Habe ich die Tür wirklich zugesperrt?

Irgendeine harmlose Marotte hat wohl jeder Mensch. Aber: Was ist noch normal?

David Beckham kann es nicht ertragen, wenn eine ungerade Anzahl Getränkedosen im Eiskasten steht. Tennisprofi Rafael Nadal stellt die Wasserflasche nach jedem Schluck in einem längeren Prozedere zentimetergenau zurück. Hollywood-Star Cameron Diaz hält es nicht aus, wenn das Filmset verdreckt ist, und greift schon einmal zum Putzeimer.

von Leben - Habe ich die Tür wirklich zugesperrt? © Bild: iStockphoto.com

"Verrückt bei klarem Verstand" nennt der deutsche Psychologe Bernhard Osen so ein Verhalten und beruhigt: "Fast jeder hat kleine Marotten. Es gibt praktisch nichts, was es nicht gibt. Krank ist man deshalb aber noch lange nicht."

»Sie bändigen dadurch ein Chaos«

"Zwänge bestimmen unser Leben", sagt Heinz Laubreuter, Vorstand der Wiener Gesellschaft für psychotherapeutische Versorgung. "Manche rennen dreimal in den dritten Stock, um zu prüfen, ob die Haustüre auch wirklich abgeschlossen und der Herd abgedreht ist. Die Menschen kontrollieren mehr, als nötig ist." Aber das Ritual hat eine beruhigende Wirkung. "Es gibt Menschen, die Bleistifte zu geraden Linien legen", sagt Laubreuter weiter. "Sie bändigen dadurch ein Chaos, das es gar nicht gibt. Trotzdem beruhigt sie die Symmetrie. Die Menschen fühlen sich durch ihr Handeln einfach wohler, auch wenn sie von vielen Seiten belächelt werden."

Die meisten Tics sind völlig harmlos

Eine krankhafte Störung liegt erst vor, wenn Marotten mehr als eine Stunde am Tag in Anspruch nehmen, wenn sie als belastend empfunden werden und den Alltag beeinträchtigen.

Wer dreimal am Tag überprüft, ob die Haustüre zugesperrt ist, braucht sich keine Sorgen zu machen. Sich fünfmal am Tag die Hände zu waschen, ist auch normal. Tut man es hundertmal, leidet sicher der Tagesablauf. "Wer das Gefühl hat, dass Handlungen nur schlechte Angewohnheiten sind, ist sicherlich gesund", sagt Psychiater Wolfgang Fleischhacker von der Universitätsklinik Innsbruck.

Übergang zum Krankhaften fließend

Der Übergang von einfachen zu krankhaften Marotten ist oft jedoch fließend. "Menschen mit krankhaften Zwangsstörungen müssen eine bestimmte Handlung so machen und nicht anders, sonst sind sie völlig verzweifelt", erklärt Fleischhacker. "Sie fangen an zu schwitzen, empfinden starke Ängste und sind nicht imstande, die Handlung zu unterdrücken, obwohl sie erkennen, dass sie völlig unsinnig ist. Tics können das Leben der Betroffenen ruinieren, im Extremfall kann das bis zum Tod führen."

Die Ursachen

Rund zwei bis drei Prozent der Bevölkerung leiden unter krankhaften Zwangsstörungen. Sie entwickeln sich schleichend und bleiben oft unerkannt. Die Ursachen sind nicht restlos geklärt. Erbliche Veranlagung und die individuelle Gehirnchemie spielen eine entscheidende Rolle. Experten gehen davon aus, dass bestimmte Faktoren in der Erziehung oder persönliche Lernerfahrungen bei der Art von Zwängen mitwirken. Dazu zählen beispielsweise eine übertriebene Sauberkeitserziehung oder ein ängstlicher Erziehungsstil. Zwangsstörungen treten bereits im Kindes- und Jugendalter auf. Wichtig ist, dem Kind Aufmerksamkeit zu schenken - und nicht dem Tic. Dann vergehen die meisten Marotten von allein wieder.

Erfolgreichste Behandlungsmethode ist die Verhaltenstherapie. Durch sie können 70 Prozent der Betroffenen geheilt werden oder zumindest lernen, mit ihrem Tic umzugehen. Zu Medikamenten, wie Antidepressiva, greift man erst, wenn die Therapie nicht wirkt. In Österreich gibt es auf diesem Gebiet bisher allerdings nur wenige Spezialisten.

Krankheitssymptome

Körper und Seele
Versuchen Betroffene, die Zwangshandlung zu unterdrücken, treten Angst und Anspannung auf.

Verstand
Die Betroffenen wissen, dass ihre Zwangshandlungen eigentlich unsinnig sind. Sie erleben ihr Handeln als widersinnig, übertrieben, unnötig und seltsam.


Tagesablauf
Betroffene kommen durch ihre Handlungen ständig zu spät zur Arbeit oder zu Verabredungen.

Die häufigsten Zwangshandlungen

Reinigungszwang
Es handelt sich dabei um den übermäßigen Drang, Haushaltsoder andere Gegenstände immer wieder reinigen zu müssen. Übertriebene Körperpflege wie ständiges Händewaschen wird als Waschzwang bezeichnet. Die Betroffenen haben beim Anblick von Verunreinigung Angst vor Keimen und Krankheitserregern, einhergehend mit Ekelgefühlen.

Kontrollzwang
Dieser gehört zu den häufigsten Zwangshandlungen. Er zeichnet sich dadurch aus, dass Betroffene immer wieder bestimmte Dinge kontrollieren müssen, etwa ob die Haustüre abgeschlossen, der Herd ausgeschaltet oder die Fenster zu sind. Sie investieren so viel Zeit in ihre Handlung, dass Alltag und Lebensqualität leiden.

Sammelzwang
Betroffene verspüren den inneren Druck, bestimmte - mehr oder weniger nützliche - Alltagsgegenstände in großen Mengen besitzen zu müssen. Bei vielen Erkrankten nimmt das zwanghafte Sammeln über Jahre immer weiter zu, bis ein Ausmaß erreicht ist, welches die Betroffenen in ihrer Wohnung zunehmend einschränkt.

Zählzwang
Beim Zählzwang müssen die Betroffenen bestimmte Zahlenreihen oder (Rechen-)Aufgaben nach einem ganz bestimmten Muster immer wieder in Gedanken durchgehen oder Gegenstände in der Umgebung zählen. Es ist noch nicht geklärt, ob es sich beim Zählzwang um eine Zwangshandlung oder um Zwangsgedanken handelt.

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