Trickser, Täuscher, Fallensteller

Seine Stücke dürften in Österreich gar nicht gespielt werden. Aber Thomas Bernhard ist ein Hauptautor der Salzburger Festspiele. Eine Spurensuche

von Salzburger Festspiele - Trickser, Täuscher, Fallensteller © Bild: Thomas Bernhard Nachlaßverwaltung

Die letzte Nacht war fast leicht im Vergleich zu den vorangegangenen Wochen des Sterbens", sagt der Gmundener Mediziner Peter Fabjan. "Er hatte fast bis zuletzt gekämpft. Wir mussten ihn mehrmals ins Kaffeehaus bringen, weil er beweisen wollte, dass er noch da ist, obwohl er kaum die Zeitung halten konnte. Aber dann hat er endlich ausgelassen, und da ging es mit ihm dahin." So starb Fabjans Halbbruder, der Dramatiker Thomas Bernhard, am Morgen des 12. Februar 1989 in seiner Gmundener Wohnung einen vergleichsweise sanften Tod. Die Verlogenheit österreichischer Mythenschreibung schlug sofort über ihm zusammen.

Vier Monate zuvor, um die Uraufführung seiner Tragikomödie "Heldenplatz" am Burgtheater herum, hatten ihn noch alte Damen mit gezückten Gehstöcken in die Straßenbahn verfolgt. Nun, nach seinem Tod an der Lungenkrankheit Morbus Boeck, war das Land zu umgehender Readoption des unerzogenen Sohnes bereit. Doch der hinterließ ein Testament, das wieder allen den Atem nahm: "Weder aus dem von mir zu Lebzeiten veröffentlichten noch aus dem nach meinem Tod gleich wo immer noch vorhandenen Nachlass" dürfe auf Urheberrechtsdauer - also die nächsten 70 Jahre - in Österreich etwas gespielt, gelesen oder gedruckt werden.

Seither sind 27 Jahre vergangen, und Bernhards Groteske "Der Ignorant und der Wahnsinnige" ist einer der zentralen Programmpunkte der laufenden Salzburger Festspiele. In der Premiere am 14. August tritt Schauspielchef Sven-Eric Bechtolf selbst an, Gerd Heinz führt Regie.

In der Saison 2015/16 zeigte man zwei Stücke Bernhards an der gutbürgerlichen Josefstadt und eines am Volkstheater, weitere zwei an österreichischen Kleinbühnen. Nur am Burgtheater, wo "Der Ignorant und der Wahnsinnige" Ende 2012 in der Boulevardschiene der Silvesterpremieren herauskam, ist zufällig Bernhard-Pause. In Österreich kamen seit 2010 46 Bernhard-Produktionen heraus, womit man im Trend liegt: Insgesamt weist der Suhrkamp-Verlag für die laufende Saison 62 Inszenierungen seiner Stücke aus, unter ihnen 41 nicht deutschsprachige in Frankreich, Italien, Russland, Griechenland oder Chile. Was ist geschehen, seit mit der "Heldenplatz"-Premiere ein weit über den Anlass hinausreichender Tumult ausbrach?

Mehreren Medien waren damals aus dem Zusammenhang gerissene Stückzitate zugespielt worden. Es ging um die österreichische Niedertracht im Umgang mit der Zeitgeschichte, die "Kronen Zeitung" kampagnisierte ein Jahr lang, Politiker aller Parteien hyperventilierten gehorsam, und Direktor Claus Peymann war dem Zwangsrücktritt nahe. Die kollektive Wut kochte über. Und jetzt? Was führt Bernhard an die Josefstadt, wo "Heldenplatz" anno 2010 freundlich belacht wurde? Was überhaupt an österreichische Bühnen?

Testament mit Haken

Schon bei Vorliegen des Testaments machte Bernhards Intimus, der Suhrkamp-Verleger Siegfried Unseld, auf eine orthografische Sonderbarkeit, vielleicht eine posthum geöffnete Hintertür, aufmerksam: "Weder aus dem zu meinen Lebzeiten veröffentlichten" war mit kleinem "v" geschrieben, bezog sich also wörtlich genommen nur auf den Nachlass. Mit dem Verweis darauf, dass ein zu Lebzeiten veröffentlichter Nachlass widersinnig sei, setzte Fabjan die Einhaltung des Verbots durch. Für Bernhards Lebensregisseur Peymann war das der Jackpot, denn laufende Vorstellungen waren vom Verdikt ausgenommen. Allein "Heldenplatz" lief 120 Mal ausverkauft.

Zehn Jahre nach Bernhards Tod gründete Nachlassverwalter Fabjan eine mit weltweiter Fachprominenz besetzte Stiftung. Deren Mitglied, Peymanns langjähriger Vizedirektor Hermann Beil, erläutert: "Wir waren der Meinung, dass zehn Jahre genug sind, dass das Bewusstsein um diese Person im eigenen Land nicht verloren gehen darf." Außerdem wäre ein solches Verbot in Zeiten von Youtube absurd. "Die idiotischste Aufführung aus Deutschland ist abrufbar. Hier ist der Originalschauplatz, hier gibt es Schauspieler, die diesen Ton können." Bernhard habe mit dem Verbot ein Fanal der Wut wegen des "Heldenplatz"-Skandals setzen wollen, sagt Fabjan. Die Stückrechte seien immer bei Suhrkamp gelegen, Bernhard habe genau gewusst, dass die Einhaltung des Verbots der Kulanz des Verlegers überlassen war.

Soweit der juristisch-ethische Aspekt. Bleibt das Erstaunen über den Erfolgsautor, der heute selbst berüchtigte altösterreichische Boulevardiers wie Hermann Bahr um Längen schlägt. War sein Zorn womöglich nichts als Marketing? Elfriede Jelinek und Gerhard Roth müssen bedauern: Sie haben den um etwa zehn Jahre älteren, bis zur Arroganz standesbewussten Bernhard nie persönlich kennengelernt. Peter Handke verband mit dem Kollegen ein profunder Hass. So ist Peter Turrini der Einzige aus der Gigantengeneration, der zum Thema authentisch Auskunft geben kann. Der Teenager Turrini traf den Jungstar auf dem Kärntner Gut des Mäzens Gerhard Lampersberg, den Bernhard später im Roman "Holzfällen" grausam vorführte.

»Sein politischer Anstrich ist gleich null. Seine einzige Grundstimmung war eine böse.«

Peter Turrini, österreichischer Dramatiker, über Thomas Bernhard

"Launisch wie eine Diva"

Bernhard sei deshalb nicht mehr als politischer Verstörer gegenwärtig, weil er nie einer war, sagt Turrini. "Er hat sich am wohlsten bei der Familie Maleta gefühlt, einer eingefleischten reaktionären ÖVP-Familie. Sein politischer Anstrich ist gleich null. Viele stellen sich ihn als festgefügten, mit dem Hammer die Welt in Scherben legenden Menschen vor. In Wirklichkeit war er launisch wie eine Diva und ist in affigen landadeligen Kostümen herumstolziert. Seine einzige Grundstimmung war eine böse. Er hat die Menschen scharf beobachtet und an ihren schwächsten Stellen genau analysiert. Das schafft Komödie, nicht Tragödie." Das ganze in den frühen Romanen ausgebreitete Lebenselend sei das Resultat biografischer Spurenverwischung, fügt Turrini hinzu.

Es geht immer um den Tod

Das von der Familie verachtete uneheliche Kind kann auch Fabjan nicht wiedererkennen. "Er war sehr frühreif und selbstbewusst, hatte aber Verlassensängste, die sich in der Pubertät explosionsartig vermehrt haben. So brachte er übermenschliche Energie auf, um sich in der Kunst zu beweisen. Er hatte eine Leidenschaft für Kleidung und Hunderte Paar Schuhe, aber andererseits hatte er außer alten Damen keine Beziehungen", dreht Fabjan die Causa ins Psychologische. "Man darf seine Attacken nicht eins zu eins nehmen. Er brauchte die Wut und die Reaktion darauf, um sein eigenes Leben spüren zu können. Er hat immer nach Liebe gesucht, aber labile Menschen sind an ihm zerbrochen."

Bernhard sei eben zum Klassiker mit den über den politischen Anlass hinausgehenden tieferen Wahrheiten geworden, gibt Beil zu bedenken. "Es geht bei ihm immer um den Tod, und dann lacht keiner mehr. Da wird es mäuschenstill im Saal."

"Er ist ein Trickser, Täuscher, Fallensteller, In-die-Irre-Führer, den man nie ganz zu fassen bekommt", charakterisiert Sven-Eric Bechtolf. Aber die Wut gegen Enge, Bigotterie und Dumpfsinn der österreichischen 50er-, 60er- und 70er-Jahre dürfe man Bernhard nicht absprechen. "Auf keinen Fall ist aus ihm ein harmloser Autor geworden", sagt Regisseur Gerd Heinz. "Er hat sich selbst als 'Lachphilosoph' bezeichnet, aber seine Wut war kein Kalkül. Dass er die Wut dann noch inszenieren konnte, war allerdings eine markttechnische Sonderbegabung."

Während bei sich nie schließendem Vorhang also alle Fragen offen sind, übt der Kabarettist und Autor Werner Schneyder partielle Selbstkritik. "Ich habe vor 20 Jahren seinen baldigen Untergang prophezeit, hatte aber offenbar unrecht", bekennt der erbitterte Bernhard-Skeptiker. Aber mit allem anderen habe er recht behalten. "Wo sind seine Abgründe geblieben? Er ist derart domestiziert, dass man bald Bernhard-Kugeln auf den Markt bringen dürfte." Darüber wäre Thomas Bernhard allerdings in Verzückung geraten.

Das Stück

Garderobenexzess

Christian Grashof als Vater und Sven-Eric Bechtolf als Verehrer einer Koloratursopranistin: "Der Ignorant und der Wahnsinnige" hat am 14. 8. im Salzburger Landestheater Premiere. Ebenda geriet die Uraufführung 1972 zum Skandal. Der junge Regisseur Claus Peymann bestand darauf, am Schluss die Notbeleuchtung auszuschalten, die Feuerpolizei unterband das Ansinnen. Die Aufführung wurde nach der Premiere abgesetzt.

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