzen Holz, dieser leidenschaftliche Tänzer ist fortan ein schwerkranker Mann. Doch nach der Reha kann er sogar wieder selbst Auto fahren. "Er hat sich ins Leben zurückgekämpft, weil wir immer positiv gedacht haben", sagt Blanka. "Wir können nur gewinnen", das sei ihr gemeinsames Motto gewesen. Erst recht, als man Drago mit seinen nunmehr 60 Jahren am Ende des Jahres 2015 auf die Warteliste für ein Spenderherz setzt. Eine Liste der Hoffnung -noch.

Alarm und Abschied

Alles muss jetzt plötzlich sehr schnell gehen: Am späten Abend des 17. Mai 2016 wird Drago mit Blaulicht die gut 50 Kilometer von Köflach ins Landeskrankenhaus Graz transportiert. Dort, so sagte man ihm zuvor am Telefon, warte bereits ein geeignetes Spenderherz. "Natürlich war da Erlösung, dass das Warten endlich ein Ende hatte", sagt Blanka. Doch dann gerinnen die Minuten und werden zu Stunden, und die Sonne ist längst schon wieder aufgegangen und steht hoch am Himmel, ehe Drago in den OP gerollt wird. "Ich hoffe, ich bin keiner von denen, die sterben müssen", sagt er noch, als Blanka sich von ihm verabschiedet. "Halte durch, wir sehen uns", ruft sie ihm nach. Das sind die letzten Worte, die sie wechseln. Für immer.

"Schnittzeit 11.57 Uhr", vermerken die Ärzte in ihrer Operationsdokumentation, "Nahtzeit 20.24 Uhr". Doch was passiert in den knapp achteinhalb Stunden dazwischen? Und vor allem - was war unmittelbar davor irgendwo in einem anderen Operationssaal passiert?

Expertisen und Widersprüche

"Meiner Mandantin geht es nicht um Geld, sondern um Aufklärung und Verantwortungsübernahme für den Tod ihres Gatten", sagt die Grazer Anwältin Karin Prutsch, die in der Steiermark als führende Expertin für ärztliche Kunstfehler gilt. Deswegen hat sie in Blankas Namen nun wegen des Verdachts auf grob fahrlässige Tötung Anzeige gegen die Steiermärkische Krankenanstaltengesellschaft, kurz Kages, erstattet. Niemals, sagt Prutsch, hätte man Dragos Herz entnehmen dürfen, bevor sichergestellt sei, dass das Spenderorgan in einwandfreiem Zustand sei.

Professor Rainald Seitelberger ist in Österreich eine der erfahrensten Kapazitäten für Eingriffe am Herz. Derzeit ist er Vorstand der Salzburger Herzchirurgie, 3.840 herzchirurgische Eingriffe, 55 Herztransplantationen und 41 Spenderherzentnahmen hat er im Laufe seiner Karriere durchgeführt. Er erstellt für die gemeinsame Schlichtungsstelle der Ärztekammer Steiermark und der Kages ein Gutachten zu Dragos tragischer Transplantation und hält in Bezug auf die Spenderherzentnahme dezidiert fest: "Die Verletzung des Herzens während der Entnahme war der primär auslösende Faktor für die Kaskade an weiteren Komplikationen, die schlussendlich zum Tod des Patienten vier Tage nach der Transplantation geführt haben." Aber was waren die Gründe, weshalb das Spenderherz nicht verwendbar war?"Allein die Fragestellung zeigt, wie unsachgemäß hier die verbreiteten Informationen sind, da das Herz ja implantiert wurde und der Empfänger damit auch ohne Unterstützung der Herz-Lungen-Maschine gelebt hat", erklärt man seitens der Kages auf News-Anfrage.

Dragos geschenktes Herz - wie kaputt ist es vor seiner Einpflanzung? Die Pulmonalarterie, also jene Schlagader, die das sauerstoffarme Blut vom Herzen zur Lunge führen soll, ist verletzt; die Aorta Ascendens, also die aufsteigende Herzaorta, ist verletzt; die Aortenwurzel ist verletzt und auch die Koronarostien, also die Herzkranzgefäße. "Hierbei", hält der unabhängige Gutachter Seitelberger fest, "handelt es sich um ein chirurgisch-technisches Problem, das nur mit mangelnder Fachkenntnis und Erfahrung respektive Übung oder ungenügenden chirurgisch-technischen Fähigkeiten zu erklären ist." Seitens der Kages verweist man auf ein Privatgutachten, das in Reaktion auf Seitelbergers Expertise in Auftrag gegeben wurde: "Unsere ebenfalls hochrangigen Transplantationsexperten plus ein anderer externer Gutachter kommen zu sehr unterschiedlichen Sichtweisen."

Aber warum wurde mit dem Eingriff an Drago nicht so lange zugewartet, bis Klarheit über die Verwendbarkeit des Spenderherzens herrschte? Der unabhängige Gutachter spricht von "gravierendem Organisationsverschulden", die Kages bedauert: "Leider verbietet uns der Datenschutz, öffentlich über konkrete Patienten zu debattieren." Doch die grundsätzliche Frage lautet: Braucht es klarere Rahmenbedingungen für die ungemein prestigeträchtigen, aber hochkomplexen Herztransplantationen?

Trauer und Wut

Am 19. Mai -einen Tag nach der Transplantation, der noch drei weitere OPs folgen sollten - sieht Blanka ihren Drago zum letzten Mal lebend. "Er lag auf der Intensivstation, hing an drei, vier verschiedenen Apparaten, wirkte wie durchsichtig." Am 22. Mai, einem Sonntag, werden schließlich die Maschinen abgedreht. "Postoperatives Versterben", nennen das die Mediziner.

© Ricardo Herrgott/News

"Die Kages will mich zum Schweigen bringen, aber das kann und werde ich nicht zulassen", sagt Blanka. Vor drei Jahren galt sie noch als völlig gesund. Doch nun liegen auf ihrem kleinen Küchentisch - wie zum pharmakologischen Stillleben verdichtet - vier Medikamentenpäckchen: ein Antidepressivum, ein Angstlöser, ein Blutdrucksenker, ein Schmerztöter. Nur gegen ein gebrochenes Herz konnte ihr der Hausarzt bislang noch nichts verschreiben.